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Ein Meilenstein

Alexander Kudascheff9. Oktober 2014

Die Montagsdemonstrationen haben 1989 das Ende der DDR vorangetrieben. Der Protestzug am 9. Oktober in Leipzig war zwar nicht der erste, aber der größte - ein Wendepunkt, sagt Alexander Kudascheff im Rückblick.

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Montagsdemonstration auf dem Karl-Marx-Platz in Leipzig am 30.10.1989 (Foto: picture alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Der 9. Oktober 1989 ist ein Tag der deutschen, der europäischen Freiheitsgeschichte. 70.000 Menschen versammelten sich an diesem Montag in Leipzig, um gegen die SED, die damalige Staatspartei in der DDR, dem zweiten deutschen Staat, zu demonstrieren. Sie skandierten gegen die kommunistischen Machthaber: "Wir sind das Volk". Eine Massendemonstration von unten gegen "die da oben", die Bonzen im Politbüro und im Zentralkomitee, die nicht mehr wussten, was das Volk wollte: Freiheit. Freiheit im Leben, Freiheit in der Gesellschaft, aber auch Freiheit zu reisen und wichtiger noch: die Freiheit auszureisen. Denn während die einen immer machtvoller auf der Straße gegen den vormundschaftlichen Staat demonstrierten, nicht nur jeden Montag in Leipzig, sondern auch in Halle oder Eisenhüttenstadt, verließen Zehntausende frustriert über die Sklerose des Staates und des Systems die DDR - meist illegal. Es war eine Demonstration der Füße - in der DDR und raus der DDR.

Der 9. Oktober war der erste Meilenstein in der deutschen Freiheitsgeschichte von 1989. Es war der Tag, an dem 70.000 Bürger den Mut hatten, offen Nein zur DDR zu sagen. Es war der erste Tag des friedlichen Aufstands in den dann folgenden vier Wochen bis zum 9. November 1989, als die Mauer fiel - vier Wochen, die deutsche und europäische Geschichte geschrieben haben. Es war der Tag, an dem die Deutschen - die laut Lenins boshaftem Bonmot eine Bahnsteigkarte kaufen, wenn sie während der Revolution den Bahnhof erstürmen - sich einreihten, zum Teil sogar vorangingen, in den Aufstand der mittel- und osteuropäischen Völker gegen den Kommunismus, gegen die Diktatur der jeweiligen Einheitspartei, gegen den Vormachtanspruch Moskaus. Das, was in Polen mit der unabhängigen Gewerkschaft Solidarnosc in den frühen 1980er Jahren begonnen hatte, was vom polnischen Papst Johannes Paul II. spirituell begleitet wurde, entbrannte in jenen vier Wochen - in Ostdeutschland ebenso wie bei den Polen, Tschechen, den Slowaken, den Ungarn. Das Volk erhob sich und die kommunistischen Diktaturen implodierten.

Alexander Kudascheff, DW-Chefredakteur (Foto: DW)
Alexander Kudascheff, DW-ChefredakteurBild: DW/M. Müller

Zwei Tage vor dem 9. Oktober hatte die DDR noch ihr 40-jähriges Staatsjubiläum mit Pomp und Militärparaden gefeiert. Aber die Zeichen der Zeit, den Wunsch nach Veränderungen hatten die Partei und Staatsspitze nicht wahrgenommen. Jetzt wurden sie friedlich herausgefordert und dann hinweggefegt. Am 9. Oktober begannen die Ostdeutschen, Geschichte zu schreiben. Vier friedliche Wochen begannen - mit immer neuen Demonstrationen und Kundgebungen, dann war die deutsche und die europäische Teilung vorbei. Der 9. Oktober ist der Auftakt zur deutschen Freiheitsgeschichte, ein Meilenstein auf dem Weg zum 9. November. Ein Tag, auf den die Ostdeutschen, die Leipziger stolz sein können. Es war der Tag, an dem das Volk die Angst vor der Diktatur verlor.