Erfolge ohne Patent
23. Dezember 2004Das PISA-Patentrezept gibt es nicht. Dennoch schlugen die Äußerungen von Politikern nach dem eher mittelmäßigen Abschneiden Deutschlands bei PISA 2003 teilweise in Aktionismus über. Einheitsschule, Eigenverantwortung, Ganztagsschulen sind dabei nur einige der Zauberkonzepte, die für Besserung sorgen sollen.
Einen Vergleich der Schulsysteme in einigen PISA-Teilnehmerstaaten hat das Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) im Jahr 2003 durchgeführt. Der wichtigste Befund lautet, dass eher kleine dezentrale Bildungslösungen geeignet sind, das Schulsystem zu verbessern.
Mehrgliedriges oder integratives Schulsystem
Ein integratives Schulsystem haben beispielsweise Finnland und Kanada. Die Schüler bleiben in diesem Modell lange zusammen, unabhängig von ihren Leistungen. Die Leistungsstarken ziehen die Schwächeren im Idealfall mit. Doch auch im PISA-Erfolgsland Finnland wird differenziert. Es gibt zwar eine neunjährige Gesamtschule, allerdings erhalten die schwächeren Schüler früh Förderunterricht. Die meisten Schulen haben dafür Lehrkräfte, deren Aufgabe nur darin besteht, schwachen Schülern zu helfen.
In Kanada wurde das System wie in Finnland vor allem wegen der wenigen Schüler in den ländlichen Gegenden eingeführt. Wie Deutschland hat das nordamerikanische Land die besondere Aufgabe, viele Zuwandererkinder zu integrieren. Das gelingt Kanada besser, auch dank vorschulischer Sprachkurse und individuellem Förderunterricht. Der Schlüssel zum Erfolg dürfte die Verbindung eines integrativen Schulsystems mit individuellem Förderunterricht sein.
Ein mehrgliedriges Schulsystem muss nicht zwangsläufig schlecht sein. Belgien und die Niederlande haben es und beide gehören zu den Gewinnern von PISA 2003. Im Gegensatz zu Deutschland oder Österreich werden die Schüler aber erst nach sieben bis zehn Jahren auf die unterschiedlichen Schularten verteilt. Außerdem gibt es dort eine längere Übergangsphase, die vor allem Kindern aus sozial benachteiligten Familien die Chance auf ein Studium einräumt.
Föderale oder zentrale Bildungspolitik
Die internationale Vergleichsstudie des DIPF ist zu dem Ergebnis gekommen, dass in allen untersuchten Ländern die Schulen "mehr Eigenverantwortung haben" als in Deutschland, obwohl es in Deutschland einen Bildungsföderalismus gibt. Das bedeutet, dass die Länder prinzipiell für die Schulpolitik zuständig sind. In ähnlich starker Form ist dies nur in Kanada der Fall, wo es noch nicht einmal einen Bildungsminister gibt.
Doch gerade in den Ländern, wo Bildung Staatsangelegenheit ist, haben die Schulen schon in den 1970er-Jahren viel Entscheidungsspielraum bekommen. In den Niederlanden oder in Schweden dürfen die Schulleiter frei über Personal und Finanzen entschieden, was die Umsetzung pädagogischer Konzepte flexibel macht. Neuseeland oder Kanada, wo es auch ein föderales Bildungssystem gibt, sind hierbei weiter. Selbst die Einstellung oder Entlassung von Lehrern je nach Eignung obliegt in diesen Ländern den einzelnen Schulen.
Ganztagsschule
Im Bildungsmekka Finnland endet die Schule um 14.00 Uhr nach einem gemeinsamen Mittagessen. Doch in den Niederlanden setzt sich der Unterricht bis 17.00 Uhr immer mehr durch. Die Diskussion darüber ist vor allem ein begrifflicher Streit: Wo Förderunterricht den normalen Lehrplan ergänzt, geschieht dies am Nachmittag. Nur den Ausdruck "Ganztagsschule" verwenden nicht alle Länder dafür.
Die deutsche Bundesregierung hat kurz nach der Veröffentlichung der ersten PISA-Studie ein milliardenschweres Förderprogramm für Ganztagsschulen eingeführt. Ein Verstoß gegen das föderale Prinzip, sagen bis heute einige Landeschefs. Die Ganztagsschule ist damit auch einer der wichtigsten Gründe dafür, dass die Arbeit der Föderalismuskommission vorerst gescheitert ist. Die Länder wollen bei der Neuordnung der Zusammenarbeit mit dem Bund nicht die Entscheidungsgewalt über ihre Schulen und Universitäten verlieren. Sie glauben offenbar auch nicht an Patentrezepte. (bde)