Öl für alle und alles
30. November 2006Wer einmal den Erdölreichtum Venezuelas riechen möchte, dem sei eine Bootsfahrt auf dem See von Maracaibo empfohlen. Wer den Kloakengestank in Ufernähe hinter sich gelassen hat, dem weht auf dem offenen See intensiver Tankstellengeruch um die Nase. Am Ostufer ragen Tausende Bohrtürme, Öl- und Gasplattformen aus dem Wasser. An einigen Stellen bricht sich das Licht in den Ölschlieren auf dem Wasser.
Hier am größten See Lateinamerikas begann am 12. Dezember 1922 für Venezuela eine neue Ära. Damals öffnete Shell das Bohrloch Los Barrosos, Nr. 2. Ein Volltreffer. Das Öl sprudelte, 100.000 Barrel täglich. 1929 war der Karibikstaat bereits der größte Erdölexporteur der Welt. Venezuela wurde reich, und der See immer dreckiger. Die Firmen scherten sich nicht um die Verschmutzung. Heute hat die staatliche Ölgesellschaft PDVSA zwar mit den ausländischen Förderfirmen Umweltprogramme gestartet, doch viel merkt man davon nicht.
Widersprüchliche Angaben
Die Reserven in und um den See reichen laut Experten noch mehrere Jahrzehnte. "Maracaibo ist aber im Niedergang", sagt Diego González, Direktor des Instituts für Erdöl und Minen IPEMIN. "1970 produzierte man hier noch drei Millionen Barrel täglich, heute sind es weniger als eine Million", sagt der regierungskritische Experte, der mehr als 38 Jahre in der Erdölbranche gearbeitet hat, darunter auch in der staatlichen Erdölgesellschaft PDVSA. Es fehle an Investitionen, nicht nur in Maracaibo. "In ganz Venezuela gibt es derzeit mehr als 20.000 stillgelegte Bohrlöcher. Die könnten alle rentabel produzieren, tun es aber nicht."
Gonzalez wirft der staatlichen Erdölwirtschaft Misswirtschaft und mangelnde Transparenz vor. Laut der Internationalen Energieagentur fiel die Produktion Venezuelas von 3,3 Millionen Barrel am Tag 1997 auf 2,4 Millionen im Juli 2006. "Die Regierung behauptet weiterhin, 3,3 Millionen zu fördern. Allerdings ist sie seit 2003 gesicherte Zahlen schuldig geblieben. Seitdem hat es keinen neuen Geschäftsbericht gegeben", sagt González. Außerdem sei die Zahl der Unfälle in Anlagen von PDVSA gestiegen. Im Juli beschädigte ein Brand die größte Raffinerie Lateinamerikas in Paraguaná schwer. DW-WORLD hat wochenlang versucht zu diesen Fragen ein offizielles Statement von PDVSA zu bekommen, ohne Erfolg.
Der Streik und seine Folgen
Nach Ansicht von Gonazález hat sich PDVSA von dem Rauswurf von etwa 18.000 Mitarbeitern nicht erholt. Im Dezember 2002 und Januar 2003 hatte die Opposition versucht, Chávez mit einem Generalstreik aus dem Amt zu drängen. Die Erdölfirma war Zentrum des Widerstands. "Vor allem hochqualifiziertes Personal musste gehen: Ingenieure, Geologen, Techniker, Finanzspezialisten", sagt Xavier Fernández vom Öl-Dienstleister Pioneer. Viele der Spezialisten mussten Venezuela verlassen, da sie von den ausländischen Firmen im Land nicht eingestellt werden durften.
Heute ist die Erdölindustrie Venezuelas wieder in Staatshänden. Die Chávez-Anhänger jubeln, endlich komme der Erdölreichtum den Bürgern zu Gute und verschwinde nicht in den Taschen der ausländischen Ölmanager. Das Gesetz zu den fossilen Brennstoffen verpflichtet die ausländischen Konzerne die Erdölförderung nicht mehr alleine, sondern in Form von gemischten Gesellschaften durchzuführen, in denen PDVSA die Mehrheit hält.
Abgaben auf das geförderte Öl und Steuern auf das Betriebsergebnis wurden drastisch erhöht. Die ausländischen Konzerne mussten zudem für die Jahre 2001 bis 2004 etwa vier Milliarden Dollar Steuern nachzahlen. Seit Januar dieses Jahres sind alle 32 Ölfelder unter der mehrheitlichen Kontrolle von PDVSA. Nicht alle Firmen wollten sich den neuen Bedingungen fügen: Konzerne wie die amerikanische Exxon Mobil und die norwegische Statoil entschieden, ihre Anteile an der Ölförderung in Venezuela zum Teil zu verkaufen.
Die Zukunft liegt am Orinoco
Dennoch, das Ölgeschäft bleibt lukrativ, solange der Ölpreis so hoch ist. Er macht die Ausbeutung der extraschweren Rohölreserven im Orinoco-Becken rentabel. "Maracaibo ist die Vergangenheit, das Orinoco-Becken die Zukunft", sagt Fernández. In einem 600 Kilometer und 70 Kilometer breiten Streifen parallel zum Orinoco-Fluss liegen die wohl größten Erdölreserven der Welt. Die Regierung spricht von 1370 Milliarden Barrel, davon seien mit der heutigen Technik 236 Milliarden förderbar. Derzeit verfügt Venezuela über zertifizierte Reserven von rund 81 Milliarden Barrel.
"Das Öl aus dem Orinoco-Becken ist einzigartig in seiner schlechten Qualität", sagt Fernández. "Es ist extrem schwefelhaltig. Füllt man es in ein Glas, kann man es umdrehen, ohne dass etwa rausfließt. Doch bei dem hohen Ölpreis, lohnt es sich, es zu raffinieren", sagt Fernandez.
Ambitionierte Zukunftsprojekte
In welchem Umfang das möglich sein wird, ist ungewiss. Derzeit werden im Orinoco-Becken lediglich 600 Millionen Barrel gefördert. "Für die vier bestehenden Felder waren schon Investition von 17 Milliarden Dollar nötig", sagt Gonzalez. "Die Regierung will insgesamt 27 Felder errichten. Das ist Nonsens. Gigantische Investitionen in Raffinerien und Infrastruktur wären nötig, von denen PDVSA nach der neuen Gesetzeslage selbst einen großen Teil tragen müsste."
González und andere Ölexperten halten es schon für illusorisch – wie von PDVSA geplant – die Förderquote bis 2012 auf 5,8 Millionen Barrel/Tag zu erhöhen. Ein Großteil der Einnahmen braucht es, um die teuren Sozialprogramme zu finanzieren. Manch einer nennt PDVSA etwas spöttisch schon ein Wohltätigkeitsunternehmen mit einer Erdölabteilung. "PSVSA baut Straßen, Schulen und Krankenhäuser, kümmert sich um Denkmalschutz, fördert Kunst, Kultur und Wissenschaft. Doch das Kerngeschäft wird vernachlässigt", sagt der Politologe Friedrich Welsch von der Simon-Bolivar-Universität in Caracas.
Selbst treue Mitarbeiter von PDVSA sind skeptisch angesichts der Zukunftsvisionen des Präsidenten, auch wenn sie das nie öffentlich äußern würden. Viele halten das jüngste Projekt einer 8000 Kilometer langen Gaspipeline von Venezuela durch den Amazonas bis nach Argentinien für technisch und finanziell unrealistisch. "Es wäre viel billiger, das Erdgas zu verflüssigen und per Schiff zu transportieren", sagt González. "Dabei könnte alles so einfach sein. Wir haben den größten Markt der Welt, die USA, vor der Tür, die derzeit nach wie vor 11 Prozent seines Bedarfs mit venezolanischem Öl abdecken." Doch Chávez ziehe es vor, künftig Öl nach China zu liefern. "Ein Tanker braucht in die USA gerade mal vier Tage, nach China eineinhalb Monate. Das macht doch keinen Sinn."