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Zuckerbrot und Peitsche - Erdogans Strategie im Kurdenkonflikt

6. Oktober 2011

Die türkische Regierung will den Kurdenkonflikt, der seit 1984 andauert, mit einer Doppelstrategie aus Zuckerbrot und Peitsche beilegen. Diese Doppelstrategie beherrscht allerdings auch die kurdische Arbeiterpartei PKK.

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Der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan (Foto: AP)
Der türkische Premier setzt auf Gespräche und Gewalt im KurdenkonfliktBild: AP

Der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan konnte die ganze Aufregung nicht so recht verstehen: Mitte September waren Tonbandaufnahmen vertraulicher Gespräche zwischen dem türkischen Geheimdienst und den Rebellen von der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK an die Öffentlichkeit geraten. Türkische Nationalisten protestierten, ein Oppositionspolitiker reichte sogar Strafanzeige gegen die Geheimdienstler ein. Doch Erdogan blieb kühl. "Dazu hat man doch einen Geheimdienst", sagte er und fügte hinzu, dass die derzeit unterbrochenen Gespräche mit den erklärten Todfeinden Ankaras wieder aufgenommen würden, wenn es ratsam erscheine. Das Wutgeschrei der Nationalisten lässt der Regierungschef an sich abperlen.

Pragmatiker und Hardliner

Der PKK-Chef Abdullah Öcalan bei seiner verhaftung (Foto: AP)
Erdogans Gegenspieler: Der inhaftierte PKK-Chef ÖcalanBild: AP

Erdogan, der Pragmatiker? Er kann auch ganz anders. Mehrere tausend unbewaffnete PKK-Anhänger, darunter viele Lokalpolitiker, sind in den vergangenen zwei Jahren festgenommen worden. Seit Wochen lässt der Ministerpräsident die Luftwaffe immer wieder Stützpunkte der PKK im benachbarten Nordirak bombardieren. Das Parlament verlängerte diese Woche auf Antrag der Erdogan-Regierung ein Mandat für Auslandseinsätze der Armee, das zur rechtlichen Grundlage eines erneuten Einmarsches türkischer Bodentruppen im Nordirak werden könnte. Wie schon mehrmals in der Vergangenheit sollen die türkischen Truppen dort Nachschubwege der PKK zerstören. "So etwas kündigt man nicht an, so etwas tut man", sagte Erdogan dazu.

Die Rolle des Hardliners spielt der türkische Premier ebenso überzeugend wie die des Verhandlers, der sich dem schwersten innenpolitischen Konflikt der Türkei mit dem Instrument des Gesprächs nähert. Derselbe Erdogan, der mit dem Gedanken an eine Offensive im Nordirak spielt, lud die legale Kurdenpartei BDP, die den türkischen Behörden als verlängerter Arm der PKK gilt, zu den Gesprächen über eine neue türkische Verfassung ein. In der kommenden Woche soll es ein erstes Treffen von Erdogans Regierungspartei AKP mit der BDP geben. Tage davor kritisiert Erdogan dann plötzlich deutsche Stiftungen wegen angeblicher Unterstützung der PKK.

Zuckerbrot und Peitsche

Hinter dem raschen Rollenwechsel Erdogans steht eine Strategie von Zuckerbrot und Peitsche, mit der die türkische Regierung den Kurdenkonflikt lösen will. Der Ministerpräsident ist allerdings nicht der einzige Akteur, der diese Doppelstrategie verfolgt. Auch die PKK und ihr inhaftierter Anführer Abdullah Öcalan setzen gleichzeitig auf Gewalt und Gespräche.

Aufräumarbeiten nach einem Anschlag in Ankara (Foto: AP)
Auch die PKK schlägt wieder zu: Anschlag in AnkaraBild: dapd

Aus Sicht von Mithat Sancar, Verfassungsrechtler aus Ankara, folgen beide Seiten im Kurdenkonflikt einer "Logik des Krieges". Der türkische Staat wolle die PKK militärisch schwächen, um sie zu Verhandlungen zu zwingen. Umgekehrt sei die PKK überzeugt, dass sich der türkische Staat nur unter Druck mit dem Kurdenproblem befasse, sagt Sancar. Deshalb hat die PKK ihre Gewaltaktionen wieder eskalieren lassen. Eine ihrer Unterorganisationen tötete im September drei Menschen bei einem Bombenanschlag in Ankara, während PKK-Kämpfer verstärkt Polizisten angriffen und sogar Zivilisten töteten.

Verhandlungen auf Imrali

Erdogans Regierung führte nicht nur mit der PKK, sondern auch mit Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali bei Istanbul viele Gespräche. Der PKK-Gründer soll im Laufe der Verhandlungen gesagt haben, es gebe keinen Grund mehr für die Gewalt seiner Guerrillas. Gleichzeitig drohte er aber immer wieder mit neuen Anschlägen.

Für die Erdogan-Regierung wurde Öcalan damit offenbar zu einer unberechenbaren Größe. Seit einigen Wochen untersagt Ankara die Besuche der Öcalan-Anwälte auf Imrali, die vom PKK-Chef als Gelegenheit genutzt wurden, um Botschaften an die türkische und kurdische Öffentlichkeit loszuwerden. Ob auf Imrali derzeit noch Gespräche zwischen Öcalan und türkischen Staatsvertretern stattfinden, ist nicht bekannt.

Werden aber die diversen Doppelstrategien am Ende zu einem Erfolg führen? Eine Antwort auf diese Frage kann es im Moment nicht geben. Fest stehe aber, dass der türkische Staat sowie die PKK eingesehen haben, dass man sich in eine Sackgasse begibt, wenn man sich ausschließlich auf Gewalt stützt, sagt der Verfassungsrechtler Sancar. Und das ist immerhin ein kleines Hoffnungszeichen in einem Konflikt, der schon mehreren zehntausend Menschen das Leben gekostet hat.

Autor: Thomas Seibert
Redakteur: Blagorodna Grigorova