Hass und Gewalt in der DR Kongo
26. November 2019"Wir fordern, dass die Blauhelme unser Land verlassen! Sie schützen uns nicht. Wie ist es zu erklären, dass Milizen Massaker an der Bevölkerung verüben und die UN-Soldaten nichts tun?", fragt ein aufgebrachter junger Mann im Interview mit dem DW-Korrespondenten in Beni, einer Stadt in der Provinz Nord-Kivu im Osten der Demokratischen Republik Kongo. Und ein anderer fügt hinzu: "Wir wollen nichts anderes als den Abzug der MONUSCO-Soldaten!"
Die Menschen sind wütend: Am Wochenende hatten Rebellen den Vorort Masiani angegriffen, acht Menschen getötet und neun entführt. Viele Bewohner hatten daraufhin beschlossen, ihre Häuser zu räumen und in anderen Teilen von Beni Zuflucht zu suchen. Am Montag stürmten Demonstranten das Hauptquartier der Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen im Kongo (MONUSCO) in Beni und setzten einen Stützpunkt in Brand. Zuvor hatten sie das Rathaus angezündet. Auch bei diesen Auseinandersetzungen soll es Tote und Verletzte gegeben haben.
Für die Unsicherheit, die besonders in diesem Teil des Landes herrscht, machen die Bewohner nicht nur die Blauhelme, sondern auch die Regierungstruppen und alle staatlichen Instanzen verantwortlich.
Wer steckt hinter den Angriffen auf die Zivilbevölkerung?
Die nächtliche Attacke mit acht Toten in Beni wird der islamistischen Miliz "Alliierte Demokratische Kräfte" (ADF) zugerechnet - eine der circa 160 Rebellen-Gruppen, die im Osten des Kongo ihr Unwesen treiben. Die ADF kämpften ursprünglich im Nachbarland Uganda gegen den heute noch amtierenden Präsidenten Yoweri Museveni. In den 90er Jahren wurden sie aus Uganda vertrieben und zogen sich in den Nordosten des Kongo zurück. Anfang November startete die kongolesische Armee eine Offensive gegen die ADF. Mehr als 70 Zivilisten wurden seither in der Region Beni getötet.
"Der Konflikt mit der ADF ist eigentlich recht klein. Die Gruppe hat lange ein Schattendasein geführt und war kaum aktiv", sagt Dr. Alex Veit, Kongoexperte an der Universität Bremen. Dann aber sei sie plötzlich erstarkt - in einer Situation, als die Regierung offensichtlich ein großes Interesse daran hatte, in verschiedenen Regionen des Landes Konflikte wieder anzuheizen, sagt Veit. Ausgerechnet im Vorfeld der letzten Wahlen sei die Gewalt eskaliert
Die in großen Teilen regierungskritische Bevölkerung konnte deshalb nicht an den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im vergangenen Jahr teilnehmen. "Da hat sich die Bevölkerung gefragt: Ist das reiner Zufall? In dieser schwierigen politischen Lage gibt es hier plötzlich wieder diese bewaffnete Gruppe, die plötzlich sehr aktiv ist und die Massaker durchführt", sagt Alex Veit. Die Vermutung habe nahe gelegen, dass regierungsnahe Kreise absichtlich die Krise herbeigeführt hätten um die Wahlen in der Region zu verhindern.
Die angespannte Lage erschwert den Kampf gegen Ebola
Die prekäre Sicherheitslage im Osten des Kongo behindert derzeit auch die Bekämpfung der Ebola-Epidemie, die dort seit 13 Monaten wütet und schon mehr als 2000 Menschen das Leben gekostet hat. Hilfsorganisationen bringen ihre Mitarbeiter vor Ort in Sicherheit. So hat die Weltgesundheitsorganisation einen Teil ihrer Mitarbeiter aus Beni in eine andere Stadt gebracht.
Auch die Ebola-Krise verstärkt das Misstrauen der Menschen gegenüber der MONUSCO. "Viele Leute im Osten des Kongo sind der Meinung, Ebola gibt es gar nicht. Oder es wurde absichtlich eingeschleppt oder nicht richtig bekämpft, um die Region weiter unterdrücken zu können." Viele in der Bevölkerung gehen laut Veit davon aus, dass die MONUSCO mit der Regierung unter einer Decke stecke um die Region und ihre Rohstoffe wie Gold und Kobalt auszubeuten: "Die Leute fragen sich: 'Wieso sind die Blauhelme überhaupt hier? Sie sind so ineffektiv. Was machen sie eigentlich hier?'" Deshalb gebe es auch so viele Verschwörungstheorien.
Misstrauen gegenüber den UN-Soldaten
Mit über 20.000 Leuten ist die MONUSCO die größte UN-Friedensmission weltweit. Haupteinsatzgebiet sei die Region Nord-Kivu mit Schwerpunkt Beni, betonte noch vor wenigen Monaten die Leiterin der MONUSCO, Leila Zerrougui, im DW-Interview: "Denn es ist ein Gebiet, das unseren Schutz braucht."
Doch Kongoexperte Alex Veit sagt: "Das Gebiet ist sehr groß, die Infrastruktur ist sehr schlecht, das lässt sich auch mit 20.000 Leuten nicht effektiv überwachen." Wenn Rebellen wenige Kilometer von den Lagern der MONUSCO entfernt Massaker durchführten, brauchten die Armee und MONUSCO unheimlich lange, um am Ort des Geschehens aufzutauchen, sagt er. "Die Menschen haben den Eindruck: 'Eigentlich schützen sie uns nicht. Die MONUSCO kommt irgendwann an und schreibt einen Bericht, schießt Fotos, befragt Leute'. Die Menschen sehen keinen Nutzen - und das schon über eine sehr lange Zeit."
Mängel bei der Ausbildung, Korruption, sexuelle Übergriffe
In einer Untersuchung von 2018 warfen UN-Ermittler der seit 1999 in der Demokratischen Republik Kongo stationierten Blauhelm-Mission Führungsprobleme und Mängel in der Ausbildung vor. Die Soldaten seien meist schlecht ausgebildet und das Verhalten der Truppen vor Ort oft zu beanstanden, bestätigt Felix Haaß vom Institut für Globale und Regionale Studien in Hamburg. Viele Fälle von Korruption und von UN-Soldaten begangene Verbrechen hätten die das Ansehen der Blauhelme in der Bevölkerung zusätzlich geschwächt: "Es gibt auch Fälle von sexueller Ausbeutung. Das ist sehr problematisch und schränkt die Legitimität und die Akzeptanz dieser Truppe ein."
Im Dezember - 20 Jahre nach der Einsetzung der ersten Friedensmission für den Kongo - steht im UN-Sicherheitsrat der Beschluss über die Verlängerung des MONUSCO-Mandats an. Bereits im Oktober empfahl der Generalsekretär der Vereinten Nationen Antonio Guterres, die Friedenstruppe innerhalb von drei Jahren auslaufen zu lassen.
Ziehen die Blauhelme bald aus dem Ostkongo ab?
"Mit einem Abschied Ende 2022 wären die Vereinten Nationen in einer guten Position, um einen verantwortungsvollen Übergang zu gewährleisten, wenn die von den neuen Behörden angekündigten Reformen in dem erwarteten Tempo fortgesetzt werden und das beste Szenario vorliegt", geben die Vereinten Nationen an.
Derweil versuchen die kongolesischen Streitkräfte gemeinsam mit den UN-Friedenstruppen die Lage in der Stadt Beni zu beruhigen. Es sollen "gemeinsame Operationen" durchgeführt werden um "Frieden und Sicherheit für die Zivilbevölkerung zu gewährleisten", teilte das Büro des Präsidenten Félix Tshisekedi am Montag mit.
Mitarbeit: John Kanyunyu (Beni)