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Agrar-Subventionen sollen "grüner" werden

28. Juni 2021

Die Bauern in der EU erhalten jährlich Milliardensummen. Die Zuteilung wird wieder einmal reformiert, das System bleibt. Wie steht die EU im weltweiten Vergleich bei Subventionen da? Bernd Riegert aus Brüssel.

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Hildesheim | Ernte Bio-Möhren
Möhrenernte auf einem Feld nahe HildesheimBild: Julian Stratenschulte/dpa/picture alliance

Die deutsche Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) jubelt über einen "Systemwechsel hin zum Klimaschutz". Umweltverbände und grüne Politiker sprechen von einer Mogelpackung. Der Deutsche Bauernverband befürchtet weniger Einkommen und mehr Bürokratie für Bäuerinnen und Bauern.

Der polnische EU-Kommissar für den Agrarsektor, Janusz Wojciechowski, schreibt auf Twitter, er hätte sich an der ein oder anderen Stelle ein anderes Ergebnis gewünscht, zeigte sich insgesamt jedoch zufrieden.  

Es geht um die jüngste Agrarreform der Europäischen Union, vergangenen Freitag nach drei Jahren Verhandlungen zwischen Kommission, EU-Parlament und Mitgliedsstaaten der EU im Prinzip ausgehandelt. Die Agrarreform, die die Verteilung von Zuschüssen an Landwirte in der EU bis 2027 regelt, wird an diesem Montag und Dienstag in Luxemburg von den zuständigen Ministerinnen und Ministern beraten und höchstwahrscheinlich gebilligt werden.

Warum ist das wichtig? 

Es geht um 378 Milliarden Euro oder gut ein Drittel des gesamten Haushalts der EU in den Jahren bis einschließlich 2027. Das Geld fließt zu 70 Prozent als Direktzahlung an die Bauern und zu 30 Prozent als Förderung bei dem Umbau der Betriebe zu mehr Öko-Erzeugung, Umwelt-, Arten- und Klimaschutz. Die Subventionierung der Landwirtschaft ist die Kernaufgabe der EU. Seit der Gründung der europäischen Gemeinschaften Ende der 1950er Jahre gibt es eine echte Gemeinschaftspolitik im Agrarsektor.

Was in Brüssel beschlossen wird, gilt unmittelbar in allen Mitgliedstaaten. Am Anfang der EU waren 90 Prozent des Haushalts für die Landwirtschaft vorgesehen. Über die Jahrzehnte ist dieser Anteil auf ein Drittel gesunken. Trotzdem fließen in einen Wirtschaftssektor, der nur 1,3 Prozent der Wirtschaftsleistung in der EU ausmacht, diese enormen Summen an Subventionen. Die Versorgung mit Lebensmitteln zu vernünftigen Preisen und die Erzeugung in den eigenen Ländern sollen so gesichert werden.

Infografik EU Haushalt Budget DE

Was verändert sich?

Seit Mitte der 1990er Jahre erhalten die rund zehn Millionen landwirtschaftlichen Betriebe in der EU direkte Beihilfen für ihr Einkommen, die sich nach der Hektar-Fläche der Bauernhöfe, aber auch nach deren Produktivität, angebauten Sorten, Viehwirtschaft und Milchwirtschaft bemessen. Zuvor hatte die EU die Erzeugnisse zu Garantiepreisen aufgekauft, was zu Überproduktionen und Verzerrungen im Markt führte. Die EU saß jahrelang auf teuren "Butterbergen" und "Milchseen", also Lagerbeständen, die sie nicht mehr los wurde.

Das derzeitige System der Direktzahlungen nach Fläche steht aber auch seit Jahren in der Kritik, weil vor allem Grundbesitzer und große Betriebe bevorteilt werden. Mit mehr Förderung für ökologisches und klimafreundliches Wirtschaften, für das Stilllegen von Flächen, mehr Förderung für kleine Höfe und junge Bäuerinnen und Bauern soll mit der neuen Agrarreform der Schutz des Klimas verbessert werden. An den Direktzahlungen wird aber festgehalten. Sie sollen nun aber zu 25 Prozent nach "grünen" Kriterien zugeteilt werden. 

Warum ist eine Reform nötig?

Der Rechnungshof der EU hat erst kürzlich moniert, dass die bisherigen Fördermaßnahmen nicht zu einer Senkung der Treibhausgase aus der Landwirtschaft geführt haben. Der Ausstoß ist seit 2010 unverändert. Um ihre ehrgeizigen Klimaziele im Green Deal und einen höheren Anteil an biologisch erzeugten Produkten, weniger intensive Tiermast und weniger Einsatz von Pestiziden und Dünger zu erreichen, muss die EU-Kommission gegensteuern. Gleichzeitig soll das Einkommen der Bauern, das sich in den 27 Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich entwickelt, nicht sinken. Laut der EU-Statistikbehörde Eurostat sind die Einkommen in der Landwirtschaft 2020 um 1,5 Prozent geschrumpft, in Deutschland und Rumänien sogar um 14 Prozent. In anderen Staaten wie Ungarn oder Spanien sind sie aber fast ebenso stark gestiegen.

Deutschland Landwirtschaft l Vor der Demonstration in Berlin - Ökobauer Henric Debus
Biobauer Henric Debus fordert mehr Geld für kleinere BetriebeBild: DW/O. Pieper

Auch innerhalb der EU gibt es also Verteilungskämpfe, die trotz "gemeinsamer Agrarpolitik" immer wieder zu heftigem Streit unter den Ministerinnen und Ministern führen. Die zahlreichen Stellschrauben in dem ungemein komplexen Regelwerk für Förderung und Subventionen müssen nachgezogen werden. Und da versucht jeder Minister, das meiste für "seine" Bauern herauszuholen. Die meisten Fördergelder in absoluten Zahlen streicht übrigens Frankreich ein.

Infografik Klimagase durch Landwirtschaft DE

Was geht das den Rest der Welt an?

Die mit Subventionen erzeugten Produkte aus der EU, vor allem Getreide, Milch und Fleisch, werden zum Teil exportiert. Die Ausfuhren in Höhe von 137 Milliarden Euro gehen allerdings hauptsächlich an andere hochentwickelte Staaten wie die USA, die ihre Landwirtschaft ebenfalls subventionieren. Für 116 Milliarden Euro werden landwirtschaftliche Produkte in die EU eingeführt. Der Exportüberschuss beträgt also nur 21 Milliarden Euro. Wachsender Absatzmarkt für die EU ist China.

Die Exporte von deutschen Höfen in weniger entwickelte Staaten erreichen laut deutschem Bauernverband mit 5,9 Milliarden Euro etwa ein Drittel des Volumens, das umgekehrt aus weniger entwickelten Staaten vor allem an Kaffee, Tee, Kakao, Ölsaaten sowie Südfrüchten importiert wird. Die weltgrößten Netto-Exporteure von landwirtschaftlichen Gütern sind Brasilien und Argentinien. Auf Platz drei folgt das EU-Mitglied Niederlande.

Wie wirkt sich die Unterstützung der EU für ihre Bauern aus?

Nach Statistiken der OECD (UN-Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) liegen die Europäer mit ihren Subventionen weit vor den USA oder China. In der EU werden etwa 20 Prozent der Einkommen in der Landwirtschaft mit Zuschüssen aus Steuermitteln oder Eingriffen in Verbraucherpreise erbracht. In den USA oder China sind es nur zehn bzw. zwölf Prozent. Spitzenreiter bei Subventionen für die Landwirtschaft sind die Schweiz (51 Prozent) und Japan (40). Schlusslichter sind Südafrika (2,7) und Brasilien (1,3).

Infografik Umfrage Agrarpolitik DE

Auch Schwellen- und Entwicklungsländer manipulieren durch Handelsbeschränkungen, Preisvorschriften oder Zuschüsse an Konsumenten bestimmte Lebensmittelpreise. Insgesamt stützen die Industriestaaten ihre Landwirte wesentlich stärker als die Entwicklungsländer. Rund 80 Prozent aller Subventionen für die Bauern weltweit entfallen auf die USA, Japan und die EU.

"Nur ein Sechstel des Geldes, dass weltweit für den Agrarsektor aufgewendet wird, trägt zu einer nachhaltigen und widerstandsfähigen Produktion bei", moniert die OECD-Direktorin für Landwirtschaft, Marion Jansen. Die meisten Subventionen seien wirkungslos für die Sicherheit der Nahrungsmittelproduktion oder sogar schädlich.

"Nach der Covid-Pandemie sollten die Regierungen Erneuerung und Reform zur zentralen Säule ihrer Unterstützung für die Landwirtschaft machen", rät die OECD in einem jüngst veröffentlichten Bericht. Die EU versucht mit ihrer Agrarreform einen Schritt in diese Richtung.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union