Einsatzrhythmus in der Kritik
22. Juni 2013Angriffe aus dem Hinterhalt, Minen am Straßenrand, aber auch tagelanges Warten in abgeschotteten Militärlagern - der Einsatz in Krisengebieten ist ein Leben im Ausnahmezustand. Auf jeden Fall weit entfernt vom Alltag, den Soldaten von zu Hause gewohnt sind. Deshalb ist es der Bundeswehr wichtig, dass alle Truppenmitglieder regelmäßig in die Heimat kommen. Angestrebt wird deshalb ein sogenannter 4/20-Rhythmus: vier Monate im Einsatzgebiet, 20 Monate wieder zu Hause. Im Zuge der Neuausrichtung der Bundeswehr soll er ab 2016 gelten, aber schon jetzt so weit wie möglich angewendet werden.
Das klappt aber nicht. Wie das Verteidigungsministerium auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion mitteilte, dauerte in einem Viertel der Fälle der Einsatz länger und die Erholungsphasen waren sogar bei der Hälfte der entsandten Soldaten kürzer. "Theorie und Praxis der Einsatzsystematik liegen zulasten der Soldatinnen und Soldaten weit auseinander", sagt der verteidigungspolitische Sprecher der Grünen, Omid Nouripour.
Theoretisch gut
Vier Monate von zu Hause weg sein, das ist eine lange Zeit. Das sei aber noch erträglich, heißt es vonseiten der Bundeswehr. In vier Monaten passiere nicht so viel, da könne der Soldat oder die Soldatin einigermaßen problemlos wieder an den Alltag mit Freunden und Familie anknüpfen. Besser jedenfalls, als nach einem halben oder gar einem ganzen Jahr. Deshalb wurde dieser Rhythmus von Verteidigungsminister Thomas de Maizière als ein Ziel der Neuausrichtung der Bundeswehr benannt.
Das ist theoretisch ein guter und richtiger Gedanke, gibt auch der Grünen-Abgeordnete Nouripour zu. Nur könnten sich die Soldatinnen und Soldaten in der Realität aber nicht darauf verlassen, dass diese Vier-Monats-Regelung tatsächlich greift. Die Antwort des Verteidigungsministeriums auf die Kleine Anfrage der Grünen zeige, "dass all die Beteuerungen, dass durch die Reform die Umorganisation erfolgen wird, dass das immense Entlastungen mit sich bringen wird - dass das alles nicht funktioniert." Und die zusätzliche Belastung für die Soldaten und ihre Familien, die ja auch irgendwie ihr Leben planen müssten, werde durch diese Umorganisation ebenfalls nicht aufgehoben.
Kein Luxusproblem
Andere NATO-Länder lassen ihre Streitkräfte zum Teil deutlich länger im Auslandseinsatz als die Bundeswehr. US-Soldaten sind manchmal bis zu 15 Monaten weg. Auch bei den Finnen gibt es Offiziere, die ein Jahr oder länger im Ausland stationiert sind - dann jedoch regelmäßig Heimaturlaub machen können.
Ben Wilkinson, Sprecher des britischen Verteidigungsministeriums, sagte der DW, im Normalfall seien bei ihnen Einsatzzeiten von sechs Monaten vorgesehen. Aber wenn der routinemäßige Wechsel in eine ungünstige Zeit falle, wie beispielsweise jetzt vor den Wahlen in Afghanistan, dann werde eben auf neun Monate verlängert.
Das ist auch bei den deutschen Soldaten so, wenn eine besondere Aufgabenstellung einen längeren Einsatz erfordere, ergänzt Oberstleutnant Thomas Kolatzki vom Einsatzführungskommando der Bundeswehr: "Zum Beispiel ein Kommandeur eines Bataillons, der über längere Zeit mit dem afghanischen Verband Verbindung halten muss, ihn ausbildet, ihn begleitet im Einsatzgebiet, sodass man dieses zwischenmenschliche Miteinander optimieren kann."
Trotzdem, so betont Grünen-Verteidigungsexperte Nouripour, sei der Protest gegen zu kurze Erholungsphasen und zu lange Einsatzzeiten im Ausland kein deutsches Luxusproblem. Und die USA mit ihren zum Teil langen Auslandseinsätzen seien in diesem Zusammenhang ein mahnendes Beispiel: "Bei den Amerikanern gibt es auch mehr psychische Belastungen und deutlich mehr Erkrankungen, das ist erwiesen. Und zweitens geht es wirklich um Planbarkeit", so Nouripour.
Aktualität schlägt Planung
Die Planbarkeit der Einsätze ist jedoch für beide Seiten ein Problem: für den Führungsstab der Bundeswehr genauso wie für die einzelnen Soldaten. Auf jede Mission soll das bestmögliche Personal geschickt werden. Aber gerade von den Spezialisten und Sanitätern gibt es nicht unbegrenzt viele, sodass ihr Einsatz gut koordiniert werden muss. Aber immer wieder wirft die Entwicklung der politischen Lage die ursprüngliche Planung des Einsatzkommandos über den Haufen, sagt Bundeswehr-Sprecher Thomas Kolatzki: "Zur Zeit sind es 13 Einsatzgebiete. Und allein, wenn Sie sich den Einsatz in Mali anschauen oder den in der Türkei, die wir Anfang des Jahres begonnen haben, die natürlich vor einem Jahr noch nicht in der Planung waren."
Doch trotz der oft unvorhergesehenen und kurzfristigen Einsätze werde in der Bundeswehr darauf geachtet, die Soldaten gut auf die Einsätze vorzubereiten, sagt ein Sprecher des Verteidigungsministeriums. Dazu gehören Vieraugengespräche mit dem Kommandeur, detaillierte Informationen über den Einsatzort und die bevorstehende Mission sowie die Beratung durch einen Psychologen. Denn letztlich sei ein Soldat, der nicht auf seine Aufgabe fokussiert sei, sowohl für sich als auch für seine Kameraden ein Risiko. Deshalb dürfe es nach Möglichkeit keine familiären oder sonstigen Unruheherde im Leben des Soldaten geben. "Der Anker eines harmonischen Zuhauses ist entscheidend für das Bestehen im Einsatz", so beschreibt der Sprecher des Verteidigungsministeriums im DW-Interview das Ziel hinter den intensiven Gesprächen im Vorfeld der Einsätze.
Kritik am Zeitplan
Das Verteidigungsministerium hat angekündigt, den Neuausrichtungsprozess bis 2016 komplett umzusetzen und damit auch die Neuregelung der Einsatz- und Erholungszeiten für die Soldatinnen und Soldaten. Omid Nouripour ist mit diesem Fahrplan angesichts der aktuellen Situation überhaupt nicht zufrieden: "Wenn ich das richtig sehe, ist der Haupteinsatz der Bundeswehr in Afghanistan Ende 2014 weitgehend zu Ende. Dann ist es der reinste Hohn, den Soldaten zu sagen, du kannst zwar dein Leben jetzt nicht planen, aber wir lösen das Problem zwei Jahre, nachdem du wieder weg bist."