Polizei droht Überforderung
21. Januar 201560.000 Demonstranten hatte die islamkritische Pegida-Bewegung für Mittwoch in Leipzig angemeldet. Mehr als 4000 Polizeikräfte wurden aufgeboten, um den gesetzlich vorgeschriebenen Schutz der Demonstrationsteilnehmer und ihrer Gegner zu gewährleisten und bei Bedarf beide Gruppen zu trennen. Das größte Polizeiaufgebot seit Jahrzehnten werde dafür benötigt, sagte ein Polizeisprecher. Es könnte ein "operatives Chaos" entstehen. Der Schutz von Demonstrationen, einem Grundrecht der Bürger, ist aber nur eine von vielfältigen Polizeiaufgaben. Dazu gehören auch Kriminalitätsbekämpfung, Verkehrsüberwachung, Schutz gefährdeter Einrichtungen, Absicherung von Großereignissen und vieles mehr. Bleibt davon jetzt einiges auf der Strecke?
"Die Sicherheit in Deutschland ist auf gutem Niveau gewährleistet", verkündeten die Innenminister der Länder noch bei ihrem jüngsten Treffen im Dezember und verwiesen darauf, dass die Zahl vieler Straftaten zurückgehe und die Aufklärungsquoten leicht stiegen. Die Deutsche Polizeigewerkschaft sieht das kritischer. Ihre Bilanz: Die Aufklärungsquoten bei Einbrüchen seien immer noch zu niedrig. Sie schwanken in den Bundesländern, liegen im Schnitt nur zwischen zehn und fünfzehn Prozent. Der Rest der Einbruchsdelikte bleibt unaufgeklärt. Bei der Spurensicherung dauere es zu lange, bis DNA-Spezialisten alle Spuren ausgewertet hätten. Die Auswertung von Datenträgern bei der Verfolgung von Straftaten nehme ebenfalls zu viel Zeit in Anspruch. Darum gebe es einen heftigen Stau bei den Ermittlungen. Bürger, die Hilfe anforderten, müssten häufig zu lange auf Polizisten warten.
Dies sind nur einige von den Gewerkschaften der Polizei gesammelte Beispiele. "Das kann nicht mehr lange gut gehen", warnt der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt. Sein Kollege von der Schwestergewerkschaft GdP, Oliver Malchow, meint, es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis die Gewährleistung der inneren Sicherheit nur noch von Zufällen abhänge.
Personalmangel und Sparkurs
Die Klagen der Polizeigewerkschaften sind nicht neu, sie tragen sie aber wieder laut vor angesichts der wachsenden Zusatzbelastungen durch Anti-Islam-Demonstrationen und Terrorabwehr. Sie fordern Entlastung. Denn auf immer weniger Beamten lasten immer mehr Anforderungen. Die Zahl der Überstunden hat sich in den vergangenen Jahren verdreifacht. Hohe Krankenstände sind die Folge. Kein Wunder: Seit 2000 haben Bundes- und Länderregierungen bei der Polizei 16.000 Stellen abgebaut, um Sparzwängen gerecht zu werden. GdP und DPolG rechnen vor, dass sie mindestens 10.000 neue Stellen benötigen, um ihren Aufgaben gerecht zu werden. Zwei Beispiele dazu: Fans bei Fußballspielen vor aggressiven Hooligans zu schützen, binde jedes Jahr 1000 Beamte. Gewaltausschreitungen bei Fußballspielen und Polizeieinsätze nehmen ständig zu. Und: Um einen einzelnen der 260 identifizierten Terrorgefährder zu überwachen, seien nach Expertenmeinung eigentlich 40 Polizisten nötig. Nur wenige Beamte stünden tatsächlich zur Verfügung.
Entlastungsvorschläge
Die für die Polizei zuständigen Innenminister sprechen ungern von einer "Überforderung der Polizei". Sie sehen eine enorme Belastung in wenigen Bereichen, betonen jedoch, das gefährde nicht die gesamte Sicherheitslage in Deutschland. Auf Nachfrage der Deutschen Welle spricht auch Gewerkschaftschef Rainer Wendt nicht von einer Überforderung, sondern nur von einer extremen Belastung. Eine Überforderung würde bedeuten, die Polizei könnte ihren Aufgaben überhaupt nicht mehr nachkommen. Das sei nicht der Fall. Es würde aber bald folgen, wenn die Politik nicht einschreite. Dahingehend scheint sich jetzt etwas zu bewegen: Verantwortliche Politiker denken um.
Der Innenminister von Baden Württemberg, Reinhold Gall, möchte der Polizei mehr Zeit geben für die gestiegenen Anforderungen in der Terrorabwehr. Von Aufgaben, die nicht zum Kernbereich der Polizei gehören, will er die Beamten befreien, erklärte Gall gegenüber der Deutschen Presseagentur (dpa). Damit käme er den Forderungen von Gewerkschafter Rainer Wendt entgegen. Der will der Polizei künftig ersparen, nach Verkehrskontrollen zusätzliche Blutproben für Alkoholsünder durchzuführen. Dieses Verfahren bindet zwei Beamte für mehrere Stunden. Die Atemalkoholanalysegeräte vor Ort seien aber bereits zuverlässig genug. Auch Schwertransporte müssten nicht unbedingt von Polizeibeamten begleitet werden. Dies könnten auch geprüfte Privatunternehmen durchführen. Und bei kleineren Straftaten wie Beleidigung oder Sachbeschädigung müssten auch nicht Polizisten ermitteln, wenn die Vergehen rechtlich nur als Ordnungswidrigkeit behandelt würden.
Alleine diese Vorschläge könnten schon 5000 Beamte für wichtigere Aufgaben freimachen, schätzt Rainer Wendt. Trotz solcher Ideen ist Streit programmiert. Zum Beispiel über den Vorschlag, Polizisten bei sogenannten Bagatell-Autounfällen mit Blechschaden ohne Verletzte gar nicht erst hinausfahren zu lassen. Das lehnt das Innenministerium von Nordrhein-Westfalen zum Beispiel strikt ab. Die Polizei wird also weiter auf vielen Feldern mit vielen Aufgaben präsent sein müssen. Einiges dürfte so auf der Strecke bleiben. Rainer Wendt: "Die Polizei hatte nie Reserven. Jetzt hat sie überhaupt keine mehr."