Energie durch Wellenkraft
19. Juni 2013Vor den Klippen von Billia Croo auf der schottischen Insel Orkney wippt ein gelbes Objekt in den Wellen auf und ab. Am Strand steht ein unscheinbares grünes Gebäude. Beide sind unsichtbar miteinander verbunden. Das gelbe Objekt ist das kleine, sichtbare Oberteil eines Flachwasserkraftwerks. In 15 Metern Tiefe ist eine zehn mal 18 Meter große Plattform am Meeresboden festgemacht. Über einem Scharnier ist eine Klappe montiert, die sich mit den Wellen auf und nieder bewegt. So wird unter Druck stehendes Wasser durch eine unterirdische Leitung in das Maschinenhaus gepumpt. Dort treibt es eine elektrische Turbine an. "Oyster" oder "die Auster" - so der Name des Geräts - wurde von Aquamarine Power entwickelt, einer schottischen Firma mit Sitz in der Hauptstadt Edinburgh.
Wenn alles nach Plan geht, werden in den kommenden Jahren ganze Reihen dieser gelben "Austern" vor der Küste der Hebrideninsel Lewis installiert. Die schottische Regierung hat der Firma eine Lizenz erteilt, um dort den größten Wellenergiepark der Welt zu entwickeln.
Ideale Bedingungen für die Meeresenergie
Die Möglichkeit, diese unterschiedlichen Technologien in der rauen See vor Orkney zu erproben, ist EMEC zu verdanken, dem Europäischen Zentrum für Meeresenergie. Im nahe gelegenen Stromness wurde die weltweit einmalige Einrichtung 2003 mit Unterstützung der britischen und der schottischen Regierungen und der Europäischen Kommission etabliert. Zwölf Testplätze im Meer, jeder mit einer eigenen Verbindung zum Netz. Wer hier erfolgreich Strom erzeugt, verkauft ihn direkt weiter, erklärt Eileen Linklater, Marketing-Chefin von EMEC. Die Geräte werden auf ihre Tauglichkeit bei stürmischem Wetter und Wellen bis zu 17 Meter Höhe überprüft. Die Gezeitenkraftwerke, die in der Strömung getestet werden, arbeiten im Prinzip alle mit Turbinen, sagt Linklater. Noch gebe es bei der Wellenenergie grundsätzlich verschiedene Technologien. Da die Geräte für unterschiedliche Wassertiefen und Standorte geeignet seien, könnten auch mehrere Systeme nebeneinander Erfolg haben.
An einer anderen Stelle vor der Küste treibt in tieferem Wasser ein langes rotes Gerät, das wie eine riesige Seeschlange aussieht. Die Seeschlange heißt "Pelamis" und ist ein Minikraftwerk, das auf dem Wasser schwimmt: Eine stählerne Röhre, vier Meter im Durchmesser und 180 Meter lang - wie fünf Inter-City-Waggons, erklärt Richard Yemm, Erfinder des Systems und Direktor der Firma Pelamis Wave Power. Die Röhre ist in mehrere Elemente unterteilt, die über Gelenke miteinander verbunden sind. Die einzelnen Glieder werden durch die Meereswellen in Bewegung gesetzt. Generatoren im Innern des Geräts erzeugen aus der Bewegung Elektrizität, die dann über ein Unterwasserkabel ans Festland geleitet wird. Im Hauptquartier der Firma in Leith bei Edinburgh überwachen Mitarbeiter per Fernsteuerung die Leistung des Geräts. Müssen sie gewartet werden, können die Minikraftwerke einfach ausgestöpselt und an die Küste gebracht werden.
EON, Scottish Power Renewables, Vattenfall, ABB, Kawasaki – die großen internationalen Namen investieren in das Zukunftsgeschäft auf Orkney. Ein Zeichen, dass die Wellenenergie auf dem Weg zum kommerziellen Einsatz ist, sagt Schottlands Energieminister Fergus Ewing.
Es gibt kein schlechtes Wetter
Großbritannien will das Energiepotential, das in seinem notorisch wilden Wetter steckt, zu klimafreundlichem Strom und zu Geld machen. Der nach Unabhängigkeit von London strebenden schottischen Regierung liegt die Entwicklung der erneuerbaren Energien besonders am Herzen. Das Windpotential wird hier bereits stark genutzt. Europas größte Windfarm befindet sich in der Nähe von Glasgow. Das Offshore-Windgeschäft schreitet mit einem rasenden Tempo voran. Bis 2020 will das Land seinen ganzen Strombedarf aus erneuerbaren Quellen erzeugen und überschüssige Energie exportieren.
Auch die Meeresenergie soll zum klimaschonenden Energiemix der Zukunft beitragen. Dabei profitiere das Land von seiner Energieexpertise im Öl- und Gassektor sagt Energieminister Ewing. Auch die Erfahrung mit Windstrom soll der Wellenenergie zugute kommen. Per Hornung Pedersen wurde aufgrund langjähriger Erfahrungen im Windsektor von Pelamis Wave Power als Geschäftsführer eingekauft. Er sieht die Wellenenergie jetzt dort, wo die Windenergie vor 12 Jahren war. Die Priorität sei neue, strategische Investoren für die Branche zu sichern, sagt Hornung. Unternehmen, die nicht nur Kapital sondern technische und marktrelevante Kompetenzen mitbringen. Auch Aquamarine Power ist auf der Suche nach weiteren Investoren, zum Beispiel aus dem Öl- und Gasgeschäft, die die Kommerzialisierung der Meeresenergie vorantreiben können, erklärt Kommunikationschef Neil Davidson.
Wellenenergie: Nur noch eine Frage des Geldes
Die Erforschung neuer Technologien ist mit hohen Investitionskosten verbunden. Die schnellen Fortschritte in Schottland wären ohne die massive Unterstützung der Regierung undenkbar gewesen. Eine Kombination aus Darlehen, günstigen Einspeisetarifen sowie der Bereitstellung von gut erforschten Entwicklungsflächen vor der Küste boten einen Anreiz für interessierte Firmen. Noch ist die Wellenenergie zu teuer, um mit anderen erneuerbaren Energien zu konkurrieren. Die Kosten müssen sinken, bis sie mit der inzwischen recht günstigen Windenergie auf dem Land gleich ziehen können, sagt Roy Kirk, Direktor von HIE, der schottischen Agentur für wirtschaftliche Entwicklung im schottischen Nordosten. Das könnte bereits in fünf bis zehn Jahren möglich sein, meint der Wirtschaftsexperte. Schließlich hätten große internationale Konzerne nicht nur aus Umweltgründen sondern auch wegen des Gewinnpotentials hier investiert. Es sei aber allen klar, dass man den Kapitalbedarf und die Betriebskosten reduzieren müsse. Zunächst müsse die Meeresenergie das Preisniveau von Windenergie auf dem Meer erreichen, das immer noch wesentlich höher sei als das der Windkraftwerke auf Land.
Strom von den Inseln fürs britische Festland
Eine große Herausforderung für die neue Energiequelle ist die begrenzte Kapazität des britischen Stromnetzes. Orkney ist der nördlichste Punkt des Netzes. Einst ging es darum, diese kleinen, abgelegenen Gemeinden mit Strom aus den Kohlerevieren weiter südlich zu versorgen, erklärt Energieminister Ewing. Jetzt wollen sie zu Stromerzeugern werden – in großem Stil. Dafür müsse das Netz ausgebaut werden. Zurzeit müssen die Inselgemeinden weit mehr für die Einspeisung ins Netz bezahlen als die Städte weiter südlich – ein Streitpunkt zwischen der von den schottischen Nationalisten geführten Regierung in Edinburgh und der konservativ-liberalen Koalition in London.
Sauberer Strom für die Megastädte der Welt
Die Meeresenergie gilt als zuverlässige, vorhersagbare Ergänzung zu Wind- und Solarenergie. Geräte, die in den schwierigen Bedingungen vor der schottischen Küste Sturm und Wellengang aushalten, könnten überall in der Welt zum Einsatz kommen. Die Megastädte an den Küsten könnten mit klimafreundlichem Strom versorgt werden, so die schottischen Experten. In den kommenden Jahren sollen Reihen von Geräten zu großen "Wellenfarmen" verbunden werden. Das Großprojekt in Schottland wird jetzt Pionierarbeit leisten.
Eileen Linklater von EMEC rechnet noch mit einigen Optimierungen der Wellenkraftanlagen bevor sie kommerziell erfolgreich werden. Man gehe von zehn bis fünfzehn Jahren aus, sagt sie. Es hänge noch sehr stark von der Politik und der Investitionsbereitschaft ab. China und Japan zeigen bereits großes Interesse an den Entwicklungen auf Orkney. Hier werde man zeigen, wie man die Wellenenergie effizient nutzen kann, sagt Pelamis-Chef Richard Yemm. Danach werde man den Erfolg in anderen Erdteilen wiederholen.