Ein zweiter Staatsstreich in Spanien?
27. Oktober 2017Die Fronten zwischen Madrid und Barcelona sind verhärtet. Katalanische Abgeordnete haben die Ausrufung der Unabhängigkeit durch das Regionalparlament beantragt. Und Ministerpräsident Mariano Rajoy hat den Senat in Madrid zur Entmachtung der katalanischen Regionalregierung aufgefordert.
Der Ton zwischen den Konfliktparteien ist alles andere als versöhnlich: Beide Seiten haben einander vorgeworfen, einen Staatsstreich auf den Weg bringen zu wollen. Gabriel Rufian von der Republikanischen Linken Kataloniens warf den großen spanischen Parteien vor, in einem "institutionellen Staatsstreich" den Katalanen die Unabhängigkeit zu verweigern, auch Regionalpräsident Carles Puigdemont sprach von einem "Putsch" gegen seine Regierung. Anders sieht die Lage der spanische Außenminister: "Ein Staatsstreich ist, was (Kataloniens Premier) Puigdemont und seine Regierung gemacht haben," so Alfonso Dastis.
"Staatstreich" - das ist in Spanien ein aufgeladener Begriff, denn er ruft Erinnerungen wach an einen entscheidenden Wendepunkt des Landes: den gescheiterten Militärputsch 1981.
Bewaffnete Kämpfer im spanischen Parlament
Das Unterhaus des spanischen Parlaments war um kurz nach sechs Uhr abends mitten in der Wahl eines neuen Ministerpräsidenten, als 200 bewaffnete Uniformierte der Militärpolizei Guardia Civil das Gebäude stürmten. Damals, am 23. Februar 1981, war die spanische Demokratie gerade mal drei Jahre alt. Franco-Loyalisten feuerten in die Luft und nahmen Geiseln. Ihr Ziel: eine Militärregierung "für ganz Spanien" einzusetzen, so der Coup-Führer Antonio Tejero.
König Juan Carlos I, als Staatsoberhaupt auch Oberbefehlshaber der Truppen, positionierte sich entschlossen an der Seite der Demokratie. Er hielt noch in der Nacht eine Fernsehansprache, in der er das Militär und die Bevölkerung zur Verteidigung der jungen spanischen Verfassung mit allen rechtlich möglichen Mitteln aufforderte. Der Putsch scheiterte, die Anführer wurden am nächsten Tag verhaftet. Für viele ein Zeichen, dass Spanien den Übergang von Francos autoritärem Regime zu einer funktionierenden Demokratie geschafft hatte.
Eine Herausforderung für die Demokratie
Selbst wenn die aktuelle Krise so entscheidend für Spanien sein könnte wie der versuchte Staatsstreich vor 36 Jahren, so ist der Kontext ein ganz anderer, meint Sebastian Balfour. Er ist emeritierter Professor an der London School of Economics und Experte für spanische Politik.
Für Balfour ist die aktuelle Krise das Ergebnis der zu rigiden spanischen Verfassung. Die katalonische Unabhängigkeitsbewegung will die spanische Demokratie nicht abschaffen, wohl aber ausdehnen, was im Rahmen der Verfassung möglich ist, sagt er.
"Sie kann sich verändernde Identitäten und Loyalitäten nicht wiederspiegeln", so Balfour. Er weist darauf hin, dass viele der regionalen Identitäten sich in den Jahrzehnten verändert haben, seit die Verfassung 1978 beschlossen wurde. Die "café para todos"-Politik (deutsch:"Kaffee für alle"-Politik), die verschiedenen spanischen Regionen in unterschiedlichen Maßen Autonomie zuspricht. Manchen Provinzen offenbar nicht genug.
Angst vor der Autonomie?
Die Unabhängigkeitsbestrebungen spanischer Regionen werden historisch vor allem von Akteuren des rechten politischen Spektrums kritisch gesehen. Viele glauben, dass der Putsch von 1981 auch zustande kam, weil rechte Hardliner im Militär befürchteten, dass die Etablierung autonomer Regionen zur Auflösung des spanischen Staates führen würde. Katalonien wurde zwei Jahre vor dem Staatsstreich zu einer autonomen Provinz erklärt.
Die Besorgnis Konservativer um den Fortbestand der nationalen Einheit ist auch heute noch eine treibende politische Kraft. Für die Volkspartei (PP) von Premier Mariano Rajoy ist die Unteilbarkeit Spaniens unanfechtbar. Aber auch die Sozialisten, die derzeit zweitgrößte Kraft im Parlament, stehen überraschenderweise hinter Rajoy. Die Partei hatte sich bisher für eine Verfassungsreform stark gemacht, um in Spanien eine bundesstaatliche Ordnung einzuführen.
Keine Rettung durch den König
Anders als in der Krise von 1981 ist nicht zu erwarten, dass der König diesmal eine Eskalation verhindern wird, so Balfour. Felipe VI hat die Führer der katalonischen Unabhängigkeitsbewegung stark kritisiert und angedeutet, dass er Madrid dabei unterstützt, auf Verfassungsartikel 155 zurückgreifen. Dieser erlaubt es der Nationalregierung, die Regionalregierung zu entmachten.
"Felipe ist dafür, dass die Verfassung bleibt, so wie sie im Moment ist, und sie sieht kein Selbstbestimmungsrecht[für autonome Regionen vor", so Balfour.
Während Juan Carlos für seine Ansprache von 1981 hoch gelobt wurde, so steht sein Sohn in der Kritik, nachdem er bei einer live übertragenen Rede am 3.Oktober die Gewalt von Polizisten der Guardia Civil gegen Katalanen während des Unabhängigkeitsreferendums nicht erwähnte. Der katalanische Regierungschef Puigdemont hatte erklärt, dass es Gewalt solchen Ausmaßes zuletzt unter Franco gegeben hatte, als der Diktator gegen seine politischen Gegner vorging und gegen das Ausleben der katalanischen Kultur und Sprache.
Die Rolle der Guardia Civil beim Coup von 1981 macht es Separatisten leicht, Parallelen zum Franquismus zu ziehen. Doch Balfour findet diese nicht legitim. Die Darstellung der Guardia Civil als eine Überbleibsel des Franco-Regimes sei nicht begründet, findet er, da der aktuelle Einsatz der Militärpolizei lediglich zeige, dass "Madrid rechtliche und polizeiliche Maßnahmen ergreift im Umgang mit der Katalonien-Krise, anstelle von politisch-diplomatische Möglichkeiten".
Kern des Problems: die Verfassung
"Das Problem ist die Verfassung an sich und wie die spanische Regierung sie interpretiert", sagt Balfour. Kurzfristige Deeskalation sei nur möglich, wenn die katalanische Regierung die Forderung nach Unabhängigkeit zurück nimmt - was angesichts der zunehmenden Eskalation äußerst unwahrscheinlich scheint.
Langfristig, so Balfour, würde Spaniens mittlerweile 36 Jahre alter Verfassung eine Überarbeitung gut stehen.
"Gesellschaften ändern sich. Verfassungen können nicht ewig das ideologische, politische und kulturelle Gleichgewicht in einer Gesellschaft wiederspiegeln", sagt er. Wichtig sei, so Balfour, sei dass über die Frage, ob die Verfassung noch zeitgemäß ist, öffentlich diskutiert werde, statt den Katalonien-Konflikt zu reduzieren auf die Geschichte einer "Rebellion auf der einen Seite und Repression auf der anderen Seite".