Ehrung in Saarbrücken: Hans W. Geißendörfer
19. Januar 2015Nur eingefleischten Kino-Fans dürfte noch in Erinnerung sein, dass Hans W. Geißendörfer einmal sogar Oscar-Kandidat war. 1979 war seine Patricia-Highsmith-Verfilmung "Die gläserne Zelle" in der Kategorie "Bester nicht-englischsprachiger Film" für den Oscar nominiert. Es waren jene Jahre, als man den Namen Geißendörfer in einem Atemzug mit Rainer Werner Fassbinder, Wim Wenders und Werner Herzog nannte.
Das ist lange her. Der Mann, der in der Öffentlichkeit stets mit markanter schwarzer Wollmütze auftritt, ist dennoch immer noch gut im Geschäft. Nicht in vorderster Front an der Seite seiner einstigen Mitstreiter des Neuen Deutschen Films in den Kinos. Dafür aber als fleißiger Fernsehproduzent, der hin und wieder auch noch einen eigenen Film in die Kinos bringt und - als wichtiger Förderer des Nachwuchses.
Ehrenpreis in Saarbrücken
Weil er sich seit Jahren vor allem als Produzent erfolgreich für aufstrebende Talente engagiert, wurde ihm jetzt eine besondere Ehre zuteil. Die wichtigste Plattform für den deutschsprachigen Filmnachwuchs, das Festival Max-Ophüls-Preis (19.01. bis 25.01.2015), verlieh Geißendörfer jetzt seinen Ehrenpreis. "Ohne starke Paten, Fürsprecher und Förderer junger Talente kann kein Nachwuchs gedeihen", sagt die künstlerische Leiterin des Festivals Gabriella Bandel gegenüber der Deutschen Welle: "Hans W. Geißendörfer war in all den Jahren seines Filmschaffens genau das: ein Unterstützer zahlreicher Talente, an die er glaubt."
Mit seinem künstlerischen Selbstverständnis und seiner Motivation, althergebrachte Branchengewohnheiten zu ändern, habe er damals mitgeholfen, das deutsche Kino grundlegend zu verändern, erinnert Bandel an Geißendörfers filmische Anfänge. 1968 hatte der junge Regisseur mit dem Fernsehfilm "Der Fall Lena Christ" debütiert, es folgten rasch zahlreiche Kino- und TV-Filme. "Er verkörpert Aufbruch und Engagement neuer Kinogenerationen", sagt Bandel.
Gründungsvater des Filmverlags der Autoren
1971 gründete Geißendörfer gemeinsam mit zwölf Mitstreitern den legendären "Filmverlag der Autoren". Der sollte die Produktion, Rechteverwaltung und den Vertrieb von Filmen ermöglichen. Die jungen Wilden des "Neuen Deutschen Films" wollten sich damit auch wirtschaftlich von den starren Strukturen des behäbigen und kommerziell ausgerichteten deutschen Nachkriegskinos befreien.
Wiederum eine Dekade später machte sich Geißendörfer dann komplett selbstständig, indem er eine eigene Film- und Fernsehproduktionsfirma gründete. "Ich war nie abhängig von irgendwelchen Clubs", erinnerte sich Geißendörfer später in einem Interview mit der Deutschen Welle: "Filmemacher sind immer in erster Linie allein. Das klingt jetzt sehr pathetisch, aber es ist wirklich so."
Geißendörfer erkannte schnell, dass es nicht nur die große Leinwand gab. Der Regisseur war einer der ersten, der zwischen Kino und Fernsehen hin- und her wechselte. Bereits Mitte der 1970er Jahre drehte er mit "Lobster" eine sechsteilige Fernsehserie, ein Format, das heute weltweit Triumphe feiert. "Künstlerisch hat er es als einer der wenigen geschafft, sowohl den deutschen Kinofilm als auch das deutsche Fernsehen nachhaltig zu prägen", so Gabriella Bandel.
Legendäre TV-Soap
Endgültig in die deutsche Medien-Geschichte schrieb sich Geißendörfer mit der von ihm entwickelten und produzierten TV-Serie "Lindenstraße" ein, einem TV-Dauerbrenner, der auch nach Jahrzehnten noch allwöchentlich über die heimischen Bildschirme flimmert. "Wir haben zwei völlig verschiedene Welten, in denen ich - Gott sei Dank - regelmäßig spazieren gehen kann, und die ich nutzen kann", erzählt Geißendörfer. Er mache die "Lindenstraße" leidenschaftlich gern, für ihn sei das der "epische Teil" seines filmischen Schaffen: "Die 'Lindenstraße' ist der Roman, der Fortsetzungsroman, die endlose Geschichte." Das Kino dagegen sei das "Gedicht, eine Verdichtung von dramatischen oder weniger dramatischen Ereignissen."
So hat sich Geißendörfer beharrlich zwei Standbeine geschaffen. Für eine weitere Säule seines Filmschaffens wird er jetzt in Saarbrücken geehrt. Geißendörfer habe unzähligen Talenten Gelegenheit gegeben, sich auszuprobieren und zu entwickeln, sagt Gabriella Bandel: "Seit vielen Jahren ist er regelmäßiger Gast unseres Festivals, tauscht sich bei uns regelmäßig mit jungen Filmemachern aus, 2008 hat eines der von ihm geförderten Talente mit 'Selbstgespräche' den Max-Ophüls-Preis gewonnen." Auch bei den anstehenden 65. Berliner Filmfestspielen feiert ein von Geißendörfer produzierter Film demnächst Weltpremiere. "Der Bunker", das Debüt von Nikias Chryssos, erschafft, so die Berlinale "eine eigene Welt zwischen absurder Komödie, Horrorfilm, Melodram und B-Movie."
"Die Zukunft ist mir wichtiger"
"Man hat in meinem Alter nicht nur sehr viel Selbstkritik im Kopf, sondern man hat auch Angst, dass man eine Sprache spricht oder Geschichten erzählt, die junge Leute nicht mehr erreichen oder nicht mehr verstehen, die vielleicht nur in meiner Generation noch Wirkung haben," so Geißendörfer gegenüber DW. Schaut man auf seine Arbeit als Produzent, gerade auch als Förderer der Jugend, muss sich Geißendörfer wohl keine allzu großen Sorgen machen, dass er den Draht zum Nachwuchs verloren hat.
Dem filmenden Nachwuchs gab der 73-jährige Regisseur zum Auftakt des Festivals in Saarbrücken einen kritischen Rat mit auf den Weg: "Den jungen Leuten heute kommt es vor allem darauf an, einen Film zu machen - egal, ob Komödie oder Horrorfilm. Das Gewagte, das Experimentelle gibt es zwar noch, aber es wird immer weniger versucht." Ihn enttäusche an den jungen Leuten, dass sie zu anpassungsfähig seien: "Sie gehen schnell Kompromisse ein, um ihre Finanzierung zu bekommen."
Die Zukunft sei ihm sehr viel wichtiger als die Vergangenheit, hat der Regisseur einmal gesagt. Vielleicht ist das die Erklärung für den anhaltenden Erfolg des Mannes mit der Wollmütze. Geißendörfer ruht sich nicht auf früheren Erfolgen aus und vergräbt sich nach Misserfolgen nicht in der Schmollecke, sondern überlegt stets, was er demnächst Neues auf die Beine stellen kann: Alleine als Regisseur oder mit jungen enthusiastischen Studenten der deutschen Filmhochschulen.