Heiße Debatte ums Klima
23. Oktober 2014Die Verhandlungen unter den 28 EU-Mitgliedsstaaten sind kompliziert. Es geht um viele Zahlen, Schwellen und Ziele, Ausnahmen und Erstattungen. Monatelang haben die Sherpas einen acht DIN-A-4 Seiten umfassenden Kompromiss mit politischen Leitlinien ausgehandelt. Am Ende steht immer die Frage, wer zahlt wie viel für den Klimaschutz? Im Frühjahr 2014 hatte der EU-Gipfel die Entscheidung schon einmal verschoben. Jetzt sollen die Würfel bei diesem Herbstgipfel fallen.
Einig sind sich die EU-Staats- und Regierungschefs im Prinzip, dass bis zum Jahr 2030 der Ausstoß von Treibhausgasen in Europa um 40 Prozent verglichen mit dem Jahr 1990 reduziert werden soll. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die Mitte der 1990er Jahre selbst Umweltministerin war, jonglierte zu Beginn des Gipfels mit vielen Zahlen: "Ich will noch einmal darauf hinweisen, dass wir bis 2020 uns vorgenommen haben, 20 Prozent bezogen auf 1990, das heißt also in 30 Jahren um 20 Prozent zu reduzieren. Jetzt nehmen wir uns vor, von 2020 bis 2030 noch einmal 20 Prozent zu reduzieren, so dass insgesamt 40 Prozent herauskommen.
Das heißt, in zehn Jahren die gleiche Anstrengung wie bislang in 30 Jahren. Und das ist eine gewaltige Kraftanstrengung." Mit solchen anstrengenden Einzelheiten, die die gelernte Physikerin Merkel herunterrasselt, wollen sich viele ost-europäische Mitgliedsstaaten gar nicht abgeben. Sie befürchten, dass ihren Volkswirtschaften zu viel abverlangt werden wird. Auf Strom- und Gasverbraucher könnten höhere Kosten zukommen.
25, 30, 27? Zahlenspiele um Klimaziele
Der Beitrag zum Klimaschutz soll nach Wirtschaftskraft und Bevölkerungszahl berechnet werden. Besonders der Anteil an erneuerbaren Energien, wie Sonne, Wind- und Wasserkraft an der Erzeugung ist umstritten. Die osteuropäischen Mitglieder um Polen befürworten 25 Prozent. Deutschland, Schweden und Frankreich können sich 30 Prozent vorstellen. Der Kompromiss, so der finnische Premierminister Alexander Stubb, könnte bei 27 Prozent liegen. Umstritten ist auch der Vorschlag der EU-Kommission, die Energie-Effizienz in der Union durch Einsparen von Strom oder bessere Wärmedämmung auf ein Sparvolumen von 30 Prozent zu bringen. Der britische Premier David Cameron tritt dafür ein, solche Einzelheiten gar nicht verbindlich vorzuschreiben. Er will der Energiewirtschaft möglichst große Freiheiten lassen. Besonders harten Widerstand leistet Polen gegen den Anteil der erneuerbaren Energiequellen, weil 90 Prozent der Stromkraftwerke mit Steinkohle oder Braunkohle, also fossilen Energieträgern, befeuert werden. Die polnische Ministerpräsident Ewa Kopacz gab sich in Brüssel entschlossen, einen Beschluss notfalls mit ihrem Veto zu verhindern.
Auf dem Weg zum Klimagipfel nach Paris
Der schwedische Ministerpräsident Stefan Löfven hoffte dennoch auf eine Einigung: "Ich glaube, das ist sehr komplex. Man muss viele verschiedene Zutaten an der richtigen Stelle haben, bevor es zu einer Einigung kommt. Natürlich müssen wir uns sehr anstrengen, weil das gut für die EU wäre. Wir könnten hohe Umweltstandards mit Jobs, Wachstum und Entwicklung verbinden." Einige Staaten fordern auch Ausnahmen und Vergünstigungen beim Emissionshandel, also beim An- und Verkauf von Verschmutzungslizenzen für Kraftwerke und Unternehmen. Diese Lizenzen sollen nach und nach teurer werden, um mehr Anreize zur Reduzierung von Kohlendioxid-Emission zu schaffen.
Das Ringen der EU um ihre Klimapolitik ist nur der Auftakt zu einer viel umfassenderen Auseinandersetzung im kommenden Jahr. Dann wird in Paris der Weltklima-Gipfel der Vereinten Nationen zusammenkommen, um Klima-Schutz-Maßnahmen festzulegen, die einen Anstieg der globalen Temperatur auf höchstens zwei Grad Celsius begrenzen sollen. Der französische Präsident Francois Hollande, Gastgeber des Weltklima-Gipfels 2015, sagte, die EU müsse mit gutem Beispiel vorangehen und jetzt entscheiden. "Wir handeln in Brüssel einen Vertrag unter den Staaten aus, die in dieser Frage schon weit vorangeschritten sind. Wir müssen die Chinesen, die Amerikaner und auch die ärmeren Staaten überzeugen, trotz eingeschränkter Möglichkeiten diesen Weg mitzugehen."
Grüne kritisieren aufgeweichte Klima-Ziele
Die EU-Kommission weist darauf hin, dass Europa das selbstgesetzte Ziel, Reduzierung der Emissionen um 20 Prozent bis 2020, auf jeden Fall erreichen wird. Der Anteil Europas am weltweiten Ausstoß von Klima-schädlichen Gasen beträgt aber nur 10 Prozent. Es komme also wesentlich auf die großen Verschmutzer China und USA an. Das Europäische Parlament, das bei der Klima-Politik auch ein Wörtchen mitzureden hat, fordert von den Staats- und Regierungschefs die vorgeschlagenen Ziele verbindlich zu machen. Die Fraktionschefin der Grünen im Europäischen Parlament, Rebecca Harms, sagte gegenüber der Deutschen Welle, von dieser Forderung entfernten sich die Mitgliedsstaaten immer weiter. "Der Abschied nicht nur von ehrgeizigen Zielen, sondern auch noch von der Verbindlichkeit dieser Ziele, bedeutet, dass wir eigentlich überhaupt keine profilierte europäische Klimapolitik mehr haben. Unsere Ziele sind inzwischen so schwach, dass das 2-Grad-Ziel eindeutig aufgegeben wird", so Rebecca Harms.
Konservative wollen Klimasschutz und Industrie versöhnen
Europäische Industrieverbände und Energie-intensive Branchen wie die Stahlindustrie fürchten, dass zu scharfe Klima-Ziele die Wettbewerbsfähigkeit mit anderen Weltregionen schmälern würden. Industriebetriebe könnten aus Europa in andere Regionen abwandern. Der Chef der christdemokratischen Fraktion im Europa-Parlament, Manfred Weber, will auf die Interessen der Wirtschaft mehr Rücksicht nehmen. "Wir brauchen einen ambitionierten Ansatz der Europäischen Union, aber wir brauchen auch eine intensivere Debatte in der EU, damit wir diese Klimaziele auch in Einklang bringen mit unseren Wachstumszielen. Wir müssen eine neue Balance schaffen, wie wir Arbeitsplätze in der EU schaffen und beim Klima trotzdem ambitioniert bleiben", sagte Weber vor Beginn des EU-Gipfels. Nach sieben Jahren der Wirtschaftskrise im Euro-Raum argumentieren viele Staats- und Regierungschefs beim Gipfel, dass Wirtschaftswachstum vor Klimaschutz gehen müsse. Umweltverbände halten dagegen, dass gerade Investitionen in Klimaschutz und neue Energieträger auch Arbeitsplätze schaffen und Exportchancen auf dem Weltmarkt eröffnen würden. Auch die EU-Kommission glaubt, dass durch verstärkten Klimaschutz mindestens 1,5 Millionen neue Arbeitsplätze entstehen würden. Bis zum Jahr 2050 will die EU-Kommission den Ausstoß von schädlichen Gasen um 80 Prozent reduzieren.
Von Kyoto nach Paris
Noch gilt das verlängerte "Kyoto-Protokoll" für den Klimaschutz. Es wurde 1997 in der japanischen Stadt von der Weltgemeinschaft ausgehandelt. Damals war die heutige Bundeskanzlerin Angela Merkel als Umweltministerin schon dabei. Kyoto wurde nach zahlreichen vergeblichen Folge-Konferenzen bis 2020 verlängert. Der völkerrechtliche bindende Vertrag schreibt eine Reduzierung der Treibhausgase vor, allerdings sind viele Schwellen- und Entwicklungsländer nicht erfasst. China und Brasilien sind inzwischen beigetrete. Die USA haben den Vertrag nie ratifiziert. Kanada, Russland und Japan haben den "Kyoto-Vertrag" mittlerweile gekündigt. Ein Anschlussvertrag für "Kyoto" soll auf der Pariser UN-Klimakonferenz vom 30. November bis 11. Dezember 2015 gefunden werden.