Geisel wieder frei
20. August 2007"Es geht ihr gut, sie ist gefasst", sagte Matthias Floreck von der Hilfsorganisation ora international am Montag (20.8.): "Sie wurde von den Geiselnehmern nicht ernsthaft bedroht, es wurde ihr gegenüber auch keine Aggression ausgeübt." Derzeit befinde sich Christina M. mit ihrem Ehemann in der deutschen Botschaft, wo sie psychologisch und medizinisch betreut werde. Die Hilfsorganisation zeigte sich "dankbar und glücklich" über den Ausgang der Entführung.
Die schwangere 31 Jahre alte Helferin war am Samstag vor den Augen ihres deutschen Ehemannes von vier Bewaffneten aus einem Schnellimbiss in Kabul gezerrt worden. Eine sofort eingeleitete Verfolgungsjagd durch die Polizei verlief zunächst ohne Erfolg. Ihre Entführer sollen die Freilassung "unschuldiger Gefangener" aus afghanischer Haft gefordert haben. Am Sonntag wurde Christina M. dann von Sicherheitskräften befreit.
Steinmeier erleichtert
Die Bundesregierung reagierte mit Erleichterung auf ihre Befreiung. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) erklärte am Montag: "Ich bin sehr froh und erleichtert, dass die entführte Deutsche wieder in Freiheit ist." Sein Dank gelte dem Krisenstab in Berlin und der deutschen Botschaft in Kabul. "Besonders danken möchte ich der afghanischen Regierung und den afghanischen Behörden, mit denen wir eng, vertrauensvoll und erfolgreich zusammengearbeitet haben."
Unterdessen wurde bekannt, dass die afghanischen Behörden im Zusammenhang mit dem Mord an beiden Deutsche-Welle-Mitarbeiter einen Verdächtigen festgenommen haben. Der Verdächtige sei in der vergangenen Woche in derselben Provinz gefasst worden, erklärte der Sprecher des afghanischen Innenministeriums, Semerai Baschari, am Montag in Kabul. Der Nachrichtenagentur dpa soll er gesagt haben, es handele es sich dabei um den "Kopf des Netzwerks", das für die Tat verantwortlich sei. Das Auswärtige Amt konnte das noch nicht bestätigen. Die beiden Journalisten Karen Fischer und Christian Struwe waren im Oktober vergangenen Jahres in Nordafghanistan erschossen worden.
Lebenszeichen von deutschem Ingenieur
Am Sonntag gab es auch von dem entführten 62-Jährigen Bauingenieur Rudolf B. ein Lebenszeichen. ARD-Reporter aus Kabul berichteten, sie hätten am Sonntag telefonisch Kontakt zu ihm gehabt. Dieser habe gesagt, sein Gesundheitszustand habe sich verschlechtert. Er habe gefragt, warum nicht Lösegeld gezahlt werde, damit die Entführung schnell zu Ende gehe. Der Ingenieur habe die deutsche Botschaft in Kabul aufgefordert, sich stärker für seine Freilassung zu engagieren, berichtete die ARD weiter. Unklar blieb, unter welchen Bedingungen das Gespräch zustande kam.
Trotz der jüngsten Gewalttaten gegen Deutsche in Afghanistan bekannten sich die Koalitionspartner Union und SPD zur Fortsetzung des deutschen Engagements am Hindukusch. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble nannte die anstehende Verlängerung der Bundeswehreinsätze "alternativlos". Es gebe einen direkten Zusammenhang zwischen der Entwicklung in Afghanistan und der Terrorgefahr in Deutschland. SPD- Parteichef Kurt Beck zeigte sich offen für eine Aufstockung der deutschen Einheiten.
Hilfsorganisationen ziehen sich zurück
Die Hilfsorganisation ora international verteidigte sich gegen Vorwürfe, leichtsinnig gehandelt zu haben. "Wir sind ganz sicher nicht unvorsichtig oder dumm vorgegangen", sagte Ulf Baumann, der Sprecher von ora international in Deutschland, der "Berliner Zeitung". Die Organisation sei seit 1991 in Afghanistan tätig und habe viele Erfahrungen in dem Land gesammelt. Christina M. sei als Büroleiterin nach ihrer Ankunft in Kabul von langjährigen Mitarbeitern eingewiesen worden und habe ein Sicherheitstraining erhalten.
Unterdessen wollen sich immer mehr Hilfsorganisationen angesichts von Entführungen und Anschlägen aus Afghanistan zurückziehen. Malteser-Sprecherin Claudia Kaminski sagte dem "Tagesspiegel", der letzte deutsche Mitarbeiter werde im Oktober zurückkehren. Die vor 26 Jahren von Bundestagsabgeordneten gegründete Organisation "help" sei inzwischen nur noch mit einem Mitarbeiter aus Deutschland in Herat vertreten. Die Welthungerhilfe, die im März einen Mitarbeiter verloren hat, der von den Taliban erschossen worden war, beginne derzeit keine neuen Projekte mehr. (stl/ina)