Aus israelischer Haft an die Volksbühne in Berlin
4. Juni 2010Henning Mankell ist müde. Der schwedische Erfolgsautor hat anstrengende Tage hinter sich. Erst war er an Bord des Frachters Sophia, die Teil der kleinen Flotte für Gaza war, die von der israelischen Armee gewaltsam aufgebracht wurde. Dann wurde er gegen seinen Willen nach Israel verschleppt, dort inhaftiert und schließlich ausgewiesen. Und nun sitzt er an einem Tisch in der Volksbühne in Berlin und gibt eine Pressekonferenz.
"Akt der Solidarität"
"Ich habe viel Gewalt gesehen und viel Aggression. Und ich habe viel Mut gesehen", sagt er und schaut nachdenklich und angriffslustig zugleich ins Journalisten-Publikum und in die unzähligen Kameras. Eigentlich ist Mankell in die deutsche Hauptstadt gekommen, um sein neues Buch "Der Feind im Schatten" vorzustellen. Doch vorher will er mit Journalisten sprechen. Er will ihnen berichten, was er selbst als Teilnehmer des maritimen Hilfskonvois für Gaza erlebt und gesehen hat.
Seine Teilnahme an der Flotte will er als einen Akt der Solidarität mit den Palästinensern von Gaza verstanden wissen. "Nach allem, was geschehen ist, glaube ich mehr als je zuvor, dass Akte der Solidarität möglich sind, dass es möglich ist, zu versuchen, die Welt zu verbessern", sagt er mit Nachdruck.
An Bord der Sophia
Das Boot, auf dem Mankell zusammen mit einem schwedischen Arzt und einem Abgeordneten der schwedischen Grünen unterwegs war, habe Zement an Bord gehabt, Baumaterialien und Fertighäuser für die Menschen in dem verarmten Küstenstreifen, der seit mehr als drei Jahren von Israel hermetisch gegen die Außenwelt abgeriegelt ist.
Als der israelische Angriff auf das türkische Schiff Mavi Marmara, das größte Schiff des Konvois, begann, war die kleinere Sophia etwa 1000 Meter entfernt. Kurz nach vier Uhr morgens sei er geweckt worden, sagt Mankell. Von der Ferne habe er die Schüsse gehört und die Hubschrauber gesehen, von denen sich die Soldaten abseilten. Es habe aber keinen Kontakt mit den Passagieren oder der Besatzung gegeben, da Telefone und Funkgeräte gestört waren.
Ein Rasierapparat als Waffe
Später enterten die israelischen Kommandoeinheiten auch Mankells Schiff, die Sophia. Die maskierten Soldaten seien sehr aggressiv gewesen, schildert der Schriftsteller die Situation an Bord. Sie hätten die 25 Passagiere gezwungen, sich unter Deck zu begeben. Einen älteren Passagier, der nicht schnell genug ging, hätten sie mit einem elektrischen Schocker zu Boden geworfen.
Dann hätten sie das Boot durchsucht und die Waffen präsentiert, die sie gefunden hätten: Mankells Rasierapparat und einen Dosenöffner.
„Dies geschah in internationalen Gewässern und das bedeutet, dass die israelischen Soldaten sich wie Piraten aufgeführt haben. Sie benahmen sich wie Piraten, als sie das Boot angriffen und als sie es nach Gaza schleppten, haben sie uns gekidnapped.“
"Die Toten waren keine Israelis"
Erst drei Tage später, als er in Tel Aviv an Bord einer Lufthansa-Maschine stieg, erfuhr Mankell, dass auf der Marmara neun Menschen umgekommen sind. Erst da sah er auch die Bilder, die von der israelischen Armee freigegeben worden waren und beweisen sollen, dass die Soldaten von den Passagieren des türkischen Schiffs mit Eisenstangen empfangen wurden. Doch diese Bilder überzeugen ihn nicht. Er habe auf den kurzen Filmausschnitten niemanden gesehen, der hinauf in die Hubschrauber geklettert sei, um die Soldaten anzugreifen, sagt Mankell. Er habe nur Soldaten gesehen, die sich auf das Schiff abgeseilt hätten, um es in ihre Gewalt zu bringen. Und eines wisse er sicher: die Toten seien keine Israelis, sondern Passagiere der angegriffenen Marmara.
Henning Mankell bereut nicht, dass er dabei war. Er sei traurig, dass so viele Menschen gestorben seien und verärgert, dass so viele verletzt wurden, sagt er. Aber er würde wieder mitreisen, um die Blockade gegen den Gazastreifen zu brechen. "Dieses Mal waren es sechs Schiffe. Und wir haben gesehen, wie Israel darauf reagiert hat. Und wenn wir das nächste Mal mit hundert Schiffen kommen, was werden sie dann tun? Werden sie dann die Neutronenbombe entzünden? Wäre es nicht besser, die Blockade aufzuheben?“ Nach Israel werde er nach seiner Ausweisung wohl nicht mehr reisen dürfen, so Mankell bedauernd. Es sei denn, es käme dort zu einem Politikwechsel.
Der israelische Schriftsteller Assaf Gavron im Publikum
Das würde sich wohl auch der junge israelische Schriftsteller Assaf Gavron wünschen. Er sitzt an diesem Nachmittag in der Volksbühne in Berlin im Publikum. "Ich mag ihn sehr gerne", sagt er über seinen berühmten Schriftstellerkollegen Mankell. "Ich lese gerne seine Bücher." Gavron lebt derzeit mit einem Stipendium in Berlin und arbeitet an seinem neuesten Buch, einem Roman, der in einer illegalen Kleinsiedlung im Westjordanland spielt.
Mit Überraschung habe er festgestellt, dass der Schwede mit harten und unangenehmen Fragen konfrontiert worden sei. Er selbst stimme mit seiner Beurteilung der Lage im Nahen Osten überein, und wenn er jetzt in Israel wäre, würde er sich wohl an den Demonstrationen der Friedensaktivisten gegen den Angriff auf die Flotte beteiligen. "Ich fühle mich in Deutschland nicht angefeindet", sagt er. Trotzdem sei es ihm ein bisschen unangenehm, ausgerechnet jetzt als Israeli im Ausland unterwegs zu sein, da sein Land international am Pranger stehe.
Autorin: Bettina Marx
Redaktion: Thomas Latschan