Ein deutsches Unternehmen als Mittäter am Holocaust
23. Januar 2020Auschwitz-Birkenau, Buchenwald, Dachau, Mauthausen. Überall dort, wo die Soldaten der Anti-Hitler-Koalition bei Kriegsende die NS-Konzentrations- und Vernichtungslager betraten, stießen sie auf Leichenberge und Krematorien, die das Logo einer deutschen Firma trugen - J.A. Topf & Söhne.
Das renommierte Familienunternehmen hatte sich auf Geschäfte mit der SS eingelassen und lieferte die Ausrüstung für Vernichtungslager, die den Völkermord ermöglichte.
Weltberühmte Firma aus Erfurt
Die 1878 von Johannes Andreas Topf gegründete Firma spezialisierte sich auf die Herstellung von Anlagen für Brauereien und exportierte ihre Erzeugnisse in die ganze Welt. Nach dem Ersten Weltkrieg entdeckten die Firmenchefs ein neues Geschäft - Verbrennungsöfen für städtische Krematorien. In der Weimarer Republik wurde der Erfurter Ofenbauer zum Marktführer, wegen "optimaler Umsetzung der Gebote der Pietät".
Nach der Machtübernahme durch Hitler liefen die Geschäfte einfach weiter. Die beiden Firmenchefs, Ludwig Topf und sein Bruder Ernst Wolfgang, inzwischen NSDAP-Mitglieder, konnten vom Fenster ihres Arbeitszimmers den Ettersberg sehen, wo die Nazis seit Juli 1937 das Konzentrationslager Buchenwald betrieben.
Die SS bestellt erstes Krematorium
Das Konzentrationslager Buchenwald wurde der erste Auftraggeber für die Öfen. Die steigende Zahl der Toten, die an Folter und Krankheiten starben, stellte die SS-Lagerleitung vor ein ernsthaftes Problem. Nach dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 füllten sich die Konzentrationslager mit neuen Häftlingen. In Buchenwald kam es zu Massensterben.
Noch vor Kriegsbeginn erkundigte sich die SS nach der Möglichkeit, eine Verbrennungsanlage auf dem Lagergelände einzurichten. Der Chefingenieur Kurt Prüfer erstellte im Mai 1939 den ersten Entwurf für einen "fahrbaren, ölbeheizten Topf-Einäscherungsofen".
"Dieser Ofen markiert den radikalen Bruch mit der Kultur und dem Gesetz der Feuerbestattung. In ihm wurden Menschenleichen wie Abfall verbrannt", schreibt Annegret Schüle, Kuratorin des Gedenkortes auf dem Gelände der ehemaligen Fabrik.
Wer baut den besten Ofen für die Todesfabrik?
Der erste Erfolg ermunterte Prüfer. Bald bot er der SS von sich aus einen Ofen mit zwei Verbrennungskammern an. Dieses Modell wurde im November 1939 in Dachau eingesetzt. Danach entwickelte der ehrgeizige Ingenieur seinen ersten stationären KZ-Ofen. Die Firma war so stolz auf ihre Leistung, dass sie dieses Modell zum Patent anmeldete.
"Prüfers Haltung, die sich durch Eigeninitiative ohne moralische Bedenken auszeichnete, war symptomatisch für die Einstellung der technischen Kader", sagt Rüdiger Bender, Vorsitzender des Förderkreises Erinnerungsort Topf & Söhne e. V. Er betont, dass die leitenden Techniker keine überzeugten Nazis gewesen seien.
"Das Unternehmen wurde niemals gezwungen, Krematorien zu bauen. Im Gegenteil, man versuchte sich gegen die Mitbewerber, etwa Heinrich Kori aus Berlin, durchzusetzen", bestätigt Schüle. Zum Teil auf eigene Initiative hin konstruierten die Ingenieure immer leistungsfähigere Öfen. "Stets gern für Sie beschäftigt", hieß es auf Firmenbriefen an die SS.
Nach der Entscheidung der NS-Führung, Auschwitz-Birkenau zum zentralen Ort des Holocaust zu machen, erreichte die Mittäterschaft der Ofenbauer aus Erfurt eine neue Qualität. "Nachdem die SS in Auschwitz entdeckt hatte, dass man mit Zyklon B Tausende von Menschen in wenigen Minuten töten kann, bestand ihr größtes Problem darin, wie sie die große Zahl von Leichen spurlos verschwinden lassen konnte", erläutert Schüle. Die leistungsfähigen Verbrennungsöfen von Topf & Söhne konnten dieses Problem lösen.
Am 19. August 1942 traf sich die SS-Bauleitung mit Prüfer. Dabei wurde der Bau von drei Großkrematorien beschlossen. Später kamen noch zwei weitere dazu. Im Sommer 1944 wurden in Auschwitz bis zu 9.000 Leichen täglich verbrannt.
Prüfers Erfolge waren für seine Kollegen ein Dorn im Auge. Im September 1942 präsentierte Prüfers Vorgesetzter, Fritz Sander, seine neue Erfindung - einen Mehrmuffel-Ofen, der ohne Unterbrechung nach "Fließbandprinzip" Leichen verbrennen sollte.
Sie wussten vom Holocaust
Um die Einrichtungen in Gang zu setzen, verbrachten Techniker aus Erfurt, darunter der Monteur Heinrich Messing, viel Zeit vor Ort in Auschwitz und wussten über die Massenmorde Bescheid.
Besonders brisant - Messing war Kommunist und Mitglied der KPD. Seine Ansichten hinderten ihn nicht daran, den Auftrag in Auschwitz gewissenhaft und schneller als geplant auszuführen. "Er hätte theoretisch diesen Auftrag sabotieren, verzögern können. Das hat er nicht getan", sagt Bender. "Mit der Technik für die Vernichtung von Menschen und die Leichenbeseitigung erwirtschaftete das Erfurter Unternehmen "J.A. Topf & Söhne" zu Beginn der 1940er Jahre nur knapp zwei Prozent des Umsatzes jener Jahre", schreibt Schüle. Trotzdem kann die Firma, so Schüle, zum "exemplarischen Forschungsgegenstand für die Mittäterschaft am Holocaust" gemacht werden.
Firmenchefs: einer stirbt, der andere flieht
Nach Deutschlands Niederlage im Mai 1945 nahm sich Ludwig Topf das Leben. Informiert von US-Offizieren über seine bevorstehende Verhaftung, zerbiss er eine Zyankalikapsel. Im Abschiedsbrief gab er sich unschuldig. "(…) das Volk will seine Opfer haben. Dann will ich es schon selber tun. Ich war anständig stets - das Gegenteil von einem Nazi - das weiß alle Welt", schrieb er.
Sein Bruder Ernst Wolfgang flüchtete in die westlichen Besatzungszonen, wo er das Unternehmen neu aufbaute. Die Ermittlungen gegen ihn wurden eingestellt. Erst das Buch eines KZ-Opfers "Macht ohne Moral - eine Dokumentation über die SS", erinnerte die westdeutsche Öffentlichkeit an die frühere Tätigkeit des Unternehmens. Nachdem ihm ein Kredit verweigert wurde, ging die Firma Pleite.
Weniger Glück hatte Chefingenieur Prüfer. Er starb 1952 in sowjetischer Lagerhaft.
Bis zur Wende blieb die braune Geschichte der Firma, die in der DDR enteignet und als VEB Erfurter Mälzerei- und Speicherbau geführt wurde und 1994 in Insolvenz ging, unbekannt. Erst ein Versuch der Topf-Erben, nach der Wiedervereinigung Teile des Betriebes zurückzubekommen, alarmierte die Öffentlichkeit.
Urenkel des Firmengründers kämpft gegen das Vergessen
Damals schlug die Stunde von Hartmut Topf, ein Urenkel des Firmengründers. Der Journalist machte es sich zur Lebensaufgabe, die Familiengeschichte zu erforschen und sie für kommende Generationen festzuhalten. "Nach der Wende, da kam eine Zeitungsmeldung, dass eine Frau Topf aus Westdeutschland eine Restitution in Erfurt wollte", sagt der 85-Jährige.
"Das war für mich ein Signal. Da habe ich gesagt: Moment mal, da soll man von dem Geld, wenn noch etwas da ist, .....in die politische Bildung tun oder den Opferverbänden geben", erklärt er.
Die Stadtväter von Erfurt waren von seiner Idee, auf dem Werksgelände einen Gedenkort einzurichten, zunächst nicht begeistert. Doch Topf und seine Mitstreiter haben sich am Ende durchgesetzt. Seit 2011 befindet sich im ehemaligen Verwaltungsgebäude der Fabrik ein Gedenkort. Die ständige Ausstellung informiert über die Geschichte des Unternehmens.
Auch in Polen musste Topf mit Vorbehalten fertig werden. Als er vor zwei Jahren beim Besuch in der Gedenkstätte Auschwitz seinen Namen nannte, reagierte ein älterer Mann am Eingang zum Museum zunächst abweisend. "Ihr Name hat hier keinen guten Klang", sagte er. "Das weiß ich, deswegen komme ich auch", erwiderte Hartmut Topf.
Aus der Reportage-Reihe "Schuld ohne Sühne". Ein Projekt von DW Polnisch mit Interia und Wirtualna Polska. dw.com/zbrodniabezkary