Droht der Türkei der Fußball-Exitus?
22. Juli 2016Als es vor wenigen Wochen beim Terroranschlag am Istanbuler Atatürk-Flughafen zu einer verheerenden Explosion kam, hatte der ehemalige Schalker Bundesliga-Profi Roman Neustädter mehr als nur Glück. Er entging dem Anschlag nur knapp: Neustädter landete etwa eine Stunde vor der Detonation. Dennoch entschied sich der 28-Jährige russische Nationalspieler für einen Wechsel in die Türkei. Mittlerweile trägt er das Trikot seines neuen Arbeitgebers Fenerbahce Istanbul.
Doch anders als Neustädter denken immer mehr Fußballprofis spätestens nach dem jüngsten gescheiterten Putschversuch mit mehreren hundert Todesopfern über einen Abschied vom Bosporus nach. Nationalspieler Mario Gomez machte "einzig und allein die schrecklichen Geschehnisse der letzten Tage" für seinen Weggang von Meister Besiktas Istanbul verantwortlich. Auch der frühere Bayern-Spieler José Sosa möchte nicht zu Besiktas zurückkehren. "Meine Ehefrau hat Angst, in Istanbul zu leben. Ich habe auch Angst um meine Töchter. Meine Priorität ist meine Familie", sagte der Argentinier.
Beck und Röber bewahren die Ruhe
Ob weitere Stars der Türkei den Rücken kehren werden, ist noch offen. Andreas Beck, ein anderer ehemaliger Bundesliga-Profi in Diensten von Besiktas, ließ sich zumindest von den Bombenanschlägen bislang nicht verunsichern: "Das waren natürlich schreckliche Bilder, die niemanden kalt lassen", sagte er Mitte Juli in einem Interview mit dem Online-Portal "echo24.de" im Bezug auf die Terrorakte in Istanbul. "Aber: Die Istanbuler lassen sich nicht unterkriegen. Das ist die absolut richtige Einstellung. Ich persönlich versuche mich nicht zu sehr davon beeinflussen zu lassen."
Hautnah dabei war in der Nacht des Putschversuchs der ehemalige Bundesliga-Trainer Jürgen Röber. Es sei "dramatisch" gewesen, sagte Röber, der als Sportdirektor beim Erstligisten Osmanlispor aus Ankara arbeitet, dem "Kicker": "Über meinem Hotel flogen ständig Kampfjets. Es gab kaum Nachrichten. Niemand wusste, was passiert da jetzt." Gefragt, ob er darüber nachdenke, die Türkei nun zu verlassen, sagte Röber: "Eigentlich nicht. Ich bin in einer Position, die mir großen Spaß macht. Mein Vertrag hier läuft jetzt noch ein Jahr und dann sehen wir weiter." Nach Verunsicherung oder gar Panik klingt das nicht.
Was macht Podolski?
Anders als bei Gomez ist die Situation im Fall Lukas Podolski, der für den türkischen Pokalsieger Galatasaray Istanbul spielt. Er soll einen Wechsel in der Vergangenheit unter dem Eindruck der zahlreichen Terroranschläge zumindest in Erwägung gezogen haben. Allerdings hat Podolski einen gültigen Vertrag bei Galatasaray, Gomez war dagegen nur für eine Saison vom AC Florenz an Besiktas ausgeliehen. Podolski müsste auf die Freigabe seines Vereins hoffen oder seinen Vertrag außerordentlich kündigen, sollte er wirklich sofort weg wollen. Eine solche einseitige Kündigung ist aber gar nicht so einfach.
Denn im internationalen Fußball gilt das FIFA-Reglement. Da der Weltverband seinen Sitz in Zürich hat, richtet man sich in Vertragsangelegenheiten nach Schweizer Recht. Und das besagt: Wer einen Vertrag kündigt, der muss mit einer Strafe rechnen - möglich wären beispielsweise eine Sperre oder Schadenersatz. Sollten vom wechselwilligen Spieler politische Umstände im Land seines Vereins als Kündigungsgrund angegeben werden, würde das aber zumindest berücksichtigt.
Kruse auf dem Sprung
Die Wahrscheinlichkeit, dass Podolski zunächst bei Galatasaray bleibt, ist daher recht hoch. Und möglicherweise bekommt er mit Max Kruse demnächst einen deutschen Mitspieler. Der ehemalige Nationalstürmer hatte zwar in der vergangenen Woche einen Wechsel vom VfL Wolfsburg nach Istanbul aufgrund der angespannten politischen Situation noch ausgeschlossen. Wie die "Bild"-Zeitung berichtet, hat sich das mittlerweile aber wieder geändert. Kruse soll auf ein Angebot warten, es wird über eine Ablösesumme von neun Millionen Euro spekuliert.