Ein Weltkriegsdenkmal für Polen in Berlin?
31. August 2019In Deutschland unterstützen mittlerweile rund 240 Bundestagsabgeordnete aller Fraktionen - außer der rechtspopulistischen AfD (Alternative für Deutschland) - die Forderung nach einem Denkmal für die polnischen Besatzungsopfer in Berlin. Vor 80 Jahren, am 1. September 1939, hatten deutsche Bomber gegen 4.40 Uhr die polnische Kleinstadt angegriffen (unser Bild oben zeigt ein zerstörtes Haus in Wieluń) - noch vor der Attacke auf ein polnisches Munitionsdepot auf der Westerplatte durch das Panzerschiff Schleswig-Holstein. In Wieluń starben 1.200 Menschen, am Ende der deutschen Besatzung zwischen 1939 und 1945 zählt Polen sechs Millionen Opfer, die Hälfte davon polnische Juden. Gemeinsam mit Polens Präsident Andrzej Duda gedachte Frank-Walter Steinmeier am Wochenende in Wieluń des Kriegsausbruchs.
Angestoßen hat die neuerliche Initiative für ein Denkmal, der sich zuletzt auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble und Bundesaußenminister Heiko Maas angeschlossen hatten, der ehemalige Präsident des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung, Florian Mausbach. Als Architekt und Stadtplaner hat Mausbach das Gesicht der Berliner Mitte geprägt. Was ihm noch fehlt, ist ein Ort der Erinnerung an die polnischen Opfer. Er soll am Askanischen Platz entstehen, unweit der Gedenkstätte "Topographie des Terrors". "Es geht darum", so Mausbach, "mit diesem Denkmal auch mit den Polen ein gutes, freundschaftliches Verhältnis zu finden, so wie wir es mittlerweile mit Frankreich gefunden haben."
Polen begrüßt die Idee eines Denkmals
Mit seiner Initiative traf Mausbach einen "wunden Punkt", glaubt Dieter Bingen, Direktor des Deutschen Polen-Instituts in Darmstadt. Er spricht von einer "Leerstelle deutscher Erinnerung an die deutsche Besatzungspolitik in Polen". Werde an Tod und Vernichtung im Osten erinnert, dann seien die Adressaten in der Regel die Juden, wohl weil die großen deutschen Vernichtungslager im besetzten Polen lagen. "Die Gesamtheit der polnischen Gesellschaft, die unterschiedlichen Opfergruppen innerhalb des polnischen Staates in den Grenzen von 1939 und das Schicksal Polens aber ist nicht in der deutschen Erinnerung", kritisiert der Historiker im Interview mit der Deutschen Welle. Den Grund vermutet Bingen im "Nachhall eines deutschen, kolonialen Blicks auf Polen in den letzten 200 Jahren." Im kollektiven Gedächtnis der Deutschen sei Polen als Subjekt nicht vorhanden, "und wenn, dann als ein Staat, eine Gesellschaft und Zivilisation, auf die man von oben herabsah."
Nicht nur Bingen befürwortet deshalb ein Denkmal für die polnischen Weltkriegsopfer. Auch auf polnischer Seite stößt die Idee zunehmend auf Sympathie, wie Malgorzata Bochwic-Ivanovska, Direktorin des Polnischen Instituts in Berlin, versichert. "Ein solches Denkmal wäre ein Zeichen des Mitgefühls in Richtung Polen", sagt sie, "eine menschliche und moralische Geste gegenüber dem polnischen Volk." Die deutsche Besatzung Polens von 1939 bis 1945 sei äußerst lang und grauenhaft gewesen. Bisher fehle es in Deutschland aber an einer Anerkennung des polnischen Leids. Die Errichtung eines solchen Denkmals, so Bochwic-Ivanovska gegenüber der Deutschen Welle, sei gewiss "hilfreich für die deutsch-polnischen Beziehungen".
Verknüpfung mit Reparationsfrage
Davon ist auch Adam Krzeminski überzeugt, Redakteur des politischen Wochenmagazins Polityka. Was ihm in der Debatte aber fehle, so Krzeminski, sei die notwendige Verknüpfung der Besatzungsgeschichte mit den mehr als ein halbes Jahrhundert währenden Bemühungen um eine Normalisierung im deutsch-polnischen Verhältnis. "Da haben sich auf beiden Seiten viele, viele Leute guten Willens engagiert", betont Krzeminski im DW-Interview, "nicht nur Politiker, auch Kirchenmänner, Intellektuelle, Schriftsteller und Journalisten."
Das alles sei inzwischen vergessen, moniert er. Stattdessen ließen sich heute "alte Feindschaften und Feindbilder auf beiden Seiten mit sehr einfachen Mitteln reaktivieren", so Krzeminski - wenn etwa, wie geschehen, der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland die Nazizeit als "Vogelschiss der Geschichte" bagatellisiere. Aus diesem Grund befürwortet Krzeminski ein gemeinsames deutsch-polnisches Denkmal nach dem Vorbild des Luftbrücken-Denkmals in Berlin-Tempelhof. Mit der Denkmalsdebatte hänge auch die Frage deutscher Entschädigungen an Polen "irgendwie zusammen". Doch sieht er in der Frage, die auf deutscher Seite als abschließend geregelt gilt, eine rein innerpolnische Angelegenheit. "Hier wird im Wahlkampf die deutsche Karte gezogen", so Krzeminski, "um damit rechte, nationale Gruppen im Regierungslager zu mobilisieren."
Noch kurz vor dem Steinmeier-Besuch am Sonntag in Wielun hatte Polens Botschafter in Deutschland, Andrzej Przylebski, die Forderung nach einem Denkmal begrüßt. "Ein Denkmal für polnische Opfer in Berlin könnte die polnischen Ansprüche beeinflussen", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Wir sind der Meinung, nach dem Krieg ungerecht behandelt worden zu sein. Aus dem Ausmaß der Zerstörung Polens im Zweiten Weltkrieg erwächst unserer Meinung nach die moralische Verpflichtung, die Frage der Reparationen zu regeln."
Zwischen Deutschland und Polen gehen die Meinungen darüber allerdings auseinander. Im polnischen Parlament, dem Sejm, hat eine Kommission eine Entschädigungsrechnung erarbeitet, die sich auf über 800 Milliarden Euro beläuft. Sie sollte zunächst am 1. September präsentiert werden, wenn Bundespräsident Steinmeier in Polen weilt. Nun wurde sie aber auf den Herbst verschoben, auf die Zeit nach der Wahl.
Was den Bau eines Denkmals in Berlin für die polnischen Opfer des Nationalsozialismus angehe, soll die Entscheidung nach Ansicht der Bundesregierung im Bundestag fallen. Denn auch der Errichtung bereits bestehender Gedenkstätten für Opfer der NS-Herrschaft habe ein Beschluss des Deutschen Bundestags zugrunde gelegen, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag (30.08.2019). "Da ist die Analogie zu der Errichtung des Denkmals für die ermordeten Juden, das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Homosexuellen, das Denkmal für die Opfer der sogenannten Euthanasiemorde."