EU erwägt Sanktionen gegen Türkei
28. August 2020Noch ist die Drohung diplomatisch. Aber wie lange noch? Beim EU-Außenministertreffen kündigte der Außenbeauftragte Josep Borrell an, dass die EU beim nächsten Gipfeltreffen in drei Wochen in Brüssel über Sanktionen gegen die Türkei beraten werde.
Diese Politikwende ist ein diplomatischer Erfolg für Griechenland und Zypern. Die beiden Länder hatten aufgrund der anhaltenden Probebohrungen der Türkei nach Gas und Öl sowie der Präsenz türkischer Kriegsschiffe im östlichen Mittelmeer auf EU-Sanktionen gedrängt.
Der griechische Außenminister Nikos Dendias zeigte sich im DW-Interview zufrieden: "Das ist nicht nur ein Erfolg für Griechenland, sondern für die ganze EU. Wir stehen im südöstlichen Mittelmeer türkischer Aggressionen gegenüber, die gegen internationales Recht und Seerecht verstoßen. (…) Wenn die Türkei nicht zur Vernunft, zum Dialog und zur Achtung des internationalen Rechts zurückkehrt, dann sind Sanktionen an der Tagesordnung."
"Klare Linien ziehen"
Wenn türkische Kriegsschiffe ihren Feuerleitradar auf griechische oder französische Fregatten richten, wie explosiv ist die Lage dann wirklich? Frankreich hatte nach einem solchen Vorfall Kriegsschiffe zur Unterstützung in die östliche Ägäis geschickt. Hätte man früher handeln müssen?
"Das Problem ist, dass die Türkei die Grenzen nicht kennt, diese sind das internationale Recht und das Seerecht. Man muss klare Linien ziehen. Die Türkei muss verstehen, dass sie nicht leben kann, ohne das internationale Recht zu respektieren. Das ist gefährlich, nicht nur für die Region, sondern für die ganze Welt", erklärte Dendias.
Gleichzeitig betonte der griechische Außenminister seine Verhandlungsbereitschaft. Athen wolle eine einvernehmliche Lösung und sei auch bereit, sich an einen internationalen Verhandlungstisch zu setzen. Und sollte es eine Verhandlungslösung geben, würde ihn das "sehr glücklich" machen.
Welche Maßnahmen wirken?
Bei möglichen Sanktionen gegen die türkische Regierung zählte EU-Chefdiplomat Josep Borrell zahlreiche mögliche Maßnahmen auf. Man könne gegen Personen vorgehen, gegen Eigentum wie etwa Schiffe, man könne der Türkei die Nutzung europäischer Häfen untersagen oder den Zugang zu Technologien und Versorgung.
Alle Maßnahmen müssten im Zusammenhang mit den illegalen Aktivitäten stehen und dazu dienen, diese zu stoppen. Wenn das alles nicht helfe, könne man auch Sanktionen gegen die türkische Wirtschaft ergreifen.
Bevor man allerdings solche Maßnahmen in Betracht ziehe, betonten sowohl Borrell als auch Bundesaußenminister Heiko Maas, solle nochmals auf dem diplomatischen Weg nach einer Einigung gesucht werden.
Außenminister Heiko Maas war deshalb als Vertreter der deutschen Ratspräsidentschaft Anfang der Woche nach Ankara gereist - allerdings ergebnislos. Hinter dem Mantel der europäischen Einigkeit verbergen sich nach Angaben von Diplomaten vor allem Bedenken bei Deutschland und Italien: Sie fürchten, Präsident Erdogan könne erneut Flüchtlinge nach Europa schicken, um die EU unter Druck zu setzen.
Litauen gegen Russland
Auch beim Thema Sanktionen gegen Belarus mahlen die diplomatischen Mühlen der EU weiter langsam. Nach wie vor liegt keine beschlussfähige Liste vor. Dahinter steht der Streit darüber, wie viele Regierungsmitarbeiter aus Belarus sanktioniert werden könnten und sollten.
Es sei notwendig, "dass man niemanden unbestraft lässt, der die Menschen in Belarus schikaniert", sagte der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn. Am Donnerstag seien in Minsk zehn Journalisten ins Gefängnis geworfen worden, "diese Leute (Anmerk. der Red.: die dafür Verantwortlichen) müssten alle sanktioniert werden".
Für Asselborns harten Kurs machen sich vor allem die baltischen Staaten stark: Sie wollen Hunderte belarussische Staatsdiener auf die Sanktionsliste setzen und nicht nur ein gutes Dutzend. "Bisher sind die Maßnahmen nicht ausreichend", sagte der litauische Außenminister Anatas Linkevicius. Er stellt auch das bisherige Verhältnis zu Moskau infrage: "Russland schafft diese Krise, das ist keine Partnerschaft, man muss realistischer sein ".
Gebot der Nichteinmischung
EU-Außenbeauftragter Josep Borrell tritt deutlich leiser auf. Um Sanktionen gegen einzelne Verantwortungsträger zu verhängen, müssten alle Fälle gerichtsfest gemacht werden, mit konkreten Beweisen. Ansonsten könnten die Betroffenen diese beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg anfechten.
Das gegenwärtige Mantra der EU-Außenpolitik bewegt sich zwischen vorsichtiger Unterstützung der Demonstranten in Minsk und politischer Zurückhaltung, um keine Vorwände für eine russische Intervention zu liefern. Belarus sei keine zweite Ukraine, so Borrell, es gehe dort nicht um die Nähe oder Distanz zu Russland oder Europa, sondern um innere Demokratie.
Nach einem Gespräch mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrov erklärte der EU-Chefdiplomat, er gehe davon aus, dass das Gebot der Nichteinmischung auch für Russland gelte. Falls Präsident Putin an eine Intervention denken sollte, hoffe er, "dass er sich der Konsequenzen bewusst ist."