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Ein Jahr Lieferkettengesetz - überwiegend positive Bilanz

11. April 2024

Gegen Kinderarbeit, Hungerlöhne und Umweltzerstörung: Das deutsche Lieferkettengesetz ist rund ein Jahr in Kraft. Es war Vorbild für eine EU-Regelung.

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Ein dunkelhäutiger Junge in Burkina Faso sortiert Kakaobohnen - das ist Kinderarbeit
Kinderarbeit beim Kakao-Anbau wie hier in der Elfenbeinküste ist immer noch weit verbreitetBild: Jürgen Bätz/dpa/picture alliance

Kakaobohnen abschlagen mit Macheten. Schwere Säcke schleppen bei der Ernte. Eigentlich sollten schulpflichtige Jungen und Mädchen in Ghana und anderswo genau das nicht mehr tun. Doch erst kürzlich hatte eine Investigativ-Recherche des US-Fernsehsenders CBS und des öffentlich-rechtlichen schweizerischen SRF zutage gefördert, dass der Schokoladenhersteller Mars und das schweizerische Unternehmen Lindt & Sprüngli dort in Fälle von Kinderarbeit verwickelt sein könnten. Studien legen nahe, dass in Ghana weiterhin rund 700.000 Kinder in der Kakaoindustrie arbeiten. 

Entwicklungsministerin Svenja Schulze und Sozialminister Hubertus Heil in einer Textilfabrik in Ghana - sie schauen einer Näherin über die Schulter
Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) machen sich am 23.2.2023 bei einem Besuch in Ghana ein Bild von den Arbeitsbedingungen in einer TextilfabrikBild: Christophe Gateau/dpa/picture alliance

Auch große deutsche Unternehmen stehen in der Kritik. Zulieferer der Handelsketten Edeka und Rewe sollen gegen Umwelt- und Menschenrechte verstoßen haben, sagt die Nicht-Regierungsorganisation Oxfam. Laut Recherchen von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" besteht auch gegen einen BMW-Zulieferer der Verdacht der Umweltverschmutzung. All das wären Verstöße gegen das Lieferkettengesetz, das in Deutschland seit Anfang 2023 gilt. Ziel des Gesetzes: Es soll gewährleistet werden, dass Rohstoffe in den Ländern des Globalen Südens ohne Menschenrechtsverletzungen, Kinderarbeit und Umweltzerstörung abgebaut und exportiert werden. 

Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) zog auf Nachfrage der DW eine erste positive Bilanz. Das deutsche Lieferkettengesetz habe schon jetzt Erfolge gebracht: "Dass Gewerkschaften ernster genommen werden, dass Beschwerdestellen eingerichtet werden, dass überhaupt Bewegung in die Arbeitsbedingungen vor Ort kommt, das bekommen wir aus sehr vielen Partnerländern zurückgemeldet."

Kurz erklärt: das Lieferkettengesetz

Deutsche Unternehmen mit mindestens 1000 Beschäftigen müssen nun genau hingucken, ob ihre Waren und Dienstleistungen den strengen Anforderungen des Gesetzes entsprechen. Beim unter anderem zuständigen Bundesministerium für Arbeit und Soziales heißt es, man wolle die Unternehmen dazu bringen, "Sorgfaltspflichten" einzuhalten. "Diese Pflichten gelten für den eigenen Geschäftsbereich, für das Handeln eines Vertragspartners und das Handeln weiterer (mittelbarer) Zulieferer. Damit endet die Verantwortung der Unternehmen nicht länger am eigenen Werkstor, sondern besteht entlang der gesamten Lieferkette."

Geschützt werden soll insbesondere vor Kinder- und Zwangsarbeit, Landraub, Umweltzerstörung und unfairen Löhnen. Lange hatte für dieses Gesetz auch Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) gekämpft. Deutschland sei nun Vorreiter, sagt er auf Nachfrage der DW bei einer Fachkonferenz. Bei aller Kritik von Unternehmen gebe es aber auch Betriebe, die sich besonders engagierten "weil sie nicht wollen, dass sie an den Pranger gestellt werden".

Trümmer einer eingestürzten Textilfabrik mit Räumbagger in der Mitte - bei dem Unglück in Bangladesch kamen 2013 mehr als 1000 Menschen ums Leben
Das Lieferkettengesetz ist auch eine Lehre aus der Rana-Plaza-Katastrophe in Bangladesch – im April 2013 kamen dort mehr als 1100 Mitarbeitende einer Textilfabrik ums LebenBild: Abir Abdullah/dpa/picture alliance

In Deutschland ist für die Kontrolle des Lieferkettengesetzes eine Bundesbehörde zuständig. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), das eigentlich Fördergelder und Waffenexporte überwacht. Zwar gab es dort erste Kontrollen und Beschwerden wegen Verstößen gegen das Gesetz, Bußgelder oder Strafen sind aber noch nicht verhängt worden.

Kritik aus der Wirtschaft und von NGOs

Vielen Nichtregierungsorganisationen gehen die Vorgaben aus dem Lieferkettengesetz nicht weit genug. Wirtschaftsverbände wiederum klagen über zu viel Bürokratie und Kosten für eine aufwendige Dokumentation. Auf DW-Nachfrage beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), heißt es in einem Statement des Vorsitzenden Siegfried Russwurm: "Bei der Umsetzung des deutschen Lieferkettengesetzes zeigen sich viele negative und unbeabsichtigte Auswirkungen und hohe bürokratische Belastungen." 


Die Umwelt- und Menschenrechtsorganisation Germanwatch lobt die Regelungen zwar grundsätzlich im Gespräch mit der DW. Doch Finn Schufft sagt im Interview auch: "Es gibt immer noch Schwachpunkte. Unter anderem, dass Unternehmen zivilrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden können." Ninja Charbonneau vom Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF spricht im DW-Interview von einem "Meilenstein". Sie hätte sich aber gewünscht, dass die Kinderrechte expliziter aufgenommen worden wären. Und: "Langfristig wäre es gut, wenn alle Unternehmen einbezogen würden."

Kinderarbeit statt Schule

EU-Lieferkettengesetz nach deutschem Vorbild

In der EU soll noch im April grünes Licht gegeben werden für ein europäisches Lieferkettengesetz. Es ähnelt dem deutschen Gesetz, ist aber in manchen Vorgaben strenger. So soll es zum Beispiel schon ab einer Betriebsgröße von nur 500 Beschäftigten gelten. In Deutschland liegt das Limit noch bei 1000. Verstoßen Unternehmen gegen die kommenden EU-Auflagen, können sie auf Schadensersatz verklagt werden. Es wird allerdings noch einige Jahre dauern, bis alle bürokratischen Hürden genommen werden können und das EU-Gesetz in Kraft tritt. Arbeitsminister Hubertus Heil sagte, bis dahin gelte das deutsche Gesetz weiter. Nun habe man zwei Jahre Zeit, die EU-Richtlinien umzusetzen. Und er fügte hinzu: "Ohne die deutsche Lösung hätte es den Anstoß für die europäische Lösung nicht gegeben."

Volker Witting
Volker Witting Politischer Korrespondent für DW-TV und Online