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Politik

DW-Exklusiv: Türkische NATO-Offiziere in Gefahr

Teri Schultz
6. Dezember 2016

Zahlreiche türkische NATO-Militärs in Belgien sind entlassen worden. Sie werden mit dem gescheiterten Putsch in Zusammenhang gebracht. Was wird aus ihnen - und aus ihrem Land? Teri Schultz hat mit einigen gesprochen.

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NATO berät über Lage der Türkei
Bild: picture-alliance/dpa/J. Warnand

Beim Treffen der NATO-Außenminister am Dienstag in Brüssel wurden eine ganze Reihe hoher Offiziere nicht mehr in den Konferenzbereich hereingelassen. Es handelt sich um mehrere Dutzend ranghohe türkische Militärs, die bisher beim NATO-Sitz in Brüssel oder beim militärischen Hauptquartier in Mons stationiert waren. Sie gehören zu den mehr als 125.000 Personen, die der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hinter dem gescheiterten Putsch gegen ihn vermutet. Erdogan nennt sie "Terrorsoldaten".

Mehrere von ihnen haben sich unter der Bedingung, dass sie anonym bleiben, einverstanden erklärt, mit der Deutschen Welle zu sprechen. Sie wollen vor allem wissen, ob einige der Außenminister ihren türkischen Amtskollegen Mevlut Cavusoglu nach Einzelheiten der Entlassungen fragen, was mit ihnen geschehen wird und wie Cavusoglu dem Bündnis erklären wird, dass die NATO ohne einige ihrer bestausgebildeten Spezialisten auskommen kann.

Türkei Orden eines NATO Generals aus der Türkei
Ihre türkischen und NATO-Militärabzeichen gelten nicht mehrBild: DW/T. Schultz

Sie beteuern ihre Unschuld

Die meisten von ihnen wurden im Westen ausgebildet. Einige haben Doktortitel und Diplome von amerikanischen Universitäten und Institutionen und eine lange Erfahrung als NATO-Offiziere. Sie alle sagen, sie hätten nichts mit dem Putschversuch gegen die Regierung Erdogan zu tun, diesen sofort verurteilt und weiter als loyale militärische Vertreter der türkischen Regierung gearbeitet. Dennoch tauchte einer nach dem anderen auf Listen von Verdächtigen auf, die Ankara an die türkischen Auslandsmissionen weitergab, normalerweise freitags spät.

In Briefen, die den Listen beigefügt gewesen seien, so die betroffenen Offiziere, habe man sie aufgefordert, ihre NATO-Ausweise und Diplomatenpässe zurückzugeben, ihnen stehe nur noch ein Dokument für die Rückreise nach Ankara zu. Die meisten wurden aufgefordert, diese Rückreise binnen drei Tagen nach Erhalt des Briefes anzutreten, bei einigen war die Frist noch kürzer. Es seien keine Anklagen erhoben worden, sagen die Offiziere, es habe lediglich Listen mit Namen, Rängen und Dienststellen gegeben und die Information, dass die Genannten suspendiert oder entlassen worden seien.


 

Ein Offizier verschwindet

Zunächst, sagt ein Offizier, hätten er und andere vorgehabt, den Aufforderungen zu folgen: "Unsere erste Reaktion war, zurückzugehen und uns zu verteidigen, weil wir uns keinerlei gegen die Regierung gerichteter Vergehen schuldig gemacht hatten." Sie hätten sich in dem Bewusstsein von ihren NATO-Kollegen verabschiedet, dass sie nach einer lebenslangen hohen Karriere im Militär rasch ihre Unschuld beweisen und zu ihren NATO-Posten zurückkehren würden. "Dann hörten wir, dass 17 unserer Kollegen, die in die Türkei gereist waren, verhaftet worden waren", sagt der Offizier. "Daher hielten wir es für besser, abzuwarten."

Ein in Brüssel stationierter Offizier befand sich auf keiner der Listen. Er beschloss, als er zu einer Sitzung in Ankara beordert wurde, dorthin zu reisen, denn er dachte, wenn er sich weigere, werde er sich verdächtig machen. Das war vor sechs Wochen. Seitdem hat seine Frau nicht mehr mit ihm gesprochen. Während ihre kleineren Kinder in der Nähe spielen, erzählt sie traurig, wie verzweifelt sie versucht habe, vom türkischen NATO-Vertreter in Brüssel etwas herauszubekommen, als ihr Mann nicht zurückgekehrt sei und sie ihn auch telefonisch nicht habe erreichen können. Sie habe schließlich von der Ehefrau eines anderen erfahren, der erzählt habe, man habe den Offizier nach der Sitzung im Regierungsgebäude in Ankara festgenommen, doch bis heute gebe es keine offizielle Erklärung zu der Verhaftung.

Der Sold ihres Mannes wurde gestoppt, als er verschwand. Die Ehefrau hat keine Möglichkeit, ihre drei Kinder längerfristig zu versorgen. Ihr Schwiegervater in der Türkei durfte ihren Mann schließlich im Gefängnis besuchen. Seine Botschaft an sie: Bleib in Belgien.



Auch das Ausland ist nicht sicher

Doch selbst das ist riskant. Die entlassenen Offiziere sagen, Präsident Erdogan habe gedroht, dass diejenigen, die sich dem Befehl, in die Türkei zurückzukehren, widersetzen, zur Strecke gebracht würden. Die meisten haben seit September keinen Sold erhalten, daher leben sie von Erspartem, verkaufen ihre Autos oder andere Besitzgegenstände. Sie sind in kleinere Wohnungen umgezogen, einmal, um Geld zu sparen, aber auch, damit die Regierung ihre Adressen nicht mehr kennt. Manche haben politisches Asyl in Belgien beantragt; Kollegen, die auf dem deutschen NATO-Stützpunkt Ramstein stationiert waren, haben dasselbe in Deutschland getan.

Einer der Offiziere hat einen Abschiedsbrief an seine NATO-Kameraden geschrieben, den er den "stillen Schrei eines türkischen Offiziers" nennt. Er hat uns den Brief gezeigt:

"Wie für meine anderen türkischen Kollegen auch bedeutet die Entlassung nicht nur, dass ich meine Arbeit verliere. Damit habe ich auch fast alle meine militärischen Ausweise, meinen Reisepass, meine Krankenversicherung, meine Bankkonten, Rentenansprüche und so weiter verloren. Und, was noch schlimmer ist, ich stehe auf mich gestellt ohne Vergangenheit und leider auch ohne Zukunft da. Doch wir, das türkische Volk, haben jetzt die Werte der Achtung menschlicher Würde, der Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und des Respekts der Menschenrechte verloren. Mein persönlicher Verlust ist nichts, verglichen mit dem Verlust, den mein Land zu erleiden hat."

Türkei Liste der entlassenen Staatsbediensteten inklusive Sicherheitskräfte
...wie sie offiziell verkündet wurde
Türkei Liste der entlassenen Staatsbediensteten inklusive Sicherheitskräfte
Ein Teil der Liste von tausenden entlassenen Sicherheitskräften...

Mangelhaftes Ersatzpersonal

Der Verlust ist aber auch unter nichttürkischen NATO-Offizieren spürbar, die früher mit den inzwischen entlassenen Kollegen zusammengearbeitet haben. Einer von ihnen sagte der Deutschen Welle, das Personal, das die türkische Regierung als Ersatz entsende, genüge nicht NATO-Standards. Auch er wollte seinen Namen wegen des heiklen Themas nicht nennen. Er sei, so sagte er, auch deshalb sehr beunruhigt, weil die Türkei sich offenbar über ihre NATO-Verpflichtungen hinwegsetze, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte zu achten.

Doch die Türkei ist anscheinend ein zu wichtiger Partner, als dass die NATO allzu viel Ärger machen würde. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der wiederholt darauf angesprochen wurde, sagte nur, die Sorgen seien gegenüber der türkischen Regierung "angesprochen" worden. Ob ihn die Antworten zufriedengestellt hätten, verriet er nicht.



Nils Melzer, der UN-Sonderberichterstatter zu Folter, kehrte nach einem Inspektionsbesuch in der Türkei vergangene Woche nicht gerade beruhigt zurück und warf der Regierung nach dem Putschversuch ein zu hartes Vorgehen gegen Menschen aus allen Berufsgruppen vor. Melzer schrieb in seinem Bericht über die Gefängnisse, in denen Tausende von festgenommenen Bürgern sitzen, von einem "Folter förderlichen Klima".

Türkei Erdogan bringt Ausweitung des Ausnahmezustands auf ein Jahr ins Spiel
Präsident Erdogan hat nach dem Putschversuch Zehntausende entlassen, suspendiert, verhaftetBild: AFP/Getty Images

Die NATO will keinen Ärger

Der amerikanische NATO-Botschafter Douglas Lute erklärte in Brüssel, "statt der Türkei Standards zu diktieren", hätten die NATO und die USA beschlossen, der Türkei "das Vertrauen auszusprechen". "Wir haben gemeinsame Werte; sie stehen in der Präambel des Washingtoner Vertrages", erinnerte Lute. "Wir erwarten, dass sich alle 28 NATO-Mitglieder an diese Standards halten, denn sie sind nicht nur gegenüber anderen an Vertragsverpflichtungen gebunden, diese liegen auch in ihrem eigenen Interesse."

Ein türkischer Offizier stellte resigniert fest, bei solchen Ansichten fühle er sich verkauft, sowohl von seiner eigenen Regierung als auch von der NATO. Ein anderer fügte hinzu, das Bündnis sei nur so stark wie sein schwächstes Glied; sie alle glauben, das Mitgliedsland mit der zweitgrößten NATO-Armee sei jetzt das schwächste Glied.