Regisseur Dominik Graf im Gespräch
25. August 20181952 in München geboren, dreht Dominik Graf seit Mitte der 1970er Jahre Filme: für die große Kinoleinwand und in den letzten Jahren vermehrt fürs Fernsehen. Graf ist auch für die Regie herausragender Folgen der TV-Krimi-Reihe "Tatort" verantwortlich. Er ist außerdem einer der besten Kenner der Filmgeschichte hierzulande, schreibt immer wieder kluge Texte über das Fernsehen, über alte und neue Kinofilme.
"Hanne", die Geschichte einer Frau, die auf ein möglicherweise niederschmetterndes Ergebnis einer Untersuchung beim Arzt wartet, ist fürs Fernsehen produziert. Präsentiert wird am Samstag (25.8. 2018) beim 14. Festival des Deutschen Films in Ludwigshafen. Die Hauptdarstellerin Iris Berben erhält auf dem Festival auch den Preis für Schauspielkunst. Dominik Graf beherrscht die formalen Mittel des Films so virtuos wie kaum ein anderer Regisseur in Deutschland, und so sind seine TV-Bilder immer auch unbedingt "kinotauglich".
Deutsche Welle: Fernsehfilme werden heutzutage auch auf Filmfestivals gezeigt. Ist das, zumal in Zeiten von Internet und Streaming-Portalen, eigentlich egal, wo und wie Filme präsentiert werden?
Dominik Graf: Nein, das ist nicht egal. Man muss die Arbeiten, die man gemacht hat, einem Publikum auch vermitteln. Sonst schickt man die Filme ja nur in den Äther, ins Internet, ins Fernsehen. Man erkennt niemanden gegenüber, man erhält keine Reaktionen. Außer das, was die Kritiker schreiben. Das ist eigentlich schade.
Ich sehe meine Fernsehfilme, genauso wie meine Kinofilme, einfach als Filme an, mal größer, mal kleiner, mal teurer, mal billiger. Aber im Grunde sind es alles Filme, und die möchten eigentlich schon mal in einem Kino gezeigt werden.
Gehen Sie eigentlich anders an ein Projekt heran, wenn es fürs Kino oder aber fürs Fernsehen produziert wird? Gibt es da einen Unterschied?
Keinen! Es ist immer nur das Geld, die Größe der Erzählung, die oft bei Kinofilmen natürlich eine andere Dimension hat. Aber ich war selber, als ich leidenschaftlich ins Kino gegangen bin und das Kino für mich entdeckt habe, immer sehr interessiert an "kleinen Filmen". Meist waren das europäische Filme, seltener aus Amerika. Filme, die sozusagen in einem kleineren Format gedacht waren, oft Kammerspiele oder Straßenfilme.
Die konnte man dann, als ich in Deutschland ernsthaft angefangen habe Filme zu machen, vor allem fürs Fernsehen umsetzen. Daher kommt auch meine Anhänglichkeit ans Fernsehen, das mir in wesentlichen Punkten wesentlich mehr Freiheiten gegeben hat als die deutsche Filmförderung.
Was heißt das für Sie, "kleine Filme"? Sie haben ja auch Serien gedreht, erinnert sei nur an "Im Angesicht des Verbrechens". Wie wirkt sich das auf Dramaturgie und Regie aus?
Das hat eine bestimmte zeitliche Dimension, damit fängt es schon mal an. Bei den Serien-Folgen sind z.B. 50 Minuten eben eine vorgegebene Größe, innerhalb derer man seine Geschichten erzählt. Entweder verbunden mit der nächsten Folge - oder bei den alten Serien, die ich gemacht habe, als ich angefangen habe als Regisseur, waren das immer abgeschlossene Geschichten, manchmal 50, manchmal 25 Minuten. Das waren schon immer interessante Erzähl-Bonbons, die waren sehr komprimiert erzählt, wie Kurzgeschichten - Kurzfilme, wenn man so will.
…und wichtig ist es ja auch, wie ein Regisseur mit den Handwerksmitteln des Films umzugehen weiß!
Ich habe das auch bei anderen Regisseuren gesehen, in Amerika, aber auch bei deutschen Serien: Es gibt unfassbare gute Folgen des "Kommissars" oder von "Derrick", wo man gemerkt hat, dass die Regisseure diese anderen Formate als eine Herausforderung begreifen. Wenn die Regisseure richtig gut sind, gehen die auch kaum zurück von einem Qualitätsstandard, im Sinne von "ist ja bloß Fernsehen".
War das deutsche Fernsehen in früheren Zeiten innovativer?
Das deutsche Fernsehen war in den 1960er Jahren ja ein Avantgarde-Medium, mit einem ausgesprochenen Bildungsauftrag. Es wurde gegründet, um die Deutschen wieder einmal mit ihrer Geschichte und mit ihrem Erbe zu konfrontieren, vor allem auch literarisch.
Das hat zu unglaublich interessanten Formen geführt, die sowohl in Amerika als auch in Deutschland nur das Fernsehen hervorgebracht hat. Dann irgendwann, als das verflachte, wurde es komplizierter. Trotzdem muss ich sagen, gerade mit meinem Genre-Interesse, bin ich eigentlich beim Fernsehen immer offene Türen eingerannt.
"Im Angesicht des Verbrechens" ist eine der herausragenden Serien des deutschen Fernsehens und lief 2010, in einer Zeit noch vor dem unglaublichen Serien-Hype unserer Tage. Die ist dann aber untergegangen im Fernsehalltag, wurde, als die Quoten zu Beginn nicht gut waren, ins Spätprogramm abgeschoben. Ärgert sie das heute?
Mich ärgert, dass dann von einem Film bleibt, dass er "schlechte Quoten" hatte. Das finde ich irgendwie unangemessen, das finde ich auch bei anderen Filmen unangemessen. Der Quotenmaßstab ist eine Elle, die überhaupt nichts aussagt über einen Film. Im Gegenteil: Man muss leider sagen, dass die besseren Filme die geringeren Quoten haben.
Ihr neuer Film, die TV-Produktion "Hanne" erzählt von einer Frau (gespielt von Iris Berben), die an einem Freitag-Nachmittag kurz nach ihrer Pensionierung erfährt, dass Ihr Blutbild Auffälligkeiten aufweist, dass sie möglicherweise Leukämie hat. Das genaue Untersuchungsergebnis bekommt Sie aber erst am folgenden Montag. Sie zeigen diese Frau nun am einem Wochenende - zwischen Bangen und Hoffen. Was hat Sie an der Story gereizt?
Ich finde, dass ist eine unglaubliche schöne Erzähl-Grundhaltung, dass man eine Person vorstellt, die im Begriff ist mit 65 in Rente zu gehen, die sich eigentlich jetzt ein schönes Leben machen will, dann aber eine schockhafte Nachricht bekommt. Und dann zwei, drei Tage hat und damit nun zurecht kommen muss mit dem, was möglicherweise am Montagmorgen als sichere Nachricht auf sie wartet.
So wie das Beate Langmark erzählt, die das Drehbuch geschrieben hat, fand ich das wahnsinnig spannend. Ich habe so etwas auch noch nicht gemacht, und das meiste, was ich noch nicht gemacht habe, interessiert mich irgendwie auch.
Dann kam hier natürlich die Besetzung noch mit hinzu: die Chance einmal mit Iris Berben zu arbeiten. Sie ist ja mehr oder weniger auch meine Generation. Sie hat als große Darstellerin bei Klaus Lemke angefangen, einem Regisseur, den ich sowieso grenzenlos bewundere. Der Kern der Geschichte in "Hanne" ist ja die Person: Der Film ist sozusagen vom Charakter getrieben, nicht vom Plot (der Handlung). Das mit Iris Berben machen zu können, fand ich eine tolle Möglichkeit.
Der Charakter, den die Berben spielt, sucht ja während der Filmhandlung verschiedene Personen aus ihrer Vergangenheit auf, sie lässt sich auch treiben während dieses Wochenendes, schaut, was als nächstes kommt, lässt auch alles auf sich zukommen…
Wir kennen ja alle solche Phasen im Leben, in denen sich plötzlich, innerhalb von zwei, drei Tagen etwas zusammenballt, auch Zufälle eine Rolle spielen. Das hat auch oft mit Personen zu tun, die plötzlich anrufen, auf die man nun gar nicht gefasst war. Wie man dann auf einer Strecke von zwei, drei Tagen auf einmal das Gefühl hat, man kann jetzt eine Summe ziehen unter seinem Leben. Das ganze ist wie eine Reise. So habe ich das zumindest versucht zu inszenieren.
Wenn man Ihren Film sieht, fallen einem einige Sequenzen auf, die an andere Filme erinnern. Sie kennen die Filmgeschichte aus dem Effeff, spielt das bei Ihnen beim Inszenieren eine Rolle?
Nein. Ich hab schon viele Filme gesehen und ich finde, das die Filmgeschichte mit der größte Kulturschatz ist, neben der Literatur und der Musik, dem ich im Leben begegnet bin. Ich gucke mir auch eigentlich hauptsächlich alte Filme an, weil die so eine Kraft haben. Aber wenn ich dann drehe, dann denke ich überhaupt nicht daran.
Da gibt's keinen Moment, wenn ich mir Einstellungen vorstelle und aufschreibe, wo ich denke, das machen wir dann so wie bei dem Regisseur oder bei der Regisseurin. Entweder ist das bei mir schon so in Fleisch und Blut übergegangen, dass ich das dann abrufe, ohne es zu wissen. Oder es ist vielmehr so: Jede Szene braucht doch keinen Zugang, wo man sagt, dass soll so aussehen wie bei dem oder dem. Das hängt vielmehr am Buch, den Autoren, an der Sprache der Autoren.
Es treibt Sie also immer wieder etwas Neues an, eine Neugier auf neue Stoffe, Formen?
Ja, ganz bestimmt. Sonst würde es mir ja auch keinen Spaß machen. Der größte Antrieb an der Sache ist ja der Spaß beim Drehen. Manchmal geht es um sehr ernste Dinge, manchmal ist es aber auch nur wie eine Vergnügungstour. Selbst ein anstrengender Action-Film kann wie eine Vergnügungstour sein, weil man einfach so unglaublich viel entdeckt.
"Hanne" wurde zunächst beim Filmfest München präsentiert und läuft nun beim 14. Filmfestival des Deutschen Films in Ludwigshafen. Iris Berben bekommt für ihre Rolle in "Hanne" am Samstag (25.8.) den Preis für Schauspielkunst.