"Pegida, das Forum der Gescheiterten"
21. Januar 2015Deutsche Welle: Herr Eckert, "Wir sind das Volk" hieß es 1989 in Leipzig. Es war das Motto der Bürgerrechtler, die letztlich die DDR zum Einsturz brachten. Sie waren damals mit dabei. Jetzt skandieren das auch die Pegida-Aktivisten in Dresden. Dürfen die das?
Rainer Eckert: Nicht nur in Dresden, auch in Leipzig. Man kann es in einem freien Land nicht verbieten, es ist auch rechtlich nicht geschützt, insofern dürfen sie es. Es ist trotzdem ärgerlich. Es war der Ruf der friedlichen Revolution gegen die Diktatur 1989, jetzt nutzen das die Pegida-Marschierer für ganz andere Ziele.
Sehen Sie denn überhaupt irgendwelche Schnittmengen zwischen den Montagsdemonstranten von 1989 und der Pegida-Bewegung 2014/2015?
So gut wie überhaupt nicht, muss ich sagen. Es ging damals um den Kampf für Freiheit und Demokratie und heute ist es ein dumpfes Gebräu, ein dumpfes Gemisch aus Fremdenhass, teilweise auch mit anti-islamischen Tendenzen. Es herrscht einfach nur diffuser Frust, eine allgemeine Wut. Wenn man die Leute am Rande der Demonstrationen hört, wird oft gesagt: "Wir sind betrogen worden", die Kommunisten haben uns aber genauso betrogen. Es geht gegen die "Lügenpresse", obwohl wir eine freie Presse haben. Da passt vieles nicht zusammen.
Es gibt einen Dissens darüber, ob Pegida ein berechtigter Bürgerprotest ist, sozusagen aus der Mitte der Gesellschaft kommt, oder ob das nur eine braun gefärbte, rassistisch motivierte Generalkritik an allem Möglichen ist?
Soweit ich das beobachten konnte, gibt es drei größere Gruppen. Die eine ist aus der Mitte des Bürgertums. Wohlsituierte Bürger, die allgemein unzufrieden sind, das ist die wahrscheinlich kleinste Gruppe. Dann eine relativ große Gruppe Gewaltbereiter, die aus dem Umfeld der Fußballhooligans stammen dürfte. Und die größte Gruppe dürften die sein, die sozial am Rande der Gesellschaft stehen und die 1989 andere Erwartungen hatten, die für sie persönlich nicht in Erfüllung gingen. Keine SED-Anhänger, um das ganz klar zu sagen, sondern Menschen, die sehr spät begonnen haben, sich an der friedlichen Revolution zu beteiligen und dann hofften, möglichst schnell auf das gleiche Niveau, auch im persönlichen Leben, wie die Altbundesbürger zu kommen. Die waren dann enttäuscht. Viele von denen wurden oder sind arbeitslos oder leben von Hartz IV. Das vermischt sich jetzt zu einer diffusen Wut.
Stimmt der Eindruck, dass die Pegida-Bewegung vor allem genährt wird durch die Erfahrungen nach 1989 und weniger mit denen vor 1989?
Ja, ich denke es sind die Erfahrungen nach 1989. Obwohl viele der Meinung sind, das hätte viel mit dem DDR-Erbe zu tun oder mit dieser Prägung. Das allerdings vermag ich nicht zu erkennen.
Wie spezifisch östlich ist Pegida und warum ist Dresden für diese Bewegung der Dreh- und Angelpunkt?
Dass es östlich ist, ist klar, weil sich die Erfahrung der Ostdeutschen nach 1989 - natürlich nicht aller Ostdeutschen - darin widerspiegelt. Ein Teil eben derer, die sich unter neuen wirtschaftlichen Bedingungen nicht durchsetzen konnten, nicht erfolgreich waren. Warum es gerade von Dresden ausgeht, das ist eine der wichtigsten und spannendsten Fragen, die, wie ich glaube, bis jetzt noch nicht beantwortet werden kann.
Es geht bei den Protesten um Themen wie die Energiewende, die Rente, das Asylrecht, die Schule, die Ukraine, den Euro und die EU - also die große und kleine Politik: Was ist das Kernproblem bei soviel Unzufriedenheit?
Es ist ein wildes Gemisch. Die Angst vor dem Islam, der Islamisierung, spielt, glaube ich, eine Rolle, aber nicht die entscheidende. Aus meiner Beobachtung heraus ist es die Unzufriedenheit mit der eigenen konkreten Lage, gesellschaftlich und sozial, in der man sich befindet. Die Diskrepanz zwischen den Erwartungen von 1989 und dem Gefühl von heute, eigentlich nichts erreichen zu können über die etablierten Parteien oder Gewerkschaften. Und das ist eigentlich auch das Ärgerliche, dass da vor allem Leute mitmachen, die es noch nie probiert haben in einer Organisation, einer politischen Partei wirklich tätig zu werden.
Wie sollen wir denn umgehen mit der Pegida-Bewegung und den einzelnen Menschen, die da mitlaufen? Die politischen Parteien sind da ja ein bisschen gespalten darüber, ob man mit denen überhaupt reden sollte.
Ich bin für den Dialog. Die Frage ist allerdings, wie der Dialog zu organisieren ist. Über Wochen gab es ja gar keine Ansprechpartner, das hat sich ja erst kürzlich geändert, als Pegida-Vertreter Auftritte in den Medien hatten. Aber wen lädt man ein? Wer steht denn für was? Es ist in Dresden versucht worden, so ein offenes "Hearing" zu organisieren, unter dem Motto: jeder kann sagen was er will. Ob das der richtige Weg ist, weiß ich nicht. Ich denke, hier wird noch etwas experimentiert werden und nachgedacht werden müssen, um zu klären, wie man miteinander ins Gespräch kommt. Nur Polizeieinsatz, Abgrenzung und Gegendemonstration - das ist zu wenig.
Professor Rainer Eckert, Bürgerrechtler in der ehemaligen DDR, ist Direktor des Zeitgeschichtlichen Forums in Leipzig. Das Forum samt Museum erinnert unter anderem an die Geschichte der friedlichen Revolution von 1989, die in Leipzig ihren Ausgangspunkt hatte.
Das Gespräch führte Volker Wagener.