Terrorkampf ohne Struktur
7. Juli 2008Der Terror hat Europa erreicht, seit Jahren schon. Schnell wurden nach den Anschlägen in London und Madrid Anti-Terror-Pakte beschlossen. Ein EU-Anti-Terror-Beauftragter wurde benannt, und viele Millionen Euro in Projekte gesteckt, die Studien förderten, die widerum seitenlang die Gefahr des internationalen Terrorismus analysierten. "Es gibt so viele neue Projekte, da steigen selbst Experten kaum noch durch", sagt Annegret Bendiek von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Da könne man natürlich die Frage stellen, ob das alles überhaupt Sinn mache. "Es kommt schnell das Gefühl eines gewissen EU-Terror-Hypes auf", sagt sie. "Aber man sollte die versteckten Erfolge nicht unterschätzen." Vor einem Jahr verhinderte Scotland Yard im letzten Moment den Einsatz von Flüssigsprengstoff am Flughafen Heathrow. Die Kofferbomber von Köln waren ebenso wenig erfolgreich wie die Terroristen aus dem Sauerland.
"Sicherheitstheater"
Viele Aktionen der Geheimdienste und Kriminalämter laufen eben versteckt. Und das sei das Problem, so Bendiek. Denn das, was sichtbar ist, ist viel Verwaltung, viel bürokratischer Aufwand und nervig für den Bürger: Videoüberwachung, biometrische Pässe, Flüssigkeitskontrollen an den Flughäfen, Datenspeicherung. "Sicherheitstheater", nennt das Rina Tanges vom Datenschutzverein Foebud, der jährlich die Big Brother Awards verleiht.
"Reiner Aktionismus", sagt Georg Jarzembowski dazu, verkehrspolitischer Sprecher der CDU im Europaparlament. Denn gebannt ist die Terrorgefahr auch mit der Kontrollwut nicht. Darin sind sich alle Experten einig. "Die EU-Kommission hat nur Angst", sagt Jarzembowski. "Angst, dass doch mal was passiert und man dann Schuld sein könnte." Dabei sei der Sicherheitsgewinn bei vielen Aktionen gleich null.
Millionen für Studien
Die Internetseite der EU zum Antiterrorkampf wurde 2006 zuletzt aktualisiert. Ein neues Pilotprojekt gegen Terrorismus wird da beschrieben - von 2005 - was es kostet und wofür. Sieben Millionen Euro für 2006, acht Millionen für 2007. Finanziert werden davon hauptsächlich Studien.
Die Studie "Woher der Terrorismus sein Geld bekommt" kostete beispielsweise 50.000 Euro. 400.000 Euro sollten in die "Internationale Kooperation" gesteckt werden. Aber gerade die funktioniert zu wenig.
Daten-Kontrolle im großen Stil
Einer brachte Schwung in die Sache. Der ehemalige EU-Justiz-Kommissar Franco Frattini, ein braungebrannter Ex-Skilehrer aus Italien, überrollte Brüssel mit einer Anti-Terror-Lawine nach der anderen und brachte die Beamten und Politiker ins Schwitzen.
Frattini hatte hohe Ziele: Ein Überwachungssystem wie in den USA, für ganz Europa. Einen riesigen Datenaustausch, eine Großdatenbank für Terroristen und solche, die dafür gehalten werden. Im November 2007 stellte Frattini sein liebstes Baby vor: Flug-Gast-Daten-Speicherung heißt es und meint: Von jedem Reisenden, der in einen Flieger steigt, sollen 19 persönliche Daten 13 Jahre lang gespeichert werden. Darunter die persönliche Email-Adresse, Anschrift und Kreditkartennummer. Auch wenn in der EU die 13 Jahre lange Speicherung noch diskutiert wird, erhoben und weitergegeben werden diese 19 Daten schon jetzt, zum Beispiel an die USA. Und die speichern dann für 15 Jahre. Die Datenschützer gingen EU-weit auf die Barrikaden, bis jetzt erfolglos.
Oder doch lieber weniger Kontrollen?
Zur ziemlich gleichen Zeit forderte das EU-Parlament, dass die Sicherheitskontrollen an Flughäfen wieder zurückgefahren werden. Damit Menschen wieder ungestörter reisen können. Und das mit den Flüssigkeiten sei nur Schikane, sagt EU-Verkehrssprecher Jarzembowski. "Die Kosten und Verzögerungen an den Flughäfen sind riesig, einen Sicherheitsgewinn gibt es nicht, die EU-Kommission hält trotzdem daran fest", schimpft er. "Ich bin stinksauer."
Zusammenarbeit klappt nicht
Frattini wollte dann lieber wieder in Italien Politik machen. Er ist jetzt Außenminister. Das einzige, was er und sein französischer Nachfolger Jacques Barrot gemein haben, ist die Liebe zum Bergwandern. Barrot ist über 70, unauffällig und findet Datenschutz wichtig. Das hat er bei seiner Antrittsrede gesagt und erzählt freimütig den Journalisten, dass die Zusammenarbeit gegen Terror noch nicht so richtig klappt. "Von manchen Dingen erfährt Europol aus der Presse", sagte er in einem Interview.
Das ist das Problem: Jede Nation will souverän bleiben, wenn es um Sicherheitsfragen geht. Immerhin: Auf der Arbeitsebene in Brüssel habe sich das Miteinander verbessert, sagt Bendiek von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Aber sobald es in nationales Recht und Politik geht, sei Schluss, da reden die Geheimdienste nicht miteinander. "Jeder Geheimdienst hält an seinen Informationen fest und will nur möglichst wenig davon rausrücken", analysiert Jarzembowski. "Da kann Europol ja nicht effektiv arbeiten".
Ein europäisches CIA zur perfekten Zusammenarbeit, das forderten unter anderem Österreich und Belgien, scheiterten aber. "In absehbarer Zeit sehe ich das absolut nicht", sagt Bendiek. "Besonders nach dem Nein der Iren zum EU-Vertrag weht einfach kein politischer Wind für mehr EU-Integration."
Terror-Kampf am Schreibtisch
In dieser Windstille arbeitet der Anti-Terror-Beauftragte der EU. Gilles de Kerchove ist Belgier, ein unaufgeregter Beamter aus dem EU-Appart, der sich nicht aufdrängt. "Mister Terrorism" nennt man ihn in Brüssel leicht ironisch. Er soll die Aktionen der Staaten koordinieren. Doch er hat keine Verfügungsgewalt, ein Mini-Budget und nur ein kleines Mitarbeiter-Team. "Der ist ein reines Placebo", sagt Jarzembowski. "Ein undankbarer Job", sagt Bendiek.
De Kerchove hat den wichtigsten Fassaden-Job der EU. Nachdem sein Vorgänger entnervt das Handtuch geworfen hatte, war der Posten ein halbes Jahr lang nicht besetzt. Dann erbarmte sich De Kerchove. Seinen anderen Job hat er behalten. Er ist Direktor für Justiz und Inneres im EU-Ratssekretariat. Der Job füllt ihn voll aus. Da bleibt für Terror nicht viel Zeit.