EU-Parlament stützt Brexit-Kompromiss
13. Dezember 2017"Wir haben nicht zu 100 Prozent hinreichenden Fortschritt in den bisherigen Brexit-Gesprächen erreicht, aber genug, um die Verhandlungen fortzusetzen", sagt EU-Unterhändler Michel Barnier. Trotz der Einschränkung lobt er das Erreichte, sei es bei den Garantien der Rechte von EU-Bürgern in Großbritannien und vice versa oder bei der irischen Grenze. Dann aber schießt Barnier einen Pfeil ab in Richtung David Davis. Der Brexit-Minister hat mit seinen relativierenden Äußerungen über die Scheidungsvereinbarung am letzten Wochenende nicht nur beim europäischen Verhandlungsführer für Verärgerung gesorgt. "Wir dürfen nicht zurückfallen. Die Trennungsvereinbarung muss rechtlich bindend werden."
Es geht um das Vertrauen
Quer durch die Fraktionen im EU-Parlament war Vertrauen ein zentrales Thema: Wenn die britische Regierung Vereinbarungen mit EU-Vertretern trifft und sie dann umgehend für Makulatur erklärt, dann könne man auf dieser Basis nicht sinnvoll verhandeln. "Das muss Theresa May ihrem Kabinett erklären", sagt Gianni Pitella, Vorsitzender der Sozialdemokraten. Auch sein christdemokratischer Kollege Manfred Weber betont, dass das Parlament die Übergangsregelung blockieren werde, wenn Großbritannien etwa die Idee habe, sich nicht an die Trennungsvereinbarung zu halten. Und Elmar Brok, dienstältestes EVP-Mitglied, mahnt: "Wir brauchen in unseren Beziehungen Zuversicht und Vertrauen", damit bei den Verhandlungen ein Ergebnis erzielt wird, das beiden Seiten nützt.
"Das Verhalten der UK-Regierung erzeugt kein Vertrauen", sagt auch Linken-Chefin Gabi Zimmer, und ihre Kollegin Ska Keller von den Grünen unterstreicht: "Wenn man einander nicht vertrauen kann, dann entsteht Druck auf die Verhandlungspartner", der sich negativ auf das Ergebnis auswirken werde. Keller sieht wie die Mehrzahl ihrer Kollegen noch ungelöste Probleme bei einigen Einzelfragen der Bürgerrechte, insbesondere was die Umsetzung in der britischen Verwaltung angeht, wie auch bei der Zukunft der irischen Grenze. Quasi alle Abgeordneten gehen davon aus, dass das Versprechen, nach dem Brexit die Regeln im britischen Nordirland an die im EU-Mitglied Irland anzugleichen, ein ungedeckter Scheck ist.
Briten in Abschiedsstimmung
Der Vorsitzende der EU-kritischen Konservativen im Europaparlament versucht sein Bestes, um die für ihn schwierige Lage ins Positive zu drehen: "Wir müssen in die Zukunft schauen. Nicht jeder hat (bei den Verhandlungen) bekommen, was er wollte. Aber wenn Kompromisse gemacht werden, gibt es Zugeständnisse", sagt Syed Kamall. Der Brexit werde nichts an den gemeinsamen Interessen von EU und Großbritannien ändern; man wolle zusammenarbeiten und ein Handelsabkommen erreichen, das für beide Seiten von Vorteil sei.
Kamall lässt hier allerdings einen Zwischenschritt aus: Wenn am Freitag die EU-Regierungschefs der 27 den Weg freigeben für die Fortsetzung der Gespräche, steht zunächst die Vereinbarung zur Übergangsphase auf dem Programm. Sie solle nur von begrenzter Dauer sein, betont auch das EU-Parlament in seiner Entschließung. Michel Barnier spricht von einem "kurzen und definierten" Zeitraum.
Auch der Held der anti-europäischen Rhetorik im Europaparlament hat in dieser Debatte einen schweren Stand. Nigel Farage lässt seinen Zorn dieses Mal allerdings an der eigenen Regierungschefin aus. "Theresa - Appeaser", Beschwichtigungspolitikern, reimt der frühere Ukip-Vorsitzende. May habe in quasi allen Punkten nachgegeben, die Trennungsvereinbarung mit der EU sei absurd und die Übergangsphase werde der größte Betrug. Am Ende werde Großbritannien feststellen, dass man die EU überhaupt nur dem Namen nach verlassen habe. Es wird deutlich, dass Farage, wie auch andere Hardliner unter den britischen Brexiteers, sich Sorgen macht, der Ausstieg des Landes aus der EU werde nicht hart genug und in einer diffusen Übergangszeit aufgeweicht werden.
"Warum wollt ihr überhaupt gehen?"
Liberalen-Führer Guy Verhofstadt, der Brexit-Beauftragte des Parlaments, spottet freundlich über die betonte Kooperationsbereitschaft des konservativen Kamall: "Warum wollt ihr überhaupt gehen, wenn ihr doch von A bis Z mit uns zusammenarbeiten wollt?" Das ist nicht nur für ihn der ständige innere Widerspruch bei den gemäßigten Brexit-Vertretern.
Das Parlament kämpft noch um drei Einzelpunkte: das Recht, auch künftige Ehepartner nach Großbritannien zu bringen, die Umkehr der Beweislast beim Aufenthaltsrecht und den Erhalt der Bewegungsfreiheit innerhalb der EU für alle Betroffenen. Kritisch sieht Verhofstadt die Formulierungen zur Frage der irischen Grenze: "Irland darf nicht zum Kollateralschaden des Brexit werden."
"Wir werden aufmerksam bleiben", bestätigt ihn EU-Unterhändler Barnier: "Wir sind noch nicht fertig, weder bei den Bürgerrechten noch bei den übrigen Scheidungsfragen." Und wenn Brexit-Minister Davis zuletzt für die Zukunft einen Vertrag "Kanada Plus, Plus, Plus" in Aussicht stellte, also eine sehr umfassende Handelsvereinbarung, weist Barnier solchen Ehrgeiz in die Schranken: "Das künftige Verhältnis wird jedenfalls nicht den Binnenmarkt und seine vier Freiheiten in Frage stellen, einschließlich der Bewegungsfreiheit." Die immer wiederholte Botschaft ist klar: Keine Rosinenpickerei. Und darüber sind bisher auch die EU-Regierungschefs völlig einig.