Zugluft statt Gemütlichkeit
14. März 2013
Mit drei paar Socken an den Füßen sitzt Adel Khalifi in seinem Bonner Wohnzimmer. Die Fensterfront im Rücken ist nicht gut abgedichtet, sagt er. Der Raum würde nicht richtig warm, auch wenn der Regler der Heizung ganz aufgedreht sei. "Die Wohnungen sind hier alle 30 Jahre alt und teilweise verschimmelt - das weiß ich auch von den Nachbarn", erzählt Schwiegertochter Sonja Khalifi: "Wenn wir uns beschweren, wird jemand geschickt, der einfach sagt: 'Ach, das ist ja nicht so schlimm, das wischt ihr einfach ein bisschen weg und fertig - und es ist jedes Jahr das gleiche." Sie zeigt auf eine Stelle am Fuße des Wohnzimmerschranks, wo ihr Mann vor einiger Zeit eine unerfreuliche Entdeckung machte: "Bei uns ist der Boden jetzt mittlerweile gewechselt worden, aber in den anderen Wohnungen hier, da ist alles noch mit Asbest verseucht. Die Wohnungen sind einfach in einem desolaten Zustand, aber es wird nichts renoviert."
Während der zweiwöchigen Erneuerung ihres Bodens musste die fünfköpfige Familie bei Adels Vater wohnen. Dieser kam 1965 aus Tunesien nach Deutschland und gründete hier seine Familie. Ahmed Khalifi hat dieselbe Vermietungsgesellschaft wie sein Sohn und kennt die Probleme mit den Heizkörpern. Nun sitzt er neben seinem Sohn und blickt auf die Briefe auf dem Tisch, die der Mieterbund für sie aufgesetzt hat: Seit Jahren beschweren sich beide vergebens über die diversen Missstände ihrer Wohnungen. Die Vermietungsgesellschaft möchte die Vorwürfe prüfen.
Migranten wohnen oft beengt
In Backnang in Baden-Württemberg waren bei einem Wohnungsbrand am vergangenen Wochenende eine türkische Frau und sieben ihrer Kinder gestorben. Die Ermittler vermuten einen technischen Defekt als Ursache. Angehörige der Opfer hatten dem Vermieter und den deutschen Behörden schwere Vorwürfe gemacht. Die elektrischen Leitungen in der Wohnung seien total marode gewesen, sagte etwa die Großmutter der sieben getöteten Kinder. Der Vermieter habe sich aber nicht darum gekümmert. Einzige Heizquelle in der Wohnung war ein Holzofen. Und dem Vernehmen nach gab es dort kein warmes Wasser.
Der Unglücksfall von Backnang rückt die Frage nach den Wohnverhältnissen von Migranten in Deutschland wieder einmal in den Vordergrund. Noch in den 70er Jahren sei dies ein großes Thema gewesen, während es heute eher Nischenstatus habe, sagt Sybille Münch, Expertin für soziale Räume und Zuwanderung an der Universität Darmstadt. Dies habe auch damit zu tun, dass sich die Ausstattung der Wohnungen von Migranten in den vergangenen Jahren an die von Menschen ohne Migrationshintergrund angeglichen habe. "Nichtsdestotrotz ist die Versorgung mit Wohnraum bei Migranten noch deutlich schlechter als bei der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund - zum Beispiel was den Preis für die Mietfläche angeht", sagt Sybille Münch im DW-Interview. Laut Integrationsindikatorenbericht der Bundesregierung zahlten die Menschen mit Migrationshintergrund rund 30 Eurocent mehr pro Quadratmeter Wohnraum als die Gesamtbevölkerung.
Familie Khalifi wohnt mit fünf Personen auf 78 Quadratmetern und hatte die Vermietungsgesellschaft bereits vor zwei Jahren um eine größere Wohnung gebeten: "Die haben uns aber gesagt, dass sie keine andere Wohnung haben", erzählt Ahmed Khalifi. Dabei vermiete die Gesellschaft in ganz Bonn und auch in Frankfurt. Aber es gebe eben keine Warteliste für frei werdende Unterkünfte. "Da wird zwar irgendwo eine Wohnung frei, aber man bekommt das nicht mit", fügt Mutter Sonja hinzu. "Natürlich gibt es genug Wohnungen, die größer sind, aber da können wir die Miete nicht mehr zahlen." Das ihre Gesellschaft relativ günstig vermiete, sei ein Grund dafür, dass viele Migranten hier wohnten, meint sie.
Auch Diskriminierung ein Grund
Die vergleichsweise schlechte Wohnsituation von Migranten habe auch damit zu tun, dass sie vor allem in Ballungsgebieten angesiedelt seien und es daher mit einem schwierigem Wohnungsmarkt zu tun hätten, so Sybille Münch von der Universität Darmstadt. Oft verdienten Migranten auch schlechter und hätten größere Familien als die Mehrheitsbevölkerung. "Aber in den letzten Jahren stellt sich immer deutlicher heraus, dass wir es auch mit Diskriminierung am Wohnungsmarkt zu tun haben." Die Expertin erzählt von einem Fall, bei dem der Dortmunder "Planerladen", ein Verein zur Förderung demokratischer Stadtplanung, für eine Studie Bewerbungen von fiktiven Migranten und Deutschen für Wohnungen herausgeschickt habe. Alle wären fehlerfrei gewesen, aber die fiktiven deutschen Bewerber bekamen deutlich mehr Rückmeldungen als die Migranten.
Ob ihre tunesischen Wurzeln bei den Problemen mit den Vermietern eine Rolle spiele, kann Familie Khalifi nicht eindeutig sagen: "Wenn man diskriminiert wird, ist das ja sehr versteckt. Aber wenn ich 'Khalifi' heiße, ist das natürlich anders als wenn ich 'Müller' heiße", meint Vater Adel. Er blickt auf seinen Sohn, der gerade im Kinderbuch "Der Struwwelpeter" blättert. Dann nimmt er es und schlägt das Kapitel "Die Geschichte von den schwarzen Buben" auf: "Wenn den Kindern schon von frühauf beigebracht wird, dass man zwischen den 'weißen' und den 'schwarzen Buben' unterscheiden muss, wie sollen wir als Eltern ihnen dann glaubhaft machen, dass es keine Diskriminierung gibt und Integration einfach ist?"