Erdogans Heimspiel in Sarajevo
19. Mai 2018Enes Kuloğlu ist 19 Jahre alt und studiert Betriebswirtschaftslehre und Psychologie in Düsseldorf. Am Freitag hat er sich mit dem Bus auf die 1500 Kilometer lange Reise nach Sarajevo gemacht, um dort am Kongress seiner Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) teilzunehmen. Besonders freut er sich auf den speziellen Gast aus Ankara, der beim Kongress eine Rede halten wird: den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.
Enes, so sagt er, möchte Erdogan unterstützen in seinen Bemühungen, bei den Wahlen am 24. Juni wieder zum Präsidenten gewählt zu werden. Er und seine Partei AKP seien gut für die Türkei und gut für Europa, deswegen wird Enes, der die türkische Staatsbürgerschaft besitzt, selbstverständlich seine Stimme dem jetzigen und, wie er hofft, auch künftigen Präsidenten geben. Besonders auffallen wird Enes dabei nicht: so wie er kommen tausende Türken aus vielen europäischen Länder mit Bussen, Zügen oder in ihren Privatwagen in die bosnisch-herzegowinische Hauptstadt, um den türkischen Machthaber zu sehen. Und dort werden sie von freundlich gesonnenen Gastgebern begrüßt.
Endlich Wahlkampf auch in Europa
Es wird ein Heimspiel für Erdogan, wenn er am Sonntagabend vor tausenden begeisterten Anhängern in Sarajevo seinen einzigen Wahlkampfauftritt in Europa bestreitet. 140 Jahre nach dem Ende des Osmanischen Reiches, zu dem auch Bosnien-Herzegowina gehörte, kann sich der türkische Präsident hier wie zu Hause fühlen und eine Wahlkampfrede vor einem begeisterten Publikum halten. Und vor allem ohne Kritik befürchten zu müssen, wie in mehreren anderen europäischen Ländern.
Während nämlich solche Auftritte etwa in Deutschland, Österreich oder den Niederlanden inzwischen gerichtlich verboten sind, gilt Erdogan bei vielen bosnischen Muslimen als ein enger Verbündeter und Beschützer. Insbesondere in Folge des Bosnienkrieges in den 1990er Jahren, als die im Land lebenden Serben und Kroaten versuchten, ihre Kriegsziele mit Unterstützung der benachbarten Mutterländer zu erreichen, fühlten sich viele bosnische Muslime von den europäischen Staaten im Stich gelassen und besannen sich auf die alte Verbundenheit mit dem türkischen Kernland.
Ein Busenfreund namens Bakir
Auch der Unterstützung eines Großteils der politischen Elite des Landes kann Erdogan sich sicher sein: Seine Freundschaft zu Bakir Izetbegovic, dem muslimischen Mitglied des dreiköpfigen Staatspräsidiums in Bosnien, ist längst bekannt. Auch zu privaten Anlässen, wie etwa der Hochzeit seiner Tochter, hat Erdogan seinen "Bruder Bakir" schon mehrfach als besonderen Gast eingeladen.
Offiziell kommt Erdogan zu einem Arbeitsbesuch nach Sarajevo; er will mit den Spitzenvertretern des Staates Gespräche vor allem über verschiedenen wirtschaftliche Themen führen. Außerdem bekommt der türkische Präsident die Ehrendoktorwürde der Internationalen Universität von Sarajevo verliehen - "für außergewöhnliche Beiträge beim Ausbau einer humanen Gesellschaft sowie für die Promotion einer Kultur des Dialogs in Europa und der Welt", - heißt es in der Begründung.
Da aber, natürlich ganz zufällig, just an dem Tag auch die Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), eine AKP-nahe türkische Lobbyorganisation in der EU, ihren Kongress im Nicht-EU-Land Bosnien-Herzegowina abhält, nutzt Erdogan die Gelegenheit und besucht auch diese Veranstaltung. Organisatoren erwarten in der für die Olympischen Winterspiele 1984 errichteten Zetra-Halle "etwa 20.000 Teilnehmer", so Zafer Sirakaya, der Vorsitzende der UETD.
Die Türkei als Regionalmacht
Auf der Bühne wird dann neben Erdogan auch sein Freund Bakir Izetbegovic stehen. Und genau das ist auch einer der Gründe, warum die Opposition in Bosnien-Herzegowina der ganzen Veranstaltung kritisch gegenüber steht. Denn im Oktober wird auch hier gewählt, der Auftritt mit Erdogan soll Izetbegovic und seiner regierenden Partei SDA Schützenhilfe leisten. "Statt eine europäische Perspektive für Bosnien und Herzegowina zu gestalten, bietet die regierende Parte nur eine Zirkusveranstaltung, in der Menschen Erdogan und den SDA-Kandidaten huldigen sollen", empört sich Nermin Niksic, Präsident der oppositionellen Sozialdemokratischen Partei. "Man bietet den Bosniern keine Zukunftsperspektive, sondern bloß ein falsches Gefühl des Patriotismus unter den Fittichen der Türkei an", so Niksic. Und auch Milorad Dodik, der Präsident der Republika Srpska, des serbischen Teil Bosniens, kritisiert, dass "die Türkei nur den bosnischen Muslimen hilft. Wir mögen das nicht, können es aber nicht ändern."
Erdogan wird diese Kritik kaum stören. Schon seit Jahren versucht er, die Türkei als wichtige Regionalmacht auch auf dem Balkan zu etablieren. Einerseits will er die verarmten Länder durch zahlreiche größere und kleinere Wirtschaftsprojekte an türkische Investoren zu binden. Zuletzt hat er angekündigt, den Bau einer Autobahn zwischen Belgrad und Sarajevo zu unterstützen, auch darüber soll es bei den Gesprächen in Sarajevo gehen. Andererseits möchte er insbesondere den Muslimen auf dem Balkan eine politische und ideologische Heimat bieten – nicht zuletzt durch Verklärung einer vermeintlich glorreichen Vergangenheit im Osmanischen Reich. Viele Beobachter sprechen gar von einer neo-osmanischen Politik und sehen die Türkei neben der EU, Russland und China als weiteren "Spieler" im Ringen um Einfluss in der instabilen Region.
Ein gefährlicher Partner
Die Befürchtungen über die Rolle der Türkei auf dem Balkan hält der in Sarajevo lebende Politologe Nerzuk Curak für übertrieben. "Eine wirklich negative Rolle in Bosnien-Herzegowina spielen vor allem die Nachbarländer Serbien und Kroatien", sagt er. Die beiden früheren Kriegsparteien "können es nicht lassen, Bosnien-Herzegowina zu bevormunden" und versuchten noch immer, die Politik Bosniens so sehr zu beeinflussen, "als handele es sich um einen Teil ihres Landes. Die Rolle der Türkei fällt in diesem Zusammenhang nicht wirklich ins Gewicht." Und das wirtschaftliche Engagement der Türkei auf dem Balkan an sich sei eher begrüßenswert, so Curak, solange es nicht mit einer Forderung nach politischen Zugeständnissen verknüpft sei.
Erdogans Wahlkampfveranstaltung sieht Curak trotzdem kritisch, vor allem aber, weil es sich bei ihm um einen "Autokraten jenseits einer wirklich liberalen Demokratie" handele. Nicht seine populistische und vielleicht auch neo-osmanische Rethorik sei das Problem, sondern "die Tatsache, dass er in seinem Land Zehntausende verhaften ließ, nur weil sie ihre Meinung frei äußern", sagt Curak. "Solche Regime sind gefährliche Regime."
Enes Kuloğlu aus Iserlohn stören solche Meinungen nicht. Er freut sich darauf, Erdogan in Sarajevo zusammen mit tausenden von Gleichgesinnten live zu erleben. Und bekäme er die Gelegenheit, Erdogan persönlich zu treffen, hätte er auch eine Botschaft für ihn: "Ich würde ihm sagen: Machen Sie weiter so, Herr Präsident! Ich unterstütze Sie!"