EU leitet Defizitverfahren gegen Großbritannien ein
24. Januar 2006Nach Deutschland, Frankreich und Italien steht nun Großbritannien als viertes großes EU-Land am Brüsseler Defizitpranger. Die Finanzminister der EU eröffneten am Dienstag (24.1.) in Brüssel ein Strafverfahren gegen die Briten. Damit folgten die Minister einer Empfehlung von EU-Währungskommissar Joaquin Almunia. Da London die Strafprozedur hinnehmen will, wird nicht mit Streit gerechnet.
Großbritannien drohen keine Sanktionen
Nach wiederholtem Überschreiten der Maastrichter Defizitgrenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts soll die Regierung von Premierminister Tony Blair im kommenden Haushaltsjahr 2006/2007 kräftig sparen. London soll sechs Monate Zeit bekommen um zu erklären, wie es dieses Ziel erreichen will. Da Großbritannien aber bisher sein Pfund Sterling behielt und damit nicht zur Euro-Zone gehört, drohen dem Land keine EU-Sanktionen.
EU-Finanzchefs fordern von Ungarn neue Haushaltsplanung
Zudem übten die EU-Finanzchefs Kritik an der Haushaltspolitik Ungarns. Gegen das Land, das im vergangenen Jahr auf ein Defizit von 6,1 Prozent des Bruttoinlandprodukts kam, läuft bereits ein Defizit-Verfahren. Defizitsünder Ungarn soll den EU-Partnern bis zum 1. September eine neue Konjunktur- und Haushaltsplanung vorlegen. Das unlängst präsentierte Papier sei unzureichend, beschlossen die Finanzminister.
Zwar drohen auch Ungarn keine Sanktionen. Doch das Land muss die Stabilitätskriterien des Maastrichter Vertrages einhalten, um den Euro wie angestrebt 2010 einführen zu können.
Almunia und Steinbrück sprechen über deutsches Defizit
Am Rande des Treffens sprach Bundesfinanzminister Peer Steinbrück mit EU-Währungskommissar Joaquin Almunia über den Fortgang des Defizitverfahrens gegen Deutschland. Beide suchen nach einer einvernehmlichen Lösung. Steinbrück hatte zuvor das Angebot Almunias abgelehnt, auf eine Verschärfung des Defizitverfahrens mit Sanktionsdrohung zu verzichten, falls Deutschland 2006 den Pakt wieder einhält.
Die Bundesregierung plant, die Neuverschuldung erst im kommenden Jahr wieder unter drei Prozent zu senken. Steinbrück hatte betont, keine Eskalation des Defizit-Streits mit Brüssel anzustreben. Deutschland hatte 2005 ein Haushaltsdefizit von 3,5 Prozent und verletzte damit den Euro-Stabilitätspakt im vierten Jahr in Folge.
Die Hälfte aller EU-Länder hat Defizitprobleme
Fast die Hälfte der 25 EU-Länder hat Probleme mit einer erhöhten Neuverschuldung. Die EU eröffnete im Laufe der vergangenen Jahre Defizit-Strafverfahren gegen zwölf Länder. Sieben der zwölf Verfahren ruhen derzeit: seit 2005 die gegen Polen, Tschechien, Malta, Slowakei und Zypern. Diese Länder hielten sich an die EU-Sparvorgaben.
Außerdem wurden die Verfahren gegen Deutschland und Frankreich im November 2003 von den EU-Finanzministern auf Eis gelegt. Nach einem langwierigen Rechtsstreit wurden sie bisher nicht wieder aufgenommen.
Frankreich und neue EU-Länder halten sich an EU-Sparvorgaben
Im Gegensatz zu Deutschland ist die französische Regierung aber zuversichtlich, 2005 ihr Haushaltsdefizit reduziert zu haben. "Wir haben allen Grund zur Annahme, dass wir die drei Prozent einhalten", sagte Budgetminister Jean-François Copé am Dienstag in Paris.
Dagegen gelten Griechenland und Portugal - neben Ungarn - in Bezug auf die Höhe des Defizits als die größten Sorgenkinder der EU: Griechenland hatte 2005 ein Defizit von 4,4 Prozent, und in Lissabon werden für das vergangenen Jahr sogar 6,1 Prozent Defizit erwartet. (ana)