"Diese ganze Situation ist ein Wartespiel"
23. Juli 2006Ein Blogger unter dem Namen "Shachar", ein israelischer Soldat, schreibt:
"Ich bin an der libanerischen Grenze stationiert. (…) Wir können nicht all die Bomben auf den Libanon hier von Israel aus sehen - außerdem interessieren uns eher die Bomben auf Israel. Ich will hier nicht anfangen zu diskutieren, wer Recht hat und wer nicht, aber mein letztes Wort ist, dass es nicht recht ist, dass Zivilisten verletzt werden in dem Konflikt, auf beiden Seiten. Ich sende euch die besten Grüße von hier und hoffe, dass ihr und eure Familien stark seid und wohlbehalten, und dass diese schreckliche Situation bald vorbei ist."
"Shai Tsur", ein ehemaliger Journalist, beschreibt die Situation in Tel Aviv:
"Hier in Tel Aviv ist die Stimmung relativ ruhig, obwohl düster und zornig. Während die Menschen im Norden in ihren Schutzbunkern sitzen, können wir im Zentrum nicht viel mehr tun, als uns die Nachrichten alle fünf Minuten anzuschauen. Obwohl Tel Aviv wahrscheinlich außer Raketenreichweite liegt (obwohl, wer weiß das schon heutzutage?), kann man den Krieg auch hier spüren. Militärhelikopter fliegen regelmäßig vorbei. Die Marine patrouilliert vor Tel Avivs Küste. Bei der Arbeit hat man uns eine Broschüre gegeben, die Notrettungsmaßnahmen erläutert für den Fall eines Angriffs auf das Gebäude. Nur für den Fall. Diese ganze Situation ist ein Wartespiel. Nach jeder Raketensalve wartest du, um zu hören, ob jemand getötet wurde. Du wartest auf die Abendnachrichten, um zu erfahren, ob sich etwas an der diplomatischen Front bewegt. Du wartest, ob die israelischen Abwehrkräfte beschlossen haben Bodentruppen zu entsenden."
So schildert "Allison" ihre Situation:
"Ich bewundere die Familien, die im Norden bleiben, sehr, aber wenn ich in Haifa oder nördlich leben würde, würde ich auf jeden Fall fliehen, zu Verwandten im Süden oder im Ausland. Ich verstehe nicht, wie man Kinder für Stunden im Bunker festhalten kann. Meine Kinder, deren Leben nicht wirklich durch den Konflikt gestört wird, zeigen, dass sie auf die Situation reagieren. Meine Tochter konnte letzte Nacht nicht schlafen, weil sie Angst hatte, was passieren würde. Die Ungewissheit ist hart für uns Erwachsene, aber es ist richtig schlimm für die Kinder. Das Fernsehen ist voll mit Ratschlägen, was man seinen Kindern erzählen soll. Trotz allem werde ich nicht gehen, auch wenn ich viele Verwandte und Freunde im Ausland habe, die uns gerne aufnehmen. Aber wenn man im Ausland ist, wenn etwas Traumatisches an einem Ort passiert, um den man sich sorgt, ist das schlimmer als dort zu sein. Ich war in den USA im Jahre 2000, als die zweite Intifada begann mit ihrer Serie von schrecklichen Bombenangriffen. (…) Wenn man fort ist, ist man viel eher ein Gefangener der Medien, und es ist schwierig mit dem Treiben um sich herum umzugehen, das normal weitergeht, wenn deine Gedanken sich um Ereignisse weit weg drehen. In bestimmter Weise ist es einfacher am Krisenort zu sein, wo jeder gleich fühlt und im gleichen Boot sitzt."
In dem Blog "Live from an israeli bunker" schreibt ein 17-Jähriger aus Haifa:
"Vor ein paar Minuten begannen die Sirenen wieder in der Ferne; die waren so schwach, dass wir sie nur bemerkten als wie fernsahen. Wie Pawlowsche Hunde reagieren wir pflichtbewusst auf diese Reize, fast ohne nachzudenken. Es ist unsere zweite Natur. Aber diesmal war es anders. Auf dem Weg nach unten hörten wir ein lautes Dröhnen. Unser Nachbar rief seine Tochter am anderen Ende der Stadt an, sobald im Radio verkündet wurde, dass Haifa getroffen wurde. Bis jetzt war er die ruhigste Person hier unten, aber sein Gesichtsausdruck veränderte sich. 'Es schlug in der Nähe von Euch ein? Die Fenster explodierten?' Unbewusst stützte er sich mit dem Arm vom Fenster ab. 'Weine nicht, weine nicht. Bist du okay?' Er legte auf und mit Entschlossenheit sagte er, er fahre da hin – ohne Tränen, er hatte sich schon wieder gefangen." (lh)