Schotten dicht
25. Oktober 2012Seit Ende 2009 brauchen Bürger aus Serbien, Mazedonien und Montenegro kein Visum mehr für Reisen in die EU. Seit Ende 2010 gilt das auch für Menschen aus Albanien und Bosnien-Herzegowina. Viele nutzen diese neue Freiheit für einen Asylantrag in einem EU-Land - nach Kommissionsangaben bevorzugt in Deutschland, Schweden und Belgien. Ein großer Anteil der Antragsteller sind Roma.
So sei das natürlich nicht gemeint gewesen mit der Visafreiheit, sagen die Regierungen der betroffenen EU-Staaten. Der deutsche Innenstaatssekretär Ole Schröder sprach beim Treffen der EU-Innenminister in Luxemburg von einem klaren Missbrauch: "Die Menschen werden in ihren Herkunftsländern nicht verfolgt. Wir haben eine Anerkennungsquote, die gegen Null geht." Geduldet würden bisweilen nur die, die nicht reisefähig seien oder dringende ärztliche Betreuung brauchten, die sie in ihren Herkunftsländern nicht bekommen könnten. Für die übrigen gilt laut Schröder: "Sie müssen schnellstmöglich in ihr Heimatland zurückgebracht werden."
Sein schwedischer Amtskollege Tobias Billström fügte hinzu, Asylbewerber aus Balkanländern "verdrängen diejenigen, die wirklich Schutz brauchen", zum Beispiel Flüchtlinge aus Syrien. Und Schröder findet es "absurd" und "einfach nicht akzeptabel, dass wir mittlerweile doppelt so viele Asylbewerber aus Serbien wie aus Afghanistan haben."
"Wir haben die Probleme Deutschlands, Gott sei Dank, nicht"
Deutschland will als Konsequenz die Asylverfahren beschleunigen. Es will aber auch Serbien und Mazedonien als sogenannte "sichere Länder" definieren: Wer aus einem solchen Land kommt, hat automatisch keinen Asylanspruch. Deutschland sei auch ein "Magnet" für Asylbewerber, wie sich die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner ausdrückte, weil die Bargeldunterstützung locke. Die will der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich jetzt für Menschen aus sicheren Länder senken.
Mikl-Leitner sagte: "Wir in Österreich haben, Gott sei Dank, diese Probleme nicht." Staatssekretär Schröder will außerdem aufklären, "dass das Recht auf Asyl nicht dazu da ist, um in Deutschland zu arbeiten". Er möchte aber auch Schlepper, oft als "Reiseorganisationen" getarnt, unter Strafe stellen.
Geht es eigentlich um Roma?
Doch viel wirkungsvoller als diese einzelnen Maßnahmen wäre ein Schritt auf EU-Ebene. Hier fordern nun Deutschland und fünf andere Länder, darunter Frankreich, dass die Visafreiheit für Serbien und Mazedonien zeitweilig wieder aufgehoben wird.
Das geht aber nur, wenn das Europaparlament zustimmt. Die Stimmung ist gespalten. Zwar sprechen zum Beispiel die beiden CSU-Innenpolitiker Monika Hohlmeier und Manfred Weber von einem "unhaltbaren Zustand", dem man als letztes Mittel auch mit einer vorübergehenden Aufhebung der Visafreiheit begegnen müsse. Die Grünenpolitikerin Barbara Lochbihler dagegen sieht darin einen "völlig falschen Ansatz und eine untaugliche Politik", wie sie in einem Interview mit dem WDR sagte. Sie wies darauf hin, dass auch Geschäftsleute und Studenten aus den Balkanländern davon betroffen wären.
Cornelia Ernst von der Linken will bei mehreren zehntausend Asylbewerbern pro Jahr in der EU von einem "massenhaften Zustrom" nicht sprechen. Und: "Die überwältigende Mehrheit der Antragsteller sind Roma, die vor allem in Serbien massiver Diskriminierung ausgesetzt sind". Der schwedische Innenminister Billström teilt zwar die Schlussfolgerung der Linkenabgeordneten nicht, aber ihre Analyse: "Es geht auch darum, dass die Länder, die eine Visaliberalsierung wollen, langsam mal über Minderheitenrechte nachdenken. Denn offensichtlich haben wir das vorher nicht genug getan." Er übte dabei auch Druck auf den EU-Beitrittskandidaten Serbien aus: "Jeder muss seine Hausaufgaben machen, bevor er EU-Mitglied werden kann."
Schwierige Verhandlungen
Die Kommission räumt die schlechte Lage der Roma in den Ländern ein. In einem Bericht, den EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström vorlegte, heißt es: "Gerade bei Schulmöglichkeiten für Kinder und beim Zugang zum Arbeitsmarkt brauchen sie mehr Hilfe." Malmström schlägt aber auch vor, die Grenzkontrollen in den Balkanländern und an den EU-Außengrenzen zu verbessern und gegen Schlepperbanden vorzugehen. Und auch sie sieht bei den Asylanträgen überwiegend einen Missbrauch.
Was die zeitweilige Wiedereinführung des Visumszwangs betrifft, so stecken die Prozesse in den EU-Institutionen fest. Die Kommission hatte schon im vergangenen Jahr Vorschläge gemacht, unter welchen Umständen die Wiedereinführung möglich sei. Doch erst müssen sich Rat, Kommission und Parlament auf die Einzelheiten einigen. Vor allem das Parlament fordert mehr Mitsprache bei der Anwendund der Klausel. An den Mitgliedsländern soll es jedenfalls nicht liegen - einige würden wohl lieber heute als morgen von der Möglichkeit Gebrauch machen.