"Drogenfreie Welt kaum zu erreichen"
6. April 2016Deutsche Welle: Als eines der wichtigsten Ergebnisse der Drogenstudie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung haben Sie hervorgehoben, dass noch nie so wenige Jugendliche geraucht haben wie im vergangenen Jahr. Auch der regelmäßige Alkoholkonsum unter Jugendlichen sinkt der Studie zufolge. Worauf führen Sie diese Entwicklung zurück?
Marlene Mortler: Ich führe diesen Erfolg darauf zurück, dass junge Menschen sich sagen: Das Rauchen gehört nicht mehr zu meiner Lebenswelt. Aber entscheidend warum die das sagen ist, dass wir sehr viel Präventionsarbeit angeboten haben in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten - vor allem mit Hilfe der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Hier haben wir Schulklassen, Mädchen, Jungs altersgerecht und zielgruppengerecht erreicht. Ich sehe das als Bestätigung unserer guten Präventionsarbeit. Ich sehe es aber auch als Aufforderung, dass wir in dieser Präventionsarbeit weiter machen müssen.
Die Studie zeigt aber auch: Die illegale Droge Cannabis ist weiter beliebt. Jeder dritte junge Erwachsene hat Erfahrungen mit der Droge. Zeigen möglicherweise die Erfolge beim Tabak- und Alkoholgebrauch, dass ein gesundheitspolitisch orientierter Ansatz weiter führt als ein Verbot?
Wenn wir jetzt Cannabiskonsum alleine auf die strafrechtliche Seite ziehen werden wir der Tatsache nicht gerecht, dass die Substanz Cannabis keine harmlose Droge ist. Die vielen Störfeuer, die wir in den letzten Monaten in Richtung Legalisierung erlebt haben, tragen wahrscheinlich auch dazu bei, dass man inzwischen denkt: 'Na ja - kann ja alles nicht so schlimm sein.' Mein Weg ist klar: Ich habe die Gesundheit der jungen Menschen im Blick. Und ich sage ausdrücklich: Je jünger Menschen mit dem Konsum beginnen, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie gesundheitliche Schäden davon tragen - manche vorübergehend, andere ein Leben lang.
Bei der Legalisierungsdiskussion geht es doch vor allem darum: Geht man präventiv vor, also gesundheitspolitisch orientiert - wie Sie es ja erfolgreich bei Alkohol und Tabak machen - oder eben strafrechtlich. Nun ist es doch so, dass trotz strafrechtlicher Verfolgung, die Menschen weiter zu Drogen greifen und diese auch vorhanden sind. Wie passt das zusammen?
Ich kann auch anders argumentieren und sagen: Es gibt eine viel größere Anzahl von Jugendlichen, die konsumiert Cannabis nicht, weil es verboten ist. Auch das wird in Gesprächen immer wieder deutlich. Zweitens folgende Botschaft: Kein Land in Europa geht noch mit Hilfe der Strafverfolgungsbehörden massiv gegen Konsumenten vor. Ich muss die Verhältnisse zurechtrücken. Wir haben einerseits weltweit noch die Todesstrafe wenn es um kleine oder geringste Mengen geht von illegalen Drogen. Hier in Deutschland, aber auch in Europa, haben wir ein weites Feld an anderen Möglichkeiten: Hilfe statt Strafe, Therapie statt Strafe. Und deshalb plädiere ich weiter dafür, dass wir das Thema Cannabiskonsum nicht verharmlosen.
Am 19. April tritt in New York eine Sondersitzung der Generalversammlung der Vereinten Nationen zusammen, um über das Weltdrogenproblem zu diskutieren. Die Initiative zu dieser Sondersitzung ging von Staaten Lateinamerikas aus, die besonders unter den Folgen des jahrzehntelangen "Kriegs gegen die Drogen" zu leiden haben - wie etwa massive Gewalt, massive Korruption, überquellende Gefängnisse. Mit welcher Position fährt die Bundesregierung nach New York?
Wir haben eine ganz klare Position, die wir innerhalb Europas abgestimmt haben. Es werden jede Menge Regierungsdelegationen aus der ganzen Welt anwesend sein. Die große Frage ist jetzt: Wie bringe ich die unterschiedlichen Positionen zusammen. Länder, die weiterhin auf die Todesstrafe bestehen. Und unseren Ansatz, dass Prävention am Anfang steht und eine ganz wichtige Säule im Zusammenhang mit Drogenkonsum ist. Für uns ist es wichtig, dass wir der Realität ins Auge sehen und sagen: 1998 hat man noch von einer 'drogenfreien Welt' gesprochen. Dieses Ziel ist nobel, aber es ist kaum erreichbar! Deshalb steht für uns die Gesundheit des Menschen absolut im Vordergrund, nicht die Bestrafung.
Ich freue mich zum Beispiel, dass wir es geschafft haben, in einem gemeinsam verabschiedeten Dokument dem Thema Prävention auf internationaler Ebene noch einen höheren Stellenwert zu verschaffen. Dass wir auch das Thema Behandlung von Drogenabhängigen international mehr im Blick haben wollen und sollen. Ein Beispiel: In den USA geht der Heroinkonsum massiv nach oben - die Todeszahlen steigen. Jetzt haben die Amerikaner gesagt: Was macht ihr in Deutschland? Wir wissen, dass hier eine hervorragende Substitution (Versorgung von Heroinkranken mit Ersatzstoffen wie Methadon, Anm.d.Redaktion) existiert. Können wir bei euch etwas abschauen? Wir brauchen dringend eure Hilfe. Diese Vernetzung am Beispiel Heroin und Substitution zeigt ganz deutlich, dass einer vom anderen lernen kann.