Die Zeit der Treue zur SPD ist vorbei
28. August 2009Was ist mit den Gewerkschaften los? Seit ihrer Entstehung Ende des 19. Jahrhunderts waren sie eng mit den Sozialdemokraten verbandelt. Doch nun verweigern sie vier Wochen vor der Bundestagswahl der SPD die Gefolgschaft. Die IG Metall will im Bundestagswahlkampf keine Empfehlung abgeben, auch nicht für die SPD. "Die Zeiten, in denen die Gewerkschaften sagten, wählt diesen oder jenen, sind vorbei. Die Menschen haben ihren eigenen Kopf", sagte IG-Metall-Chef Berthold Huber dazu der "Süddeutschen Zeitung".
Struck vermisst Kritik an Schwarz-Gelb
Auch auf die lange praktizierte Bewertung der Parteien nach "Wahlprüfsteinen" werde diesmal verzichtet - sie ist aus Hubers Sicht eine Idee von vorgestern und wirkungslos.
Solche Töne lassen die SPD nervös werden. Ihr Fraktionschef Peter Struck hatte erst kürzlich kritisiert, dass die Gewerkschaften nicht gegen eine mögliche schwarz-gelbe Koalition zu Felde zögen. Die Zeit der Freundschaft zwischen den Arbeitnehmervertretern und der deutschen Sozialdemokratie scheint endgültig vorbei zu sein.
CDU auf Schmusekurs mit Gewerkschaften
Dazu passt, dass die CDU auf Schmusekurs mit den Gewerkschaften geht und Bundeskanzlerin Angela Merkel die Spitzenfunktionäre der Gewerkschaften wie den DGB-Chef Michael Sommer am Freitag (28.08.2009) zu einem Gespräch im Kanzleramt empfängt. Karl-Josef Laumann, der Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), dem Arbeitnehmerflügel der CDU, ist jedenfalls begeistert. Im "Kölner Stadt-Anzeiger" zeigte er sich erfreut, dass die Gewerkschaften nicht zulasten der Union in den Wahlkampf eingriffen. "Das Verhältnis war schon schlechter in unserer Geschichte." Es gebe eine gegenseitige Achtung, so Laumann weiter. "Wir wissen als CDU, dass wir den Gewerkschaften viel zu verdanken haben – etwa dafür, dass wir den Aufschwung hingekriegt haben." Umgekehrt würden die Gewerkschafter sehen, "dass wir derzeit alles unternehmen, damit die Arbeitnehmer von der Krise nicht so stark betroffen werden."
Bei den Wahlen zuvor konnte die SPD sich der Unterstützung der Arbeitnehmervertreter sicher sein. 1998 rief der Deutsche Gewerkschaftsbund mit einer deutschlandweit getragenen Kampagne "Deine Stimme für Arbeit und soziale Gerechtigkeit" zur Abwahl der schwarz-gelben Koalition unter Bundeskanzler Helmut Kohl auf. Mit der Agenda 2010 kam es jedoch in der zweiten Amtsperiode von Gerhard Schröder zu einem Bruch zwischen SPD und Gewerkschaften, der bis heute nicht überwunden ist.
Bsirske kritisiert "Kasinobetrieb"
Dabei haben die Gewerkschaften durchaus Forderungen an die Politik. Der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Frank Bsirske, hat angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise die Politik zu einem radikalen Umsteuern aufgefordert. "Wir brauchen einen Politikwechsel", sagte Bsirske in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa. Ein "Weiter so" dürfe es nach der Bundestagswahl nicht geben. Er forderte weitere konjunkturstützende Maßnahmen verbunden mit einem "sozial-ökologischen Umbau der Strukturen". Bsirske kritisierte, dass auf den Finanzmärkten Spekulation und "Kasinobetrieb" bereits wieder in vollem Gang seien. Es könne nicht Ziel der Politik sein, "das Kasino zu renovieren, die Verluste zu sozialisieren und anschließend den Spielern das Kasino zur Fortsetzung des Spielbetriebs zu übergeben. Das Kasino muss geschlossen werden."
Mitarbeiter wollen beteiligt werden
Parallel zu der Kritik am sogenannten "Raubtierkapitalismus" wird die Forderung der Gewerkschaftsfunktionäre immer lauter, Arbeitnehmer an den Betrieben zu beteiligen, wie jüngst im Falle VW-Porsche. Die IG Metall hat ihre Linie öffentlich verteidigt, bei einzelnen Unternehmen für Sanierungsbeiträge der Belegschaften millionenschwere Kapitalbeteiligungen einzufordern. "Wir bieten einen Stabilitätsanker an. Das ist ein neues Instrument für Krisenzeiten", erklärte der zweite Vorsitzende der Gewerkschaft, Detlef Wetzel. Der Einstieg der Belegschaft könne das betroffene Unternehmen stabilisieren und auch für andere Investoren oder Kreditgeber wieder attraktiver machen. Hinter dem Angebot stehe keineswegs die Strategie, über Kapital in Arbeitnehmerhand die Mitbestimmungsregeln auszuhebeln, sagte Wetzel.
Der Übernahme-Poker von Porsche und VW hat auch gezeigt, dass gewerkschaftlichen Kämpfe sich in die Betriebe verlagert haben. Neu ist das nicht, sondern ein Ergebnis der wirtschaftlichen Globalisierung. Mit Tarifkämpfen, Brandreden vor Werkstoren und branchenweiten Streikdrohungen lassen sich in einer Zeit zunehmend flexibilisierter Arbeitsverhältnisse kaum neue Mitglieder gewinnen.
Betriebsräte agieren in der Öffentlichkeit
Deshalb setzen die Gewerkschaften auf das Ansehen im Betrieb vor Ort. Sie erhoffen sich wieder mehr Ansehen in den Betrieben, wenn die Betriebsräte und gewerkschaftlichen Vertrauensleuten dort mehr Macht haben. Das öffentliche Agieren von Uwe Hück oder Klaus Franz sind Beispiele dafür: Die Betriebsratsvorsitzenden der Autohersteller Porsche und Opel übernahmen in der Öffentlichkeit quasi die Funktion von Vorstandssprechern. "Die Gewerkschaften müssen die Politik unter Druck setzen und dafür sorgen, dass die Märkte grundlegend reguliert werden. Es ist selbstverständlich, dass die Banken eine wichtige Funktion haben in unserem Wirtschaftssystem. Aber Arbeitnehmer haben genauso eine wichtige Funktion und sind mindestens genauso systemrelevant", sagt dazu Ursula Engelen-Kefer, ehemalige DGB-Spitzenfunktionärin.
Egal wie die Bundestagswahlen Ende September ausgehen, die Gewerkschaften werden Forderungen an die Regierenden stellen. Ihre Neutralität im Vorfeld der Wahl ist jedoch ein neues Kapitel in der Historie der Bundestagswahlen. (mbö/mas/dpa)