Dresdner Friedenspreis geht posthum an Alexej Nawalny
12. Mai 2024Es ist eine hohe Ehre, aber für Alexej Nawalny selbst kommt sie zu spät: Am 16. Februar dieses Jahres war der international bekannte russische Regimekritiker in einem Straflager am Polarkreis unter bislang nicht geklärten Umständen ums Leben gekommen. Jetzt wurde er mit dem renommierten Friedenspreis der Stadt Dresden ausgezeichnet. Nawalnys Witwe Julia Nawalnaja nahm den mit 10.000 Euro dotierten Preis in der sächsischen Landeshauptstadt an der Elbe entgegen.
Nawalnaja: "Putin ist Krieg!"
"Die Welt muss endlich ihre Illusionen und falschen Hoffnungen ablegen und auf diejenigen hören, die all die Jahre vor Putin gewarnt haben", sagt Nawalnaja in ihrer Dankesrede. Mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin sei nicht zu verhandeln: "Man kann ihm kein einziges Wort glauben, er wird niemals aufhören. Putin ist Krieg!" Die Auszeichnung widmete Nawalnaja, die die Organisatin ihres Mannes fortführt, all denjenigen, "die in Russland für den Frieden kämpfen und dabei alles riskieren."
Bei dem Festakt im Dresdner Schauspielhaus wurde ein Requiem des russischen Komponisten Sergej Newski für Nawalny uraufgeführt. Mitglieder des Ensembles des Staatsschauspiels Dresden trugen "Alexej Nawalnys Reden vor Gericht" vor. Die Laudatio hielt Joachim Gauck.
Der ehemalige Bundespräsident hatte Nawalny bereits kurz nach der Todesnachricht als "Ikone aller anständigen Russen" gewürdigt. Nun bezeichnete er Nawalny als "Angstgegner" Putins. Kein anderer Oppositioneller sei so charismatisch gewesen. Kein anderer habe Zehntausende zu Protesten auf die Straße bringen können. Keinem anderen sei es über viele Jahre gelungen, mit unorthodoxen Methoden die Regierung im Kreml derart herauszufordern, sagte Gauck.
Ein Blogger mit Sinn für Humor
Nawalny, 1976 geboren, hatte jahrelang auf Korruption und Missstände in seiner Heimat aufmerksam gemacht und damit weltweit Berühmtheit erlangt. Er überlebte einen Anschlag auf sein Leben und kehrte dennoch in sein Heimatland zurück.
Als Blogger erreichte Nawalny mit seinem subtilen Humor Millionen, vor allem jüngere Russinnen und Russen. Er kämpfte gegen die Korruption im Land - und gegen die Regierung von Wladimir Putin. Damit machte er sich viele mächtige Feinde. Der Kreml tat alles, um ihn aus der Politik herauszuhalten. Trotzdem gelang es Nawalny, landesweit Unterstützerinnen und Unterstützer zu organisieren.
Geschäftsmann, Anwalt, Nationalist
Nawalny begann seine Karriere als Geschäftsmann und Anwalt. Ende der Neunziger Jahre, mit Mitte 20, engagierte er sich in der linksliberalen "Jabloko"-Partei, wurde aber 2007 ausgeschlossen - wegen Konflikten mit der Parteiführung, aber auch wegen seiner nationalistischen Ansichten. In der Folgezeit war er in einer nationalistischen Bewegung aktiv, weshalb er auch in Oppositionskreisen umstritten war.
Einen Anschlag überlebt, trotzdem zurückgekehrt
Für große internationale Aufmerksamkeit sorgte seine Vergiftung im Jahr 2020. Nawalny wurde nach Berlin geflogen, wo er im berühmten Charité-Krankenhaus erfolgreich behandelt wurde und den Anschlag überlebte. Für die Gift-Attacke auf ihn machte er den russischen Inlandsgeheimdienst und Putin persönlich verantwortlich. Der Kreml bestreitet jegliche Verwicklung in den Fall.
Als Nawalny wieder gesund war, entschied er sich dennoch, nach Russland zurückzukehren. Bereits am Moskauer Flughafen wurde er verhaftet und anschließend zu 19 Jahren Haft verurteilt. Im Dezember 2023 galt Nawalny mehrere Wochen als verschwunden. Später wurde bekannt, dass er in ein Straflager im Norden Sibiriens gebracht worden war. Er vermutete, dass er vor der Präsidentschaftswahl im März dieses Jahres isoliert werden sollte. Die Wahl gewann wenig überraschend Amtsinhaber Putin.
Wortgewaltig auch vor Gericht
Zuvor hatte der Oppositionelle immer wieder gegen die Verletzung seiner Rechte in der Haft geklagt. Die Gerichtstermine nutzte Nawalny bis zum Schluss auch dazu, scharfe Kritik an Putins autoritärem System und Moskaus Krieg gegen die Ukraine zu üben. Alexej Nawalny führte einen ungleichen Kampf. Wenige Wochen nach seinem Tod bestätigte sogar Putin selbst, dass es kurz vorher Vorbereitungen für einen Gefangenenaustausch gegeben habe. Warum es nicht dazu kam und ob die Behauptung stimmt, ist offen.
Russland bekämpft Kritiker weiter mit großer Brutalität
Auch nach Nawalnys Tod geht das russische Regime weiterhin mit großer Brutalität gegen System-Kritiker vor. Unterstützer in Großbritannien äußerten sich zuletzt besorgt über den Gesundheitszustand von Wladimir Kara-Mursa engen Wegbegleiter Nawalnys. Der 42-Jährige war im April 2023 wegen "Hochverrats" zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Er hatte in einer Rede in den USA Russland "Kriegsverbrechen" in der Ukraine vorgeworfen. Es ist die längste bekannte Haftstrafe, die je gegen einen Kritiker Putins verhängt wurde. Auch Kara-Mursas Familie und seine Anwälte geben an, der russische Geheimdienst habe 2015 und 2017 versucht, ihn zu vergiften. Seither leide er unter schweren gesundheitlichen Problemen.
"Nawalny wurde zur Gefahr für Putin"
In der Begründung für die Preisverleihung an Nawalny in Dresden heißt es jetzt: "Nawalny hat immer wieder in Wunden der russischen Diktatur gebohrt und wurde zur größten Gefahr für Putin und sein System. Deshalb wurde er zum politischen Gefangenen, dessen Tod stellvertretend für unzählige Menschen steht, die sich für Freiheit und Demokratie in Russland einsetzen."
Den seit 2010 vergebenen Dresdener Friedenspreis vergibt der Verein "Friends of Dresden Deutschland". Er will damit jährlich auch der Bombardierung Dresdens durch alliierte Bomber am 13. Februar 1945 gedenken. Und er soll der Vereinnahmung des Jahrestages durch Rechtsextreme entgegen wirken. Unter den bisherigen Preisträgern sind der letzte Präsident der Sowjetunion, der 2022 verstorbene Michael Gorbatschow, und der argentinisch-israelische Pianist und Dirigent Daniel Barenboim.
Nawalnys Witwe setzt sein Werk fort
Nach Nawalnys Tod ist seine Witwe immer stärker in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Die Todesnachricht erhielt sie am 16. Februar am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz. Dort rief sie dazu auf, Putin zur Rechenschaft zu ziehen. Er und seine Helfer sollten "bestraft werden für das, was sie unserem Land, meiner Familie und meinem Mann angetan haben". Anfang Mai wurde bekannt, dass die Deutsche Welle in diesem Jahr ihren "Freedom of Speech Award" an Julia Nawalnaja vergibt. Der Preis wird Anfang Juni verliehen.
Den seit 2010 vergebenen Dresdener Friedenspreis haben bislang unter anderem der frühere Präsident der Sowjetunion, der verstorbene Michael Gorbatschow, und der Dirigent Daniel Barenboim erhalten.