Visumspflicht für Balkanstaaten?
22. Oktober 2012"Visafreiheit darf nicht zum Asylmissbrauch führen", betont der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich dieser Tage. Er spricht sich für eine Visumspflicht und schnellere Asylverfahren aus. Andere EU-Staaten wie Frankreich, die Benelux-Staaten und Österreich äußern ähnliche Forderungen. Großbritannien erwägt ebenfalls eine Verschärfung der Visumsregeln und hat es dabei leichter als die anderen Staaten. Denn es gehört nicht zum Schengenraum, in dem einheitliche Visumsregeln gelten.
Dem Schengenraum gehören die meisten EU-Staaten an - außer eben Großbritannien, Irland, Zypern, Rumänien und Bulgarien. Dafür haben sich auch die Nicht-EU-Staaten Island, die Schweiz, Liechtenstein und Norwegen den Schengen-Regeln angeschlossen. In den Schengen-Staaten gilt Reisefreiheit ohne Passkontrolle und Visumspflicht. Wer von außen in den Schengenraum einreisen möchte, braucht zwar grundsätzlich ein Visum. Doch in den vergangenen Jahren hat die EU die Visumspflicht für viele Länder gelockert - wenn auch nur unter Vorbehalt.
Sicherheitsklausel gegen Asylmissbrauch?
So brauchen zum Beispiel seit Dezember 2009 Serben und Mazedonier kein entsprechendes Visum mehr. Doch nachdem 2012 etwa 7000 Menschen aus diesen beiden Staaten allein in Deutschland Asyl beantragt haben, wird diese Visafreiheit nun hinterfragt. Yves Pascouau arbeitet für das European Policy Centre (EPC) und leitet die Abteilung "Migration" des Brüsseler Thinktanks. Die Visapolitik der EU in Bezug auf die Balkanstaaten sei bislang eine Politik der Visumsliberalisierung gewesen, erklärt Pascouau. Jetzt verhandle man mit dem Ziel, diese Visafreiheit einzuschränken, so der Jurist: "Die neuen Visumspflichten sollen dann erforderlich werden, wenn man einen unnormalen Anstieg von Asylsuchenden aus bestimmten Staaten beobachtet, die eigentlich kein Recht auf Asyl haben."
2011 hatte die EU-Kommission eine entsprechende "Sicherheitsklausel" vorgeschlagen. Und beim Treffen der EU-Innenminister in dieser Woche in Luxemburg soll darüber verhandelt werden, so dass die Neuregelung bald angenommen werden kann. Anneliese Baldaccini von Amnesty International beobachtet die Verhandlungen. Die Diskussion um die Sicherheitsklausel habe begonnen, als tunesische Flüchtlinge 2011 nach Italien kamen, um dann in andere europäische Staaten weiterzureisen, so Baldaccini: "Man hatte damals aber auch schon die Asylsuchenden aus Balkanstaaten im Blick."
Migration als Balance-Akt
Die Kriterien, die zur Wiedereinführung der Visumspflicht führen würden, lägen bereits auf dem Tisch, erklärt Yves Pascouau vom European Policy Centre. Sie stünden in Bezug zur Anzahl von Menschen, die in einen oder mehrere Mitgliedsstaaten einreisen, so der Experte. Man vergleiche die Zahl der Einreisenden mit der Zahl derer, die einen Asylantrag stellen, und der Anzahl der erfolgreichen Asylanträge: "Wenn ein Mitgliedsstaat zwischen der Zahl der Einreisenden und der genehmigten Asylanträge ein Ungleichgewicht feststellt, wird er wohl erst einen Dialog mit dem betreffenden Ausreise-Staat suchen. Und dann wird er gegebenenfalls die Visumspflicht wieder einführen."
Doch wie lassen sich solche Bestrebungen mit dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem vereinbaren, das bis Ende des Jahres umgesetzt werden soll? Man müsse unterscheiden zwischen den Regeln zum Asylrecht und den Regeln zu Reisefreiheit und Migration, erklärt Yves Pascouau. Zwar werden die Regeln zur Visafreiheit durch eine zeitweise Visumspflicht ergänzt. Aber das entbinde die Mitgliedsstaaten nicht davon, sich in jedem Fall an die Regeln zum Schutz von Asylsuchenden zu halten, betont Pascouau: "Wenn jemand aus einem Balkanstaat einen Asylantrag stellt, weil er zum Beispiel in seinem Ursprungsland um sein Leben fürchten muss, müssen die Mitgliedsstaaten diesen Asylantrag dahingehend prüfen, ob dort sein Leben in Gefahr ist."
Asylrecht ausgehebelt?
Allerdings könnte die Einschränkung der Reisefreiheit gerade auch das Recht auf Asyl aushebeln, glauben Beobachter. Anneliese Baldaccini fasst die Befürchtungen vieler Flüchtlingsorganisationen zusammen, dass vor allem Roma aus Serbien und Mazedonien von der Neuregelung betroffen sein könnten: "Wir befürchten, dass das hauptsächlich dazu dient, ethnische Minderheiten daran zu hindern, frei zu reisen. Sie leiden in dem Land, in dem sie leben, unter Diskriminierung und hätten womöglich tatsächlich ein Recht auf Asyl."
Großbritannien muss übrigens keinen Bruch zwischen seiner Visums- und seiner Asylpolitik fürchten. So wie das Land nicht im Schengenraum ist, hat es auch mit dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem wenig zu tun. Die erste Harmonisierungswelle des Asylrechts haben die Briten noch mitgetragen, die zweite Generation der Asyl-Verordnungen aber nicht mehr. "Sie wollten in diesen Fragen nicht an EU-Recht gebunden sein", erläutert Anneliese Baldaccini von Amnesty International. Und so kann Großbritannien sowohl in Sachen Visumspflicht als auch in Sachen Asylrecht seine eigenen Regeln und Verfahren bestimmen.