Nur kurze Freude über Ukrainebeschluss
24. Juni 2022So ganz war die EU mit der Selbstfeier auch am Freitag noch nicht fertig, doch die Tagesordnung erforderte weitere Gespräche. Bundeskanzler Olaf Scholz nannte die Verleihung des Kandidatenstatus an die Ukraine eine "starke Botschaft". Die EU sei ein Vorbild, eine Gemeinschaft - wo sich Staaten treffen, weil sie Interessen und Werte teilten. Sein Kollege, Luxemburgs Ministerpräsident Xavier Bettel, lobte die "sehr starke moralische Unterstützung, die wir damit der Ukraine schicken", wenn auch noch eine Menge Hausaufgaben zu machen seien. Und der belgische Ministerpräsident Alexander Croo mahnte, man stehe mit der Ukraine "am Anfang des Anfangs". Diese sei noch über 10 Jahre von der EU entfernt.
In einem Interview mit der DW betonte dagegen der litauische Präsident Gitanas Nauseda die Bedeutung dieses Signals für die Ukraine. "Sie kämpfen für Europa", und deshalb verdienten sie auch eine klare Perspektive für die EU. Er wundert sich am meisten über den Sinneswandel bei seinen Kollegen: "Noch vor ein paar Monaten hatten wir hier wirklich harte Diskussionen über die Notwendigkeit des Kandidatenstatus für die Ukraine". Aber seitdem habe es "revolutionäre Veränderungen in einigen großen EU-Ländern" gegeben.
Natürlich müsse zuerst der Krieg gewonnen und die Gebiete zurückgeholt werden. Was ihn aber optimistisch stimme sei, dass er sehe wie engagiert die Menschen in der Ukraine sind. Bei seinen Besuchen sehe er zerstörte Häuser auf der einen und den Willen zum Wiederaufbau auf der anderen Seite und dass über die Hilfe zum Wiederaufbau durch die EU gesprochen werde.
Dunkle Wolken über der Wirtschaftsentwicklung
Alle EU-Mitglieder beobachten die wirtschaftliche Entwicklung mit Sorge. Und der lettische Premier Arturs Karins erinnerte einmal mehr an den Urheber: "Wir leiden wirtschaftlich wegen Russlands Krieg" und man dürfe nicht vergessen, dass es Russland sei, "das dieses Leid verursacht". Darüber aber, wie man die Folgen, etwa den Preisanstieg bei Gas und Öl abmildern könne, scheinen die Meinungen weit auseinander zu gehen. Der italienische Premier Mario Draghi hatte eine Kappung der Preise ins Spiel gebracht, fand aber dafür wenig Unterstützung. Am Wochenende wollen sich die G7-Gruppe der führenden Industrienationen bei ihrem Gipfeltreffen in Bayern noch einmal mit dem Thema einer Preisdeckelung beim Öl befassen. So etwas "funktioniert nur, wenn alle Länder zusammen arbeiten", fügte der gastgebende Bundeskanzler an.
Abgesehen davon konnten sich die Regierungschefs auch auf gemeinsame Einkäufe fossiler Energie nicht einigen. Das funktioniere auf freiwilliger Basis unter Nachbarn, erklärte Olaf Scholz. Er lobte allerdings die Fortschritte beim Ausbau einer gemeinsamen Energie-Infrastruktur in der EU, neue Pipelines würden in Griechenland, Kroatien oder von Italien nach Nordafrika gebaut.
Was die Energiesicherheit angeht, griff Scholz erneut Russland an: Niemand in der EU glaube an die Erklärungen von technischen Problemen bei der Gaslieferung. Deutschland aber habe schon vor Kriegsbeginn begonnen, sich auf einen solchen Fall vorzubereiten und sei gut gewappnet. Abgesehen davon müsse man erneuerbare Energien so schnell wie möglich ausbauen, die Netzwerke erweitern, Wasserstoff einsetzen - das Programm Repower EU (Plan der Kommission für die grüne Energiewende) gehe in die richtige Richtung. Es gehe darum, von Energielieferungen aus Russland so schnell wie möglich unabhängig zu werden, so Scholz.
Diskussion um Energiesicherheit
Kommissionpräsident Ursula von der Leyen erinnerte an die Tugend der Sparsamkeit: Wenn ganz Europa die Heizungstemperatur senken würde, könne man das gesamte Gas aus der Pipeline Nord Stream 1 einsparen. Der Bundeskanzler ließ sich in Brüssel aber nicht auf den Vorschlag seines Umweltministers Wolfgang Habeck ein, auch durch weniger Duschen Energie zu sparen. Die EU-Kommission soll schon im Juli einen Plan vorlegen, der sich mit der Energiesicherheit für den kommenden Winter befasst.
Der Belgier Alexander de Croo dagegen warnte: "Wenn wir uns in diesem Sommer nicht gemeinsam auf den Winter vorbereiten, riskieren wir große Probleme", und das sei das letzte, was die EU brauche angesichts hoher Inflationsraten und hoher Energiepreise. Der Belgier gehört zu den Anhängern des italienischen Modells und einer Deckelung der Preise.
Seine schwedische Kollegin Magdalena Andersson dagegen warnt davor, Feuer mit Feuer zu bekämpfen: "Was wie eine einfache Lösung aussieht (angesichts von Inflation und Energiepreisen) ist keine Lösung - nämlich mehr Geld in die Taschen der Bürger zu stecken. Das wird das Problem nicht lösen, es wird nur die Inflation erhöhen." Dabei haben die meisten EU-Länder mit verschiedenen Maßnahmen, durch Zuschüsse oder Steuersenkungen versucht, die Folgen für die Bürger abzufangen.
Später Durchbruch auf dem Westlichen Balkan
Der bulgarische Premier Kiril Petkov, dessen Regierung am Abend vor dem Gipfel noch durch ein Misstrauensvotum gestürzt worden war, hatte versprochen, trotzdem das Nord-Mazedonien-Problem noch zu lösen, das übrigens zu seinem Sturz mit beigetragen haben soll. Am Freitag brachte er also mit Hilfe der Opposition einen Kompromiss durchs Parlament in Sofia, der den kaum zu erklärenden Kultur- und Geschichtsstreit mit dem kleinen Nachbarland beenden soll. Allerdings stehen darin Forderungen an Skopje, die im dortigen Parlament wiederum für Ärger sorgen dürften.
Dennoch: Damit kann sich endlich die Tür öffnen für den Beginn der Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Nord-Mazedonien - letzteres sitzt wegen diverser Blockaden schon 17 Jahre lang auf der Wartebank der EU. Albaniens Premier Edi Rama hatte am Donnerstag nach dem erfolglosen Treffen mit den anderen EU-Chefs noch einen öffentlichen Wutanfall zelebriert, die anhaltende Blockade sei eine "Schande" und man wolle nicht länger warten. Einen Tag später dann konnte er sich beruhigen und die Zusammenarbeit mit der bulgarischen Opposition loben.