Draghi hat geliefert
4. September 2014Damit hat kaum einer gerechnet: Die Europäische Zentralbank hat den Leitzins praktisch abgeschafft. Zu einem symbolischen Zinssatz von 0,05 Prozent können sich Banken von nun an Geld von der EZB leihen. Seit Anfang Juni lag dieser Satz bei 0,15 Prozent. Gleichzeigt hat die EZB die Strafe für Banken erhöht, die Geld bei der Zentralbank parken, statt es als Kredite an Unternehmen weiter zu leiten. Statt 0,1 müssen die Geldinstitute 0,2 Prozent Strafzinsen zahlen.
Beide Maßnahmen zielen darauf ab, Kredite noch billiger und das Horten von Geld noch unattraktiver zu machen. Mehr Kredite an Unternehmen bedeuten mehr Investitionen und ein höheres Wirtschaftswachstum. Die EZB reagiert somit auf die schwächelnde Konjunktur in der Eurozone. Im zweiten Quartal trat die Wirtschaft in den Euroländern auf der Stelle.
Wird das Wachstum angeschoben, erledigt sich eine andere große Sorge der EZB von selbst - die zu niedrige Inflation. Zuletzt fiel sie auf 0,3 Prozent, weit weg von der Zielmarke von knapp unter zwei Prozent. Dadurch rückte das Gespenst der Deflation näher.
Wirkung der Zinssenkung vernachlässigbar
So weit die Wunschvorstellung der Notenbanker. Da aber die letzten Zinssenkungen kaum positive Wirkung auf die Konjunktur entfalten konnten und der jetzige Schritt nur minimal ausfällt, zweifeln die meisten Ökonomen am Sinn der Entscheidung. Für Marco Bargel, Chefvolkswirt der Postbank, zeige der Schritt allenfalls, wie weit die EZB zu gehen bereit sei. "Das ist eher ein symbolischer Schritt. Die realwirtschaftlichen Folgen sind bescheiden." Nach Meinung des Ifo-Präsidenten Hans-Werner Sinn sitzt die Zentralbank in der Liquiditätsfalle: "Die EZB hatte ihr Pulver schon viel zu früh verschossen und die Zinsen zu weit gesenkt."
Nun ist auch der letzte Rest des zinspolitischen Pulvers verschossen. Doch die EZB hat noch mehr zu bieten. So kündigte Mario Draghi auf der Pressekonferenz an, ab Oktober gebündelte Unternehmensanleihen zu kaufen - im Fachjargon Asset Backed Securities, kurz ABS. Zum selben Zeitpunkt sollen zudem sogenannte gedeckte Anleihen (Covered Bonds) erworben werden. Dazu gehören etwa Pfandbriefe.
Das zeigt die Not, in der die EZB steckt. Denn gerade die verbrieften Wertpapiere gelten als Mitauslöser der Finanzkrise und wurden von der Politik und Notenbanken bekämpft. Daraufhin trocknete der Markt in Europa aus. Diesmal sollen die Papiere aber transparenter und sicherer werden, versicherte die EZB.
EZB im Dilemma
Das wäre die europäische Art der Quantitative Easing (QE), die seit einiger Zeit in den USA und Japan praktiziert wird. Während aber die Zentralbanken in den USA und Japan Monat und Monat Anleihen des eigenen Staates aufkaufen, um so Geld aus dem Nichts zu schaffen, sind Staatsanleihen für die EZB ein rotes Tuch. Bisher hat sie solche Anleihekäufe nur in Notfällen getätigt. Der Grund liegt erstens darin, dass sich die EZB bei ihrer Gründung so etwas selber verboten hat; zweitens besteht die Währungsunion aus 18 souveränen Staaten. Welche Anleihen soll sie erwerben?
Dass jedes Mitglied der Währungsunion bei der Finanz- und Wirtschaftspolitik seine eigenen Brötchen backt, macht Draghi das Leben auch nicht einfach. Sein Aufruf zu mehr Reformen in den Euroländern auf der Pressekonferenz klingt vor diesem Hintergrund kraftlos. Denn die Zeit, die er durch unkonventionelle Maßnahmen und Versprechen der Politik verschafft, wurde vor allem in Italien und Frankreich nicht für Reformen genutzt. Auf der anderen Seite nimmt die EZB genau durch solche Maßnahmen Krisenländern den Reformdruck weg. Ein Dilemma für Mario Draghi.