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Ein schwieriges deutsches Erbe in Israel

Ulrike Schleicher7. Oktober 2013

Im Schatten der Hochhäuser von Tel Aviv liegt versteckt ein Dorf: Sarona. Es entstand lange vor der Gründung des Staates Israels und wurde von deutschen Templern gegründet. Nach mehr als 150 Jahren wird es restauriert.

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Ein historisches Haus der Sarona-Siedlung (Archivfoto: picture-alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Shay Farkash streicht mit der Hand über den frischen Putz im Wohnzimmer des imposanten Hauses mit der steinernen Veranda. Dann schüttelt er ärgerlich den Kopf: "Das ist nicht glatt genug, darauf kann man keine Schablonen malen." Der israelische Fachmann für Farbrestaurationen macht gerade einen Kontrollgang durch Sarona - eines der geschichtsträchtigsten Stadtviertel in Tel Aviv: Hier werden zurzeit 37 Häuser aus dem 19. Jahrhundert renoviert. Es sind Zeugnisse feinsten handwerklichen Könnens: mit Fachwerk, soliden Holzböden, geschmiedeten Figuren an Fensterläden, ornamentreichen Bodenfliesen und verschiedensten Wandmalereien. Dass die große Qualität dieser Häuser nun gewürdigt wird, ist allein der Hartnäckigkeit israelischer Denkmalschützer zu verdanken. Nach Abschluss der Renovierungen sollen Besucher ein Stück Vergangenheit hier neu erleben können. Dabei hilft auch ein neues Museum, das die Geschichte der Templer in den Fokus rückt.

Templer, keine Tempelritter

Soziale Not und der religiöse Verfall der menschlichen Gesellschaft bewogen um das Jahr 1850 eine Gruppe von Pietisten aus dem heutigen Baden-Württemberg, Mitglieder der "Gesellschaft zur Sammlung des Volkes Gottes in Jerusalem" zu werden. Ihr Ziel war es, in einer abgeschlossenen, religiösen Gemeinschaft im Heiligen Land zu siedeln, um dort das Reich Gottes auf Erden zu verwirklichen. Jesus war für sie ein Mensch, der "die Bestimmung des Menschen, Ebenbild Gottes zu sein, am reinsten verkörpert hat", formulierte es damals der Gründer der Tempelgesellschaft, Christoph Hoffmann. Die Bezeichnung "Templer" geht zurück auf eine Stelle im Neuen Testament, der zufolge die Menschen sich als "lebende Bausteine" zum Tempel erbauen sollen – mit den Tempelrittern haben sie nichts gemein.

Shay Farkash (Foto: Ulrike Schleicher)
Bei der Sanierung soll alles möglichst originalgetreu seinBild: Ulrike Schleicher

Mit Hilfe ihres tiefen Glaubens ließen sich die Templer auf das gefährliche Unternehmen ein. Als die ersten 1867 in Palästina ankamen, fanden sie ödes, steiniges Land und gefährliche Sümpfe vor. Sie bauten erste Häuser bei Nazareth, doch zunächst war ihnen kein Glück beschieden: neben Malaria sorgte auch die ungewohnte Hitze und zahlreiche Überfälle von Arabern dafür, dass ihre Zahl rasch abnahm. Doch auch davon ließen sich die Pietisten nicht beirren. Bereits zwei Jahre später gründeten andere Templer die Siedlung in Haifa, es folgten Jaffa, Jerusalem und vier weitere, darunter 1871 auch Sarona - 40 Jahre vor der Gründung der heutigen Stadt Tel Aviv.

Wohnviertel mit Park und Museum

Heute haftet den Häusern mit den roten Ziegeldächern inmitten hoher Bäume etwas Unwirkliches an. Ringsherum wachsen Wolkenkratzer mit luxuriösen Wohnungen in die Höhe, eine vierspurige Straße führt in die Innenstadt. Bauherr des neuen Wohnviertels ist ein Konsortium aus mehreren Firmen, die das verkehrsgünstig gelegene Gebiet von der Stadt gekauft hat – unter der Bedingung, für die Renovierung der Templerhäuser aufzukommen. Letzteres erzeugte noch vor zehn Jahren den Unmut vieler Israelis: "Kopfschütteln und Unverständnis hatten die meisten für die Pläne übrig. Das Projekt wurde als zu teuer abgetan", erzählt Noga Di-Segni von der "Gesellschaft für Denkmalschutz des israelischen Erbes". Deshalb schien es zunächst, als würde die Siedlung abgerissen. Acht Jahre hat die Gesellschaft für den Erhalt gekämpft. "Den Ausschlag gab schließlich ein Plan, der die Bewahrung der Gebäude mit dem Bau neuer Häuser verband, sodass wirtschaftlicher Nutzen und ein Wohnviertel mit hoher Lebensqualität entstand", sagt Noga. In die schmucken, alten Gebäude mieten sich Restaurants, Cafés und Geschäfte ein, eine Schule für Restauration hat bereits eröffnet. Das Museum soll einer der Mittelpunkte auf dem parkartigen Gelände sein und die kurze, aber intensive Epoche der Templer in Sarona aufzeigen.

Das Haus des Pferdeschmieds in Sarona (Foto: Ulrike Schleicher)
In diesem Haus lebte der Pferdeschmied in SaronaBild: Ulrike Schleicher

Modernes Leben in unwirtlicher Landschaft

Ein Ausstellungsstück wird dann auch die dampfbetriebene Ölpresse sein, nur eine von vielen technischen Neuerungen, die von den Templern mitgebracht wurden. "Hinsichtlich ihrer Präzision und ihrer Innovationen waren sie Vorbild für jüdische Einwanderer", sagt Jossi Goldberg, der Kurator des künftigen Museums. Sie legten nicht nur die ersten Orangenplantagen an, betrieben Viehzucht und Milchwirtschaft, sondern legten auch Wasserleitungen und arbeiteten mit dampfbetriebenen Maschinen. Die Familien in Sarona versuchten sich auch in Weinbau – "aber die ersten Trauben waren so sauer, dass sie nicht einmal der Fuchs essen wollte", erzählt Goldberg. Später jedoch wurden hier die ersten guten Weine produziert, so etwa "Die Perle von Jericho". Sie eröffneten die ersten Maschinen- und Zementfabriken, entwickelten den Straßenbau und das Transportwesen sowie das Banken – und Handelswesen.

Schriftsteller Karl May (links) besuchte im Jahr 1899 die deutsche Kolonie Sarona der Templer im heutigen Tel Aviv (Foto: Tempelgesellschaft Stuttgart)
Die deutsche Kolonie Sarona im Jahre 1899Bild: Tempelgesellschaft Stuttgart

Aus Pionieren wurden Nazis

Es ist diese ungeheure Schaffenskraft der Templer und ihre Pionierleistung für das Land, die im Gedächtnis der Israelis nun in den Vordergrund getreten sind und die Templersiedlungen in Israel zu begehrten Ausflugszielen und Wohnvierteln machen. "Die Begeisterung der Templer für den Nationalsozialismus ist nur noch bei den älteren Menschen ein Thema", weiß Noga De-Segni, die unter anderem Geschichte studiert hat. Während der NS-Zeit besaß jeder Dritte in den sieben Kolonien ein Parteibuch der NSDAP. Im Jahr 1939, kurz nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges, wurden die Templer von den Briten interniert, ein Großteil von ihnen wurde 1941 nach Australien ausgewiesen. Die letzten der insgesamt rund 2000 Templer, die sich im Gelobten Land niedergelassen hatten, mussten 1948 mit der Gründung des Staates Israel ausreisen. Zurück blieben die Belege ihrer Leistungen - und ihre Häuser. Für Restaurator Shay Farkash sind es "Zeugnisse einer großartigen Pionierarbeit".

Eingang zu einem Schulgebäude (Foto: Ulrike Schleicher)
Eingang zur Schule in SaronaBild: Ulrike Schleicher