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Dem Schredder geht das Futter aus

Josephine Schulz
29. September 2019

Seit 30 Jahren ist Documentus - früher unter dem Namen Reisswolf bekannt - deutscher Marktführer in der Aktenvernichtung. Doch was wird aus dem Unternehmen, wenn die Digitalisierung das Papier aus dem Alltag verdrängt?

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Deutschland Documentus Schredderfabrik Walter Passmann
Documentos-Geschäftsführer Walter PassmannBild: DW/J. Schulz

Um die Mittagszeit laufen die Schredder auf Hochtouren. Schwarze LKWs fahren auf den Hof der mittelständischen Firma Documentus am Stadtrand von Köln, jeder von ihnen trägt rund acht Tonnen Papier im Bauch. Patientenakten zum Beispiel oder Gerichtsdokumente, die sensible Daten enthalten und nicht einfach in die nächste Mülltonne gekippt werden dürfen.

Walter Passmann, Geschäftsführer von Documentus Köln, zieht sich eine gelbe Warnweste über das Jacket. Um die Schredderhalle zu betreten, muss er sich in eine enge gläserne Röhre stellen - die Sicherheitsschleuse. Alles ist hermetisch abgeriegelt, damit kein Fetzen Papier verloren geht. Über lange Förderbänder laufen Berge von Akten durch die Halle, am anderen Ende kommen sie in Konfettigröße wieder heraus, werden zu heuballengroßen Quadern gepresst und in einer benachbarten Halle gestapelt. Per Zertifikat bekommen die Kunden bestätigt, dass alles datenschutzgerecht vernichtet wurde.

Bis zu 100 Tonnen Papier kann die Anlage am Kölner Standort täglich zerkleinern, rund 70 Mitarbeiter sind hier beschäftigt. Über Deutschland verteilt gibt es 18 solcher Standorte. Zusammen schreddern sie im Jahr über 100.000 Tonnen Papier.

Deutschland Documentus Schredderfabrik
Reger Containerumschlag bei der AktenvernichtungBild: DW/J. Schulz

"Wir leben vom Papier, aber es wird weniger"

Momentan laufe es gut für die Aktenvernichter, erzählt Passmann. Der Grund: Je mehr die Unternehmen digitalisieren, desto mehr Papier wollen die loswerden. Gleichzeitig bedeutet die Digitalisierung aber auch: Das klassische Schreddergeschäft hat ein Verfallsdatum. Passmann sagt: "Wir leben davon, dass Papier entsteht, aber wir sehen am Horizont, dass es weniger wird." Die anfängliche Skepsis von Unternehmen, ihre Daten in der Cloud zu lagern, lässt nach. Und die Politik treibt unter dem Schlagwort E-Governance die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung voran - von der Steuererklärung im Internet bis zur elektronischen Patientenakte.

Deshalb hat die Documentus-Gruppe einen radikalen Wandel eingeleitet. Das Unternehmen bietet jetzt selbst Digitalisierung an. Neben Vernichtung und Archivierung von Akten übernimmt Documentus auch das Scannen der Dokumente. Mit den Kunden werden maßgeschneiderte Lösungen entworfen, wie sie etwa Vertragsabschlüsse und ihren Postverkehr papierlos bewerkstelligen können. Im Moment mache die Digitalisierung bei Documentus Köln laut Passmann etwa 15 Prozent des Geschäfts aus - das Schreddern ungefähr die Hälfte, 35 Prozent die Archivierung. Langfristig aber sollen die Digitalisierungsangebote den zu erwartenden Rückgang im Papiergeschäft überkompensieren.

Jeder Mitarbeiter war ein Reisswolf

Mit den neuen Geschäftsfeldern musste auch ein neuer Name her. Aus der bisherigen Marke Reisswolf wurde 2017 Documentus. Keine leichte Entscheidung, denn als deutscher Marktführer in Sachen Vernichtung war Reisswolf in 30 Jahren zu einer echten Institution geworden. "Überall, wo unsere Mitarbeiter und LKWs hinkamen, hieß es, da kommt der Reisswolf", erzählt Passmann. "Das war identitätsstiftend." Aber die Marke sei eben nicht "dehnbar". Reisswolf klingt nach Vernichtung, nicht nach Archivierung und Digitalisierung.

Deutschland Documentus Schredderfabrik
Ab in den Schredder! Von den Dokumenten bleiben nur Papierschnipsel übrigBild: DW/J. Schulz

Für welche Missverständnisse das teilweise sorgte, hat Passmann selbst erlebt. Als 2009 das Kölner Stadtarchiv einstürzte, wurde die Firma Reisswolf beauftragt, die historischen Dokumente in Sicherheit zu bringen und zu digitalisieren.

Als die Mitarbeiter kamen, um die Archivalien abzuholen, so erzählt Passmann, habe ein Feuerwehrmann gesagt: "Wir retten hier die ganzen Dokumente und dann kommen sie bei Reisswolf in den Schredder."

Passmann hat sich deshalb aktiv für den Namenswechsel eingesetzt. Aber es gab auch Gegner. Am Ende zogen der Markeninhaber und ein paar Standorte nicht mit. Dass das möglich war, liegt an der komplexen Franchise-Struktur des Unternehmens. Die regionalen Standorte sind eigenständige, meist inhabergeführte Betriebe. Reisswolf existiert nun mit ein paar Betrieben weiter und ist heute einer der größten Konkurrenten von Documentus. 

Die Geburt des Datenschutzes

Die Geschichte des Schredder-Unternehmens begann in den 1980er Jahren in Hamburg und ist untrennbar mit der Geburt des Datenschutzes verbunden. 1977 verabschiedete die Bundesregierung die erste Fassung des Bundesdatenschutzgesetzes. Nach dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts musste nachgebessert werden, 1990 trat das novellierte Gesetz in Kraft.

Der Hamburger Kaufmann Volker Henning erkannte das Potenzial der neuen Vorschriften. Massenweise Akten konnten Krankenhäuser, Verwaltungen und Unternehmen nicht mehr einfach auf der Müllhalde abladen, sondern mussten sie fachgerecht zerstören lassen. Henning - selbst in der Entsorgung von Altpapier und Gewerbeabfällen tätig - begann, andere Entsorger anzuwerben. Im ersten Geschäftsjahr 1986 hatte er bereits vier Partner, die unter dem Reisswolf-Logo Akten vernichteten. 1989 wurde offiziell die Reisswolf Deutschland GmbH gegründet. Mittlerweile gibt es in über 20 Ländern Reisswolf-Ableger.

Documentus beschränkt sich auf den deutschen Markt. Die regionale Verankerung, meint Passmann, sei besonders wichtig: Keine langen Wege und eine enge Beziehung zu den Kunden. Dass Documentus die Bedürfnisse der Kunden in Sachen Datenschutz so gut kennt, sieht Passmann als Chance, um im Bereich Digitalisierung durchzustarten. Zwischen 35.000 bis 40.000 Kunden habe Documentus in ganz Deutschland. Vor allem mittelständische Betriebe, aber auch große Banken und Versicherer, Krankenhäuser, Landes- und Kommunalverwaltungen. "Und die nehmen uns als Datenschützer war" , so Passmann. "Solange der Datenschutz irgendeine Bewandtnis hat, haben auch wir eine Existenzberechtigung."

Deutschland Documentus Schredderfabrik
Archiv von Documentus - hier lagern 250 Kilometer Akten Bild: DW/J. Schulz

Heute LKW-Fahrer, morgen IT-Spezialisten

Schreddern im großen Stil - diesen Markt teilen sich in Deutschland drei Unternehmen, mit Documentus an der Spitze. Der Markt für Digitalisierung ist ein anderes Terrain. Hier tummeln sich eine Vielzahl von innovativen Start-Ups neben internationalen Playern wie Google und Amazon. Passmann weiß, dass Documentus das Know-how dieser Anbieter nicht mehr aufholen kann. Deshalb setzt er auf Partnerschaften. Gemeinsam mit der Telekom hat Documentus zum Beispiel ein Verfahren entwickelt, das es erlaubt, Verträge rechtssicher per digitaler Signatur abzuschließen. Passmann erklärt: Man arbeite nur mit Partnern, die ihre Rechenzentren in Deutschland oder der EU haben, also dort, wo die Europäische Datenschutzgrundverordnung gilt. "Alles in Richtung USA oder Indien ist für uns ein No-Go."

Der Abschied vom Namen Reisswolf war für das Unternehmen nur der erste Schritt in eine papierlose Welt. Irgendwann wird auch die Schredderanlage, die Halle mit den gepressten Konfetti-Ballen und das Archiv mit den 250 Kilometer Akten nicht mehr gebraucht. "Heute stelle ich noch LKW-Fahrer ein, aber in ein paar Jahren werden es wahrscheinlich eher IT-Spezialisten und Unternehmensberater sein", sagt Passmann.

Trotzdem, er könne sich vor die Belegschaft stellen und mit Überzeugung sagen: "Alles was wir jetzt verändern, tun wir, damit eure Arbeitsplätze so lange wie möglich erhalten bleiben."