Ungarn droht EU-Strafverfahren
12. September 2018Die Abstimmung, ob gegen Ungarn ein Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge eingeleitet wird, soll gegen 12 Uhr stattfinden. Das Verfahren könnte im äußersten Fall dazu führen, dass Ungarn Stimmrechte im Ministerrat verliert.
Da man sich in der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP), zu der CDU, CSU und auch Orbans Fidesz-Partei gehören, uneinig sei, ob in Ungarn systematisch EU-Werte verletze oder nicht, könnten die einzelnen Abgeordneten am Mittwoch frei abstimmen, sagte Fraktionschef Manfred Weber (CSU).
Die konservative EVP stellt die größte Fraktion im EU-Parlament. Von ihrem Abstimmungsverhalten hängt daher maßgeblich ab, ob die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit im Europaparlament erreicht wird. Beobachtern zufolge könnte sich ein Drittel der 218 EVP-Abgeordneten für das Strafverfahren gegen Ungarn aussprechen.
Weber selbst will für Strafverfahren stimmen
Aus Teilnehmerkreisen hieß es sogar, in der EVP-Fraktionssitzung habe sich eine Mehrheit gegen Orban gestellt. Vor allem Abgeordnete aus Skandinavien sowie aus Belgien, den Niederlanden und Luxemburg hätten sich kritisch geäußert. Unterstützung bekam Orban demnach von einzelnen Abgeordneten aus Kroatien und Italien. Weber selbst kündigte an, für die Einleitung eines Strafverfahrens gegen Ungarn zu stimmen. Er habe auf ungarischer Seite nicht die Bereitschaft erkannt, zu Lösungen beizutragen.
Ungarns rechtsnationaler Regierungschef Viktor Orban hatte am Dienstag im Europaparlament gesprochen und Kritik am Abbau von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in seinem Land vehement zurückgewiesen. Damit werde nicht seine Regierung verurteilt, sondern "ein Land und ein Volk", so Orban. Zu Vorwürfen wegen der restriktiven Flüchtlingspolitik seiner Regierung sagte er, es gebe Pro-Einwanderungskräfte in der EU, die "Lügen über Ungarn verbreiten und das Land erpressen wollen".
Bericht: Demokratie in Ungarn systematisch bedroht
Dem Antrag auf ein Rechtsstaatsverfahren liegt ein Bericht der Grünen-Abgeordneten Judith Sargentini zugrunde, in dem eine "systemische Bedrohung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte in Ungarn" festgestellt wird. Der Bericht verweist unter anderem auf Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie auf eine Schwächung des Verfassungs- und Justizsystems. Darüber hinaus gebe es Verstöße gegen die Rechte von Minderheiten und Flüchtlingen.
Ein möglicher Fidesz-Ausschluss aus der EVP-Fraktion scheint trotz allem aber erst einmal vom Tisch. Zuvor hatte Weber angekündigt, dass sich Orbans Partei auf die EU-Partner zubewegen müsse, da ansonsten ein harter Streit drohe. Auch Vertreter der Linken, Grünen und Liberalen im Parlament hatten einen Ausschluss von Fidesz gefordert. Am Dienstagabend aber teilte ein Fraktionssprecher der EVP mit, Weber habe zwischen Fidesz und der konservativen Parteienfamilie einen Burgfrieden angekündigt.
Sollte ein Verfahren nach Artikel 7 eingeleitet werden, liegt die letztendliche Entscheidung über Strafmaßnahmen bei den EU-Staaten. Die EU-Kommission hat ein solches Verfahren im Dezember 2017 bereits gegen Polen eingeleitet.
ie/ww (rtr, dpa, afp)