Die zwei Gesichter des Alberto Contador
7. August 2017Wie unterschiedlich die Bilder im Rückblick sind.
Da wäre jenes aus dem Jahr 2007: Alberto Contador liefert sich ein ebenso packendes wie sprachlos machendes Sprintduell mit Michael Rasmussen am Col de Peyresourde. Immer wieder greift Contador an, fliegt scheinbar schwerelos den durchschnittlich 7,6 Prozent steilen Pyrenäen-Berg hinauf – und bringt dabei den später Doping-geständigen Dänen im Gelben Trikot an dessen Limit. Die Tour gewinnt Contador, weil sein Gegner gegen die Whereabout-Regeln der Welt-Anti-Doping-Agentur verstoßen hatte und im Nachhinein positiv auf das Epo-Präparat Dynepo getestet wird. Contador selbst war im Jahr zuvor in den Akten des Doping-Arztes Fuentes aufgetaucht, darf aber dennoch starten und fährt 2007 mit dem Doper Rasmussen auf Augenhöhe. Es bleibt ein Sieg mit einem großen Fragezeichen.
Und dann ist da jenes Bild aus dem Jahr 2017: Zehn Jahre später fährt ein anderer Alberto Contador den Col de Peyresourde hinauf. Auf der zwölften Tour-Etappe ist er der Konkurrenz dieses Mal nicht voraus, sondern fährt ihr mit gefletschten Zähnen hinterher. Als einer der ersten aus der Favoritengruppe fällt er dem Tempodiktat des Sky-Teams zum Opfer, wirkt kraftlos, muss abreißen lassen. Am Ende der Tour de France bleibt ihm ein enttäuschender neunter Platz, knapp neun Minuten hinter Sieger Chris Froome.
Der Schatten des Fuentes-Skandals liegt noch immer über ihm
Die Tour de France hat zwei völlig unterschiedliche Gesichter von Alberto Contador gesehen. In jungen Jahren einen Dominator, der am Berg mit den Gegnern spielte und im flachen Zeitfahren sogar den großen Fabian Cancellara schlagen konnte. In seinen späten Jahren wirkte Contador ausgebrannt, mal vom Pech verfolgt und nicht mehr ganz auf der Höhe der Besten. Aber war das der altersbedingte und somit nachvollziehbare Leistungsrückgang eines großen Radsport-Stars? Oder steckt hinter den zwei Gesichtern des Alberto Contador doch noch etwas anderes?
Diese Frage stellen sich viele Radsportfans und von denen hat der Sieger von Tour de France (2007, 2009), Giro d'Italia (2008, 2015) und Vuelta a Espana (2008, 2012, 2014) immer noch viele. Wenn "El Pistolero", wie der Spanier wegen seiner Siegergeste genannt wird, bei der anstehenden Vuelta auf der Schlussetappe in seiner Heimatstadt Madrid seine Karriere beendet, werden ihn dennoch die Zweifel in den Ruhestand begleiten. Denn längst nicht alle hat Alberto Contador während seiner langen Karriere als glaubwürdiger Sportsmann überzeugt. Der 34 Jahre alte Rundfahrtspezialist fuhr in der späten Armstrong-Ära an der Seite des texanischen Dopingsünders, war nach juristisch nie verwerteten Indizien Kunde von Eufemiano Fuentes und verweigerte in der Folge einen DNA-Test, der ihn hätte entlasten (oder entlarven) können. So bleibt ein Schatten über ihm und seiner Karriere.
Starke Konkurrenz beim Abschiedsrennen
Alberto Contador vermied es bei Fragen zum Verdacht gegen ihn präzise zu antworten. Spätestens, seit er wegen eines positiven Clenbuterol-Tests rückwirkend für zwei Jahre gesperrt wurde und dadurch den Tour-Sieg 2010 und den Vuelta-Triumph 2011 einbüßte, wurde Contador wortkarg wenn es zum Thema Doping kam. Seine spanischen Anhänger sahen es ihm nach und begrüßten ihn nach abgelaufener Sperre überschwänglich als sei nichts gewesen. Für andere Radsportfans bleibt Contador ein Champion, aber einer mit einem Fragezeichen.
Bei der am 19. August im südfranzösischen Nîmes beginnenden 72. Vuelta hoffen seine Unterstützer noch einmal auf den alten Alberto Contador. Die 3324 Kilometer lange Strecke weist sechs bergige und acht hügelige Etappen auf - ideales Terrain für Leichtgewicht Contador. "Ich bin sicher, es werden drei wunderbare Wochen, in denen ich Eure Zuneigung genießen werde. Ich brenne auf den Start", richtete sich Contador via Social Media an seine Fans. Allerdings wartet in Nîmes ein mit zahlreichen Top-Stars gespicktes Feld auf Contador: Der britische Tour-Sieger Chris Froome, der Italiener Fabio Aru und Frankreichs Hoffnungsträger Romain Bardet haben sich angekündigt. Contador braucht also gegen die jüngere und zuletzt stärkere Konkurrenz eine exzellente Spätform und eine Portion Glück, wenn er sich mit einem Sieg in den Radruhestand verabschieden will.