Edenhofer: "Zögern macht Klimaschutz teuer"
14. April 2014Deutsche Welle: Herr Edenhofer, Ihr Bericht gibt Handlungsempfehlungen, wie der Klimawandel noch zu begrenzen ist. Was sind die wichtigsten Empfehlungen des IPCC-Berichts?
Wir geben keine direkten Empfehlungen, sondern wir zeigen Optionen auf. Man braucht für die internationale Klimapolitik ein breites Portfolio an Technologie. Das sind die Erneuerbaren, das ist die Steigerung der Energieeffizienz und das reicht bis zur Technik der Kohlenstoffabscheidung und der Kernenergie.
Zweitens sagen wir klar, dass eine weitere Verzögerung für ein internationales Klimaabkommen sehr teuer wird und nach 2030 auch unmöglich. Ab dann sind ambitionierte Klimaziele nicht mehr zu erreichen.
Fossile Energien sind für über 70 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Wie kann diese Nutzung schnell überwunden werden?
Schnell wird es nicht gehen. Man muss anfangen und sukzessive den Umstieg hinbekommen. Dazu braucht es Anreize. Der wichtigste Anreiz ist, dass die CO2-Belastung der Atmosphäre einen Preis bekommt. Durch die Bezahlung für CO2 fördert man kohlenstofffreie Technologien.
Zum Zweiten sorgt man dafür, dass die Nutzung von Kohle, Gas und Öl mit einem Strafpreis belegt wird. Derzeit haben wir das Problem, dass wir ein sehr großes Angebot an fossilen Energien haben. Wir erleben eine Renaissance der fossilen Energieträger. Und um diese Renaissance zu stoppen und den kohlenstoffarmen Technologien eine Renaissance zu verschaffen, ist ein CO2-Preis unbedingt notwendig.
Der wahre Preis für die Verschmutzung der Atmosphäre mit CO2 müsste nach Berechnung der Wissenschaft bei 70 bis 80 Euro je Tonne CO2 liegen. In Europa liegt der Preis für dieses Verschmutzungsrecht bei vier Euro je Tonne. Haben Sie Empfehlungen wie der Preis aussehen kann, damit die gewünschte Lenkungswirkung erzielt wird?
Interessant ist, dass China gerade einen Emissionsmarkt einführen will. Es wäre sehr schön, wenn Europa ein besonders effektives Modell anbieten könnte. In Europa haben wir ein Überangebot von Emissionszertifikaten, die gewünschte Lenkungswirkung ist nicht gelungen. Eine Maßnahme ist die Verknappung von Zertifikaten.
Zudem müssen alle Wirtschaftssektoren einbezogen werden. Damit werden Suchprozesse für die günstige CO2-Vermeidung ausgelöst. Mit einer solchen Reform des Emissionshandels würde man einen großen Schritt weiterkommen.
Haben Sie Empfehlungen für einen CO2-Preis, damit die Lenkungswirkung einsetzt?
Die Studien, die der IPCC (Weltklimarat, d. Red.) für seine Auswertung benutzt hat, zeigen ein ziemlich klares Bild. Der CO2-Preis müsste bei 20 Euro pro Tonne CO2 liegen und dann eben steigen. Dann würde man eine Lenkungswirkung erzielen können.
Wie könnte so ein Modell aussehen, das alle Wirtschaftssektoren einbezieht, also Transport, Heizung und Industrie?
Für Kohle, Gas und Öl müsste beim Eintritt in den Wirtschaftskreislauf ein Zertifikat bezahlt werden. Über diesen Weg würden alle Sektoren automatisch einbezogen. Und mit der Vermeidung von CO2 kann man dann Geld verdienen. Dann ist es egal, ob das CO2 in der Industrie oder beim Transport eingespart wird.
Sie sagen, dass wir in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts negative Emissionen brauchen. CO2 muss also wieder aus Atmosphäre herausgezogen werden. Warum?
Ohne negative Emissionen können wir ein ambitioniertes Klimaziel nicht erreichen. Wir werden noch eine ganze Zeit fossile Energieträger nutzen. Aus diesem Grund muss man später mehr machen, man braucht dann negative Emissionen. Diese negativen Emissionen erreicht man durch Aufforstung und durch die Verknüpfung von Bioenergie mit CO2-Abscheidung und Einlagerung. Das CO2 wird in der Erde verpresst oder als Humus im Boden gebunden. Diese Technologien sind einigermaßen preiswert und notwendig für das Zwei-Grad-Ziel. Hier brauchen wir aber noch mehr Forschung und Entwicklung.
Sie begleiten den Klimaprozess seit Jahren. Die Warnungen des IPCC sind nicht neu und es gibt Lösungsstrategien. Warum schafft es die Politik bisher nicht?
Klimapolitik ist äußerst schwierig. Ich saß jetzt eine Woche im Plenum und habe mit über 110 Regierungen gerungen. Das ist eine Art Parlament der Welt, das man vor sich hat. Wenn man das auf sich wirken lässt, dann begreift man sehr schnell, wie schwierig globale Kooperation ist.
Warum ist das so schwierig?
Ein Grund besteht darin, dass die Besitzer von Kohle, Öl und Gas damit rechnen müssen, dass ihre Vermögenswerte reduziert werden. Das empfinden die nicht als tolle Idee. Dann befürchten vor allem die Schwellenländer, dass sie unter Umständen auf Wachstum verzichten müssten. Es müssen also viele Hindernisse und Hürden überwunden werden.
Man braucht also vernünftige Anreize, zum Beispiel nationale CO2-Steuern. Die kann man so ausgestalten, dass ärmere Haushalte solche Steuern kaum treffen und dass die Steuern zur wirtschaftlichen Entwicklung beitragen. Das sind alles Schritte, die erst jetzt in das Bewusstsein der Regierungen dringen.
Es gibt noch viel Kohle, Öl und Gas in der Erde. Wenn die entdeckten Vorräte noch alle gefördert und verbrannt werden, dann ist das Zwei-Grad-Klimaziel nicht mehr zu erreichen, das wäre zu viel CO2 für die Atmosphäre. Nun haben die Konzerne kein Interesse, dass ihre Energiereserven nicht mehr verkauft werden. Gibt es auch hier Lösungsmöglichkeiten?
Die Besitzer dieser Vermögenswerte wissen wie man investiert. Sie können jetzt in die Erneuerbaren investieren oder in Technologien der Kohlenstoffabscheidung. Das ist ein Ausweg zur Entwertung der Vermögenswerte.
Grundsätzlich ist die Bewältigung des Strukturwandels in der Industriegeschichte aber keineswegs neu. Es gibt diejenigen, die am Status quo interessiert sind und mit Veränderungen Schwierigkeiten haben. Aber ich denke, dass die Profiteure vom Status quo auch die meisten Investitionsmittel haben. Sie können diese jetzt für einen Umstieg einsetzen und später davon profitieren.
Man muss sie nur ein bisschen animieren?
Man muss sie stark animieren, und die Widerstandskräfte sind hoch. Aber bei allen großen Innovationen, bei allen großen Herausforderungen waren immer die Widerstandskräfte groß. Aber der IPCC-Bericht zeigt deutlich: Es ist eine lösbare Aufgabe, und in dem Sinne verbreitet der Bericht durchaus Hoffnung. Wir haben eine schwere Aufgabe, aber deswegen sollten wir nicht mutlos sein.
Die Pro-Kopf-Emissionen in den Industrieländern liegen bei 15 Tonnen CO2 pro Jahr, in den armen Ländern bei 1,5 Tonnen. In ihrem Bericht geht es auch um Klimagerechtigkeit. Wie kann sie aussehen?
Das Thema Fairness, Gerechtigkeit ist für die Lösung des Klimaproblems unverzichtbar. Wir haben im Bericht aufgezeigt, wer bisher wie viel Emissionen in der Atmosphäre abgelagert hat. Auch die konsumbasierten Emissionen zeigen wir auf. Ein Großteil der Emissionsreduktionen in den Industrieländern basiert darauf, dass Güter in anderen Ländern produziert werden. Die Frage der Verantwortlichkeit kann aus ganz unterschiedlichen Perspektiven beantwortet werden. Mit dem Bericht hoffen wir, dass diese Verteilungskonflikte in den nächsten Jahren einigermaßen rational ausgetragen werden können.
Was wird sich Ihrer Meinung nach in den nächsten Jahren tun?
Die Wahrscheinlichkeit, dass sich viel tut, ist nicht sehr groß. Aber wenn sie 1970 jemanden gefragt hätten wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass es im Jahre 2000 keine Mauer mehr gibt, hätte er wahrscheinlich gesagt, die Wahrscheinlichkeit liegt bei null.
Bei historischen Entwicklungen sollte man nicht in Wahrscheinlichkeiten denken, sondern in Notwendigkeiten. Die Menschen in Berlin wollten, dass die Mauer fällt und so gab es den Mauerfall. Ich hoffe, dass die Berichte des IPCC und die Experimente überall in der Welt dazu beitragen, dass sich die Tür für eine gerechte, internationale Kooperation öffnet.
Was können wir Bürger tun?
Wir denken oft an das Konsumverhalten. Aber Bürger sind auch Investoren und haben Ersparnisse. Wir müssen Investitionsströme umlenken und können damit vieles bewegen. Da ist das Ende der Fahnenstange noch längst nicht erreicht.
Das Interview führte Gero Rueter.
Prof. Dr. Ottmar Edenhofer ist Vorsitzender der Arbeitsgruppe III des Weltklimarates (IPCC), stellvertretender Direktor und Chefökonom am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Professor für die Ökonomie des Klimawandels an der technischen Universität Berlin und Direktor des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC).