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Durchdachte Untätigkeit

Rolf Wenkel6. September 2007

Die Europäische Zentralbank (EZB) lässt den wichtigsten Leitzins zur Versorgung der Kreditwirtschaft mit Zentralbankgeld bei 4,0 Prozent. Die EZB habe genau das Richtige getan - nämlich nichts, findet Rolf Wenkel.

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Bild: DW

Die Europäische Zentralbank lässt die Leitzinsen in Euroland unverändert. Nanu, ist das überhaupt eine Nachricht? Seit wann ist Untätigkeit eine Schlagzeile wert? Nun, in diesem Fall schon, wenn man die Vorgeschichte kennt. Seit Dezember 2005 haben die obersten Währungshüter in Frankfurt den Schlüsselzins, zu dem sich die Geschäftsbanken Geld bei der Zentralbank borgen können, in acht kleinen Schritten von zwei auf vier Prozent angehoben. Immer in homöopathischen Dosen, damit einerseits der Aufschwung in Europa nicht gefährdet wird, andererseits aber der Preisauftrieb während des Aufschwungs weiter in Schach gehalten wird.

Rolf Wenkel

Und lange Zeit hat die EZB deutlich gemacht, dass sie den Schlüsselzins in Euroland immer noch für zu niedrig hält, am liebsten wäre ihr wohl eine Angleichung an das amerikanische Niveau von 5,25 Prozent gewesen. Noch Anfang August benutzte EZB-Präsident Jean Claude Trichet die Formel, man beobachte die Preisentwicklung "mit großer Wachsamkeit". Das ist in der Geldbranche ein eindeutiges Signalwort, das man auch so übersetzen kann: "Nächsten Monat werden wir die Leitzinsen anheben."

Befürchtete Auswirkungen

Doch mittlerweile ist sehr viel geschehen: Die amerikanische Hypothekenkrise ist rund um den Globus geschwappt, und sie hat nicht nur auf den Finanzmärkten für Unruhe gesorgt. Es gibt bereits Anzeichen dafür, dass diese Turbulenzen auf die Realwirtschaft überschwappen und das Vertrauen der Investoren, der Unternehmen und der Konsumenten untergraben. In Amerika sind Millionen von kreditfinanzierten Häuschen von der Zwangsversteigerung bedroht, das wird Spuren in der Konsumneigung hinterlassen. Die Banken werden immer vorsichtiger mit ihrer Kreditvergabe. Sie leihen sich untereinander nur noch Geld, das mit 4,75 Prozent so hoch verzinst wird, als hätte die EZB drei Zinsschritte auf einmal vollzogen. Damit werden aber auch die Investitionen für die Unternehmen teurer, die die gute Konjunktur eigentlich dazu nutzen wollten, ihre Anlagen zu modernisieren und zu erweitern.

Die Folgen sind klar: Rund um den Globus werden die Konjunkturprognosen nach unten revidiert - man befürchtet inzwischen ernste Auswirkungen der Finanzkrise auf die Realwirtschaft. Erst am Mittwoch hat die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ihre Wachstumsprognose für die USA und die Eurozone gesenkt. Binnen eines Monats sank die durchschnittliche Wachstumsprognose von zehn großen europäischen Finanzinstituten für das Jahr 2008 von durchschnittlich 2,3 auf 2,1 Prozent.

Fatale Schlussfolgerungen

Erfreulich ist aber immerhin, dass mit diesen revidierten Prognosen auch die erwartete Inflationsrate für den Euroraum zurück genommen wurde: Sie liegt mittlerweile bei 1,9 Prozent, bewegt sich also unterhalb jener Zwei-Prozent-Marke, die selbst die Europäische Zentralbank als hinnehmbar bezeichnet. Insofern ist es der EZB wohl auch nicht schwer gefallen, in dieser angespannten Situation genau das Richtige zu machen, nämlich nichts.

Die Zinsen bleiben, die Sorgen allerdings auch. Weniger über die Inflation, die vorerst als eingedämmt gelten kann. Sorgen bleiben vielmehr, was die Wachstumsaussichten der Weltwirtschaft angeht. Sorgen macht auch, ob der an sich richtige Schritt der EZB nicht zu fatalen Schlussfolgerungen verleitet nach dem Motto: Wenn die EZB von ihren eigenen Zielen abweicht, dann ist die Krise auf den Finanzmärkten vielleicht doch größer als vermutet. Also sollte man sich vielleicht besser zurückhalten bei Konsum und Investitionen. Käme die Mehrheit der Marktteilnehmer zu diesem fatalen Schluss, dann hätten die Frankfurter Zentralbanker das Problem eher verschärft als gemildert. Warten wir's ab.