Strom aus der Wüste
4. November 2016Die Sonne steht hoch und ein kräftiger Wind weht über die Ebene. Rote Erde erstreckt sich bis zur Silhouette des Atlas-Gebirges in der Ferne. Hier in der Geröllwüste, nordöstlich der Stadt Ouarzazate, lässt Marokko eines der weltweit größten Kraftwerke zur Erzeugung von Solarstrom entstehen. Spiegelfelder, blau wie der Himmel, wölben sich über dem roten Grund. In nicht enden wollenden Reihen miteinander verbunden konzentrieren sie das Licht auf ein Röhrchen, das in ihrem Brennpunkt verläuft und in dem ein Öl zirkuliert, das sie auf 400 Grad Celsius erhitzen. Die Hitze, in Wasserdampf verwandelt, nutzt eine Turbine, die inmitten des Spiegelfeldes ihren Platz hat, um daraus Strom für Marokkos Hochspannungsnetz zu produzieren.
Marokko braucht viel Energie
Seit einem halben Jahr arbeitet das solarthermische Kraftwerk namens Noor I. Zwei weitere sind in Bau und sollen Ende des nächsten Jahres in Betrieb gehen. Zusammen mit einem ebenfalls geplanten Photovoltaikfeld würden die Spiegelsolarkraftwerke bis zum Jahr 2020 eine Leistung von 580 Megawatt (MW) bereitstellen - so viel wie ein konventionelles Großkraftwerk auf Basis von Kohle oder Kernkraft.
Marokko braucht Energie. Weil Wirtschaft und Bevölkerung wachsen, legte der Stromverbrauch in den vergangenen Jahren um sechs Prozent per annum zu. Doch Kraftwerke, die Treibhausgase ausstoßen, will Marokkos König Mohammed VI. nicht mehr bauen.
Königliche Energiewende
Stattdessen hat der Monarch dem Land eine Energiewende-Programm verordnet, das unter Schwellen- und Entwicklungsländern seinesgleichen sucht. So hatte er beim letzten Klimagipfel Ende 2015 in Paris angekündigt, dass das Königreich den Anteil von Sonnen-, Wind- und Wasserenergie am marokkanischen Strom-Mix bis 2030 auf 52 Prozent ausbauen will. Aktuell sorgen Wasserkraftwerke und Windkraft für 26 Prozent. Der Rest wird von Kohle, Heizöl und ein wenig Erdgas bereitgestellt - Quellen, die für einen hohen Ausstoß des Klimagases Kohlendioxid sorgen.
Pünktlich zur Eröffnung der UN-Klimakonferenz im südmarokkanischen Marrakesch zeigt das Land, wie es gehen kann. "Täglich kommen anlässlich der Klimaschutzkonferenz Besucher, die die Anlagen sehen wollen", sagt Tarik Bourquouquou, der bei der staatlichen Agentur für Erneuerbare Energien (Masen) für die Planung der Solarkraftwerke von Ouazarzate zuständig ist.
Solarstrom in der Nacht
Der Ingenieur blickt von einer Aussichtsplattform über das Spiegelkraftwerk. "Es läuft zuverlässig von morgens bis abends und liefert auch nach Sonnenuntergang Strom." Er zeigt auf zwei große Stahltürme, in denen ein Spezialsalz lagert, dass am Tage Energie aus dem Solarfeld speichert und in den Abendstunden zu Strom umwandelt. Dann, so Bourquouquou, wird er in Marokko am meisten gebraucht.
Eines der beiden neuen Vorhaben wird den Solarstrom mit einer anderen Technologie nutzen. Mehrere hundert rechteckige Solarspiegel werden dabei die Sonnenenergie auf die Spitze eines 250 Meter hohen Turms reflektieren, in dem besagtes Spezialsalz zirkuliert. Weil sie die Lichtenergie stärker konzentrieren als die Parabolspiegel es können, wird das Salz höher erhitzt und kann nach Sonnenuntergang noch länger Strom produzieren. "Sieben Stunden lang", sagt Bourquouquou, der bei der Baustellenbesichtigung vor einem Wald von Betonpylonen stehen geblieben ist, auf denen die Spiegel in den kommenden Monaten montiert werden sollen.
Das Solargroßprojekt, verwirklicht auf einer Fläche von 3000 Hektar, ist so einzigartig, dass der Ingenieur - wie andere Kollegen auch - deshalb eigens aus Frankreich nach Marokko zurückgekehrt ist. "Ein vergleichbares Vorhaben gab es bisher in Marokko nicht. Das ist eine Chance für mein Land, und ich bin froh, daran mitwirken zu können."
Programme für die Landbevölkerung
Auch die lokale Bevölkerung soll vom Solarboom profitieren. So finanziert Masen über die Nichtregierungsorganisation (NGO) Agrisud International Schulungsprogramme für moderne Anbaumethoden, die mit gezielter Bewässerung und Anzucht die Erträge der Landwirte verbessern helfen. Einer der 'Klienten' ist der 68-jährige Lahcen Agendouch aus dem benachbarten Dorf Tasselmant.
Auf seinen Feldern wachsen Paprika, Zwiebeln und Petersilie. "Ich kann heute Dank der Schulung viel mehr auf dem Markt verkaufen", sagt er und lacht. Seine Frau, die sich um die Ziegen kümmert, ergänzt, dass sie durch Hygieneschulung heute wesentlich gesündere Tiere hätten als noch vor zwei Jahren. Vom Dach ihres Hauses aus ist der Solarturm gut zu sehen, der sich hinter einer Hügelkette in die Höhe steckt und den Turm der Dorf-Moschee weit überragt.
Marokko lässt es bei der zentralen Solarstromerzeugung in den Großkraftwerken nicht bewenden. Geplant ist auch, zusammen mit der deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) mehrere hundert Moscheen im ganzen Land mit Solartechnologie und LED-Lampen auszustatten. Die Gotteshäuser sollen damit ihren eigenen Strom- und Wärmebedarf decken.
Kritik an Windkraft in Westsahara
Insgesamt will König Mohammed VI. bis 2030 jeweils 2000 Megawatt an Solarstrom- und Windkraftanlagen installieren. Die ambitionierten Pläne sollen mit privaten und öffentlichen Geldern finanziert werden. So beteiligen sich die staatliche deutsche Förderbank KfW, die französische Entwicklungsbank, die Europäische Kommission und saudi-arabische Investoren an der Finanzierung der rund 2,2 Milliarden Euro teuren Solarprojekte in Ouazarzate.
Kritik an den Plänen zur Energiewende gibt es aber auch. Sie kommt von den NGO medico international und Western Sahara Resource Watch. Denn Marokko plant einen Teil des Ausbaus seiner Windkraftkapazitäten in der Westsahara, die seit mehr als 40 Jahren von dem Königreich völkerrechtswidrig besetzt ist. Die Organisationen fordern deshalb dort den Ausbaustopp.