Lateinamerika: Konkurrenz für Kokain
24. Juli 2022Anfang Februar dieses Jahres wurden in den Krankenhäusern von Buenos Aires innerhalb kurzer Zeit viele Patienten in lebensbedrohlichem Zustand eingeliefert. 24 Menschen hatten gepanschtes Kokain konsumiert und waren an den Folgen gestorben.
Argentinische Behörden sahen sich gezwungen, in den örtlichen Medien dazu aufzurufen, kürzlich gekauftes Kokain auf keinen Fall zu konsumieren. Das Kokain war, wie sich später herausstellte, mit Carfentanyl gestreckt worden.
Das Derivat des Opioids Fentanyl wird normalerweise zur Betäubung von großen Wildtieren eingesetzt, beispielsweise Elefanten. Schon zwei Milligramm – das sind wenige Körnchen – sind für einen Menschen tödlich.
Fentanyl hat im Gegensatz dazu "nur" eine 50 mal stärkere Wirkung als Heroin und eine 100-mal stärkere als Morphin. Dennoch hat sich die synthetische Droge in den vergangenen Jahren zu einem Exportschlager der mexikanischen Drogenkartelle entwickelt.
Billige Produktion, hohe Gewinne
Einer der Gründe sind die geringeren Herstellungskosten im Vergleich zu traditionellen Drogen. Laut mexikanischen Medienberichten scheint das berüchtigte mexikanische Drogenkartell von Sinaloa mittlerweile mehr Gewinne mit Fentanyl einzufahren als mit Kokain oder anderen Drogen.
Anfang Juli beschlagnahmten mexikanische Soldaten in der Stadt Culiacán die Rekordmenge von 543 Kilo Fentanyl. "Es handelt sich um die größte Beschlagnahmung dieser tödlichen Droge in der Geschichte Mexikos", verkündete der Vizeminister für öffentliche Sicherheit, Ricardo Mejía, nach der Aktion stolz.
Bereits im Mai hatte Mejía in einer Pressekonferenz erklärt, warum Fentanyl so lukrativ für die mexikanischen Drogenkartelle ist. Nach seinen Angaben braucht man für die Herstellung eines Kilogramms nur zwei Stunden. Der Durchschnittspreis pro Kilogramm Fentanyl in Mexiko liege bei 5000 Dollar. In US- amerikanischen Städten wie Los Angeles würde die gleiche Menge für 200.000 Dollar verkauft.
Lukrativer Absatzmarkt Mexiko
Vor dem Hintergrund der andauernden Opioidkrise in den USA mit mehr als 107.000 Todesopfern allein 2021, widmeten sich auch die Präsidenten Mexikos und der USA, Manuel López Obrador und Joe Biden, dem Thema. Bei ihrem Treffen am 13. Juli in Washington vereinbarten sie größere Anstrengungen und mehr Kooperation beim Kampf gegen synthetische Drogen.
Mexiko entwickelt sich immer mehr von einem Transitland für Drogen aus den Andenländern Lateinamerikas zu einem wachsenden Konsummarkt. Laut dem jüngsten UN-Weltdrogenreport, der jährlich zum Weltdrogentag am 26. Juni veröffentlicht wird, stieg in Mexiko die Zahl der Personen, die sich zwischen 2013 und 2020 wegen des Konsums von synthetischen Drogen in Behandlung befanden, um 218 Prozent.
"Mexiko ist das einzige Land auf dem amerikanischen Kontinent, in dem amphetaminartige Stimulanzien bei gesundheitlichen Problemen, die eine medizinische Behandlung erfordern, zur Hauptursache geworden sind", sagte Sofia Diaz. Die Landeskoordinatorin für Mexiko beim UN-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) wies während der Präsentation des World Drug Report 2022 daraufhin, dass zu den amphetaminartigen Stimulanzien neben Fentanyl auch Ecstasy und Crystal Meth gehören.
COVID und Drogenkonsum
Der Vormarsch der synthetischen Drogen in Mexiko ist bemerkenswert auf einem Kontinent, der laut UNODC eigentlich vom Cannabis- und Kokainkonsum geprägt ist. In Argentinien, Kolumbien, Peru, Venezuela und in fast ganz Mittelamerika ist nach wie vor der Konsum von Marihuana die Hauptursache für medizinische Behandlung. In Kanada, Chile, Uruguay und Paraguay hingegen spielt Kokain die Hauptrolle.
Die Herstellung von und der Handel mit synthetischen Drogen in Lateinamerika "nimmt viel schneller zu" als der mit natürlich vorkommenden Drogen, warnt Koordinatorin Diaz. Diese Einschätzung wird durch einen Bericht des mexikanischen Gesundheitsministeriums von Januar 2022 betätigt.
Demnach sei der generelle Drogenkonsum in Mexiko zwischen 2010 und 2019 um 22 Prozent gestiegen. Die jüngste COVID-Pandemie habe den Drogenkonsum in Mexiko zusätzlich erhöht.
Die groß angelegte Studie "VoCes-19" verschiedener Institutionen in Mexiko mit Befragungen unter 55.000 Jugendlichen im Herbst 2021 kam zu dem Ergebnis, dass die COVID-19-Pandemie und die damit verbunden Depressionen und Angstzustände bei Jugendlichen den Konsum von Drogen verstärkt habe. Demnach sei der Konsum von Opioiden und Marihuana unter jungen Menschen in den Monaten der Pandemie im Land um zwischen 18 und 21 Prozent gestiegen.