EU-Geld erreicht Flüchtlinge nicht
25. Januar 2017Vor wenigen Tagen hat Dimitris Avramopoulos, EU-Kommissar für Inneres und Migration, die Insel Lesbos besucht. Der Grund für seinen Besuch: Aufgrund einer Kältewelle lagen große Teile Griechenlands unter einer Schneedecke und damit auch die Flüchtlingslager. Aus dem reichsten Kontinent der Erde sah man auf einmal Fotos von Flüchtlingen, darunter Kinder, alte Menschen und Menschen mit Behinderung, die in dünne Decken gehüllt in ihren Zelten Schutz vor Minustemperaturen suchten. Dabei hatte einige Tage zuvor Griechenlands Migrationsminister Ioannis Mouzalas noch verkündet: "Weder Flüchtlinge noch Migranten müssen frieren".
Avramopoulos hatte die griechische Regierung und die verschiedenen Nichtregierungsorganisationen während seines Besuches aufgefordert, sich mehr für die Flüchtlinge einzusetzen. Innerhalb von zwei Jahren hat Athen eine Milliarde Euro Unterstützung erhalten. Aber wo ist das Geld geblieben? Und warum ist es Griechenland nicht gelungen, den etwa 50.000 Flüchtlingen zumindest eine Notunterkunft zukommen zu lassen?
179 Millionen Euro Nothilfe
Tatsache ist, dass Teile der von Avramopoulos genannten Summe noch nicht geflossen sind und daher auch noch nicht ausgegeben werden konnten. Dennoch sind die Summen, die bereits an die Regierung oder an die Organisationen ausgezahlt wurden, nach wie vor beträchtlich.
Seit Anfang 2015 hat die griechische Regierung nach Angaben der Europäischen Kommission und dem griechischen Entwicklungsministerium 179 Millionen Euro Nothilfe von der EU erhalten.
Zum Vergleich: Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR, das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) und die Internationale Organisation für Migration (IOM) haben aus dem gleichen EU-Topf 175 Millionen Euro erhalten. Eine Vielzahl an Organisationen hat zusätzliche 186 Millionen Euro aus anderen EU-Töpfen erhalten, um Projekte, die bereits 2016 begonnen haben, zu finanzieren.
Vorwurf der Misswirtschaft
Für Migrationsminister Ioannis Mouzalas lag das Problem lange einzig und allein darin, dass die Gelder in Teilen direkt an die Organisationen ausgezahlt wurden anstatt an die Regierung. "Wir haben daher keine Kontrolle über diese Summen", sagte er im Anschluss an den Lesbos Besuch von Avramopoulos.
Andere Stimmen wiederum machen die Regierung für die Situation der Flüchtlinge in Griechenland verantwortlich. "Für Mouzalas sind immer die anderen Schuld", sagt Odysseas Boudouris, der ehemalige Generalsekretär für Flüchtlinge im griechischen Innenministerium. Er selber ist im September zurückgetreten, weil er einigen Ministern vorwarf, die Situation mit den Flüchtlingen falsch anzugehen. Boudouris hatte im Speziellen Mouzalas vorgeworfen, bestimmte Kompetenzen nicht an das Generalsekretariat weiterzugeben. Dies, sagt Boudouris, sei ein Versuch von Seiten der Minister, ein Parallelsystem zu etablieren. Mouzalas hat die Vorwürfe immer wieder von sich gewiesen und als Verleumdung bezeichnet.
Der merkwürdige Fall Softex
Als ein Beispiel nennt Boudouris den Fall Softex. Auf dem Gelände der ehemaligen Textilfabrik nahe Thessaloniki sollte ein halbwegs gut ausgestattetes Flüchtlingslager gebaut werden. Die ersten Menschen zogen dort im Frühjahr 2016 ein, nachdem die Grenze zu Mazedonien geschlossen worden war. Trotzdem wurde das Lager bald als völlig verwahrlost bekannt.
Boudouris behauptet, dass das Generalsekretariat im Sommer immer wieder vom deutschen Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) angesprochen worden war mit dem Vorschlag, eine neue Einrichtung für 1500 Flüchtlinge zu bauen. Dafür wären Kosten von rund 2,5 Millionen Euro entstanden. Die hätte die EU-Kommission zur Verfügung gestellt. Doch dieser Plan sei von einem engen Berater von Mouzalas blockiert worden, sagt Boudouris. Dieser habe stattdessen einen Alternativplan aufgerufen, der allerdings 8,6 Millionen Euro teuer geworden wäre. Das hätte die Mittel des ASB allerdings bei weitem überstiegen.
In einer E-Mail, die der DW vorliegt, richtete der ASB an das Ministerium die Bitte, "gemeinsam ein Flüchtlingslager zu entwerfen, dessen Kosten nicht höher als 4,5 Millionen Euro liegen." Das Ministerium war allerdings nicht bereit, von seinen Plänen abzurücken - und der ASB zog sich aus dem Projekt zurück. "8,6 Millionen Euro für ein Camp, in dem 1500 Menschen leben? Eine verrückte Summe!", so Boudouris zur DW. Der ASB gibt auf DW-Nachfrage an, dass das Ministerium die hohe Differenz zwischen den beiden Entwürfen damit begründet, das der Ministeriumsvorschlag ein längerfristig angelegtes Camp mit besser ausgebauten Containern vorgesehen hatte. Der ASB hatte mit einfacheren Behausungen geplant.
NGOs schlagen Alarm
Das kann aber kaum davon ablenken, dass NGOs generell Alarm schlagen. Die Planung von Seiten des Ministeriums sei einfach zu schlecht. Deshalb erreichen die vorgesehen Mitteln häufig nicht diejenigen, die es nötig haben. Der Chef von Ärzte ohne Grenzen in Griechenland, Loic Jaeger, sagt: "Es war ein Skandal, dass nach dem Schneefall von Lesbos ein Repräsentant der EU-Kommission hierher kam und dann sagte, man habe alles getan um der griechischen Regierung zu helfen, man könne aber nicht ihre Arbeit machen."
Das Lager in Moria sei zwar mit EU-Mitteln gebaut worden - dass es aber so überfüllt sei, sei ja auch die Schuld der EU, die die Ankömmlinge von den Inseln nicht mehr zum griechischen Festland durchließen. "Wie", fragt Jaeger, "können sie so tun, als hätten sie damit nichts zu tun?"