"Wählerwille" oder "Unheil"?
24. September 2018Viele Kommentare aus dem Lager der Opposition, aber relativ wenige von den Nationalkonservativen: Die Entscheidung der EU-Kommission, Polen nun auch noch wegen der Reform des Obersten Gerichts vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu verklagen, hat zunächst keine allzu heftigen Kontroversen in Polen hervorgerufen.
Er sei kein Hellseher, meinte Senatsmarschall Stanislaw Karczewski von der regierenden PiS-Partei, und er wisse noch nicht, wie sich die Regierung verhalten werde. Aber Polen habe stets alle Urteile geachtet und geradezu beispielhaft die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs EuGH umgesetzt.
Polens Premier Mateusz Morawiecki sagte am Rande einer Werksbesichtigung, sein Land werde die heutige Entscheidung "prüfen". Die Reform des Justizwesens sei aber "sehr wichtig", weil sie den Wählerwillen erfülle.
Rückzieher in letzter Minute
Zuvor war spekuliert worden, die polnische Regierung könne ein für sie ungünstiges Urteil womöglich ignorieren. Dazu beigetragen hatte Vizepremier Jaroslaw Gowin, der Ende August entsprechende Andeutungen gemacht hatte. Später hatte er dies allerdings als rein persönliche Einschätzung dargestellt, die nicht unbedingt der Regierungslinie entsprächen.
Tatsächlich hat Polen auch unter Führung der PiS-Partei bislang höchstrichterlichen Entscheidungen Folge geleistet und beispielsweise in letzter Sekunde die Fällarbeiten im Urwald Bialowieza gestoppt, als hohe Strafzahlungen drohten.
Die EU-Kommission hat in ihrer Klage wegen des Umbaus des Obersten Gerichts auch beantragt, die Reform im Rahmen einer einstweiligen Verfügung schon vor einem Urteil in der Sache zu stoppen und den alten Zustand wieder herzustellen, also die umstrittenen Zwangspensionierungen führender Richter vorerst zurückzunehmen.
Angst um Polens "guten Ruf"
Vertreter der Opposition nahmen zahlreich Stellung. Gregorz Schetyna von der größten Oppositionspartei "Bügerplattform" (PO) sprach von der "Stunde der Abrechnung". Die Entscheidung komme nicht überraschend und sei über Wochen gereift. "Die polnische Regierung muss jetzt aufhören, das Oberste Gericht zu zerstören und die Unabhängigkeit der Richter zu untergraben", sagte Schetyna.
Jakub Stefianak von der Bauernpartei meinte, die Regierung zerstöre Polens guten Ruf. Sie wirke nicht im polnischen, sondern allein in ihrem eigenen Parteinteresse. Auch Stanisla Tyszka von der rechten Internet-Partei "Kukiz15" sprach vom "Unheil", das die Justizpolitik der PiS anrichte.
Jan Mosinski von der PiS klagte jedoch, die EU-Kommission agiere "fern der Realität". Die Klage sei bereits verfasst worden, bevor die Regierung den Sinn der Reform habe erklären können. Tatsächlich hatte die polnische Führung im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens die Gelegenheit, Stellung zu nehmen.
Warschau provoziert
Auch auf politischer Ebene, im EU-Rat, wurde der polnische Standpunkt unlängst bereits zum fünften Mal gehört - allerdings kritisierten Tagungsteilnehmer, die Ausführungen von Europa-Minister Szymanski seien "provokant" gewesen und hätten in der Sache nichts neues gezeigt.
Nach dieser Unterredung hatten Deutschland und Frankreich Polen ausdrücklich vor "unumkehrbaren Schritten" gewarnt. Doch entgegen der Warnungen, zumindest auf die Beurteilung durch den EuGH zu warten, hat Polen den Umbau des Obersten Gerichts noch beschleunigt. Staatspräsident Andrzej Duda berief vergangene Woche zehn neue Richter auf Basis der Justizgesetze, weitere Ausschreibungen laufen.
Nach Ansicht der EU-Kommission verstoßen die Zwangspensionierungen an der obersten Berufungsinstanz des Landes gegen den Grundsatz der Unabsetzbarkeit von Richtern und der richterlichen Unabhängigkeit. Um die Frage schnellstmöglich klären zu lassen, hat die Kommission ein Eilverfahren beantragt.