EU und Afrika besiegeln Handelsabkommen
18. November 2014Aus Sicht der EU-Kommission ist es ein Meilenstein: Mehr als ein Jahrzehnt hatten sich die afrikanischen Regierungen gegen den Abschluss umstrittener "Wirtschafts-Partnerschaftsabkommen" (EPAs) mit der EU gesträubt. Die Regionalbündnisse SADC im südlichen und ECOWAS im westlichen Afrika hatten schon im Sommer beziehungsweise Frühjahr 2014 eine Einigung mit der EU erzielt. Als letzter bedeutender Wirtschaftsblock in Afrika hatte bis vor Kurzem nur noch die Ostafrikanische Gemeinschaft (EAC) das Abkommen abgelehnt. Für Oktober allerdings hatte die EU ein Ultimatum gesetzt. Sollte bis dahin keine Einigung vorliegen, werde man bisher eingeräumte Zollerleichterungen für die betroffenen Staaten streichen.
Das hätten vor allem Kenias Blumenproduzenten, die weitgehend vom Europäischen Markt abhängig seien, nicht ausgehalten, erklärt Francisco Marí, Handelsexperte der Entwicklungsorganisation "Brot für die Welt". Viele Arbeitsplätze in der Branche seien verloren gegangen. Nach nur wenigen Wochen hätten nicht nur Kenias Regierung dem Handelsabkommen zugestimmt, sondern auch die anderen Mitglieder der EAC überzeugt, das Gleiche zu tun.
"Erpressung" afrikanischer Handelspartner
Kritiker wie Sylvester Bagooro sprechen von "Erpressung", wenn sie die Wirtschaftspartnerschaften und die Verhandlungsstrategie der EU-Kommission beschreiben. "Die EPAs bewirken genau das Gegenteil von dem was sie versprechen", sagt der Aktivist vom "Dritte Welt Netzwerk Afrika" in Ghanas Hauptstadt Accra. "Alle Analysen zeigen, dass die EPA's uns nicht helfen werden. Weder dem Kontinent, noch einzelnen Regionen oder Ländern." Die Verhandlungen seien von der EU in der Manier "teile und herrsche" geführt worden, so Bagooro. Kleine Länder in großen Regionalgruppen seien schließlich einfach eingeknickt und hätten den EPAs zugestimmt.
Eine Befürchtung afrikanischer Staaten, so Bagooro, liege in der EU-Forderung, ihre Märkte zu öffnen. Im Falle der Westafrikanischen ECOWAS-Staaten müsse das um 75 Prozent geschehen. "Aber wir wollen unsere Wirtschaft von der Rohstoffförderung hin zur verarbeitenden Industrie transformieren." De EPA's machten diese Bemühungen zunichte.
Auch Handelsexperte Marí erwartet "verheerende Auswirkungen" des Abkommens. So würden die afrikanischen Staaten zu einer weitgehenden Senkung ihrer Importzölle gegenüber Europa verpflichtet, was zu einer Überschwemmung ihrer Märkte mit hochsubventionierten Billigimporten führen werde. Während in der Landwirtschaft wenigstens einige Teilbereiche von der Liberalisierung ausgenommen werden könnten, werde eine Entwicklung in den bislang schwachen Industriezweigen stark erschwert.
Heftig umstritten sind auch politische Komponenten in den Abkommen. So werden die afrikanischen Staaten gezwungen, alle Handelsvorteile, die sie in Zukunft vielleicht einmal irgendeinem anderen Partner einräumen werden, automatisch auch der EU zuzugestehen. "Das ist vor allem in Hinblick auf Afrikas Rohstoffe interessant", erklärt Marí. Darin, sich beim Zugriff auf Afrikas Rohstoffe einen Vorteil gegenüber China und anderen Konkurrenten zu sichern, liege offenbar das eigentliche Interesse der Europäer, glaubt er. Deswegen schränkten die Abkommen Exportsteuern auf Rohstoffe stark ein. Solche Steuern sind ein bewährtes Instrument, mit den Regierungen die Verarbeitungen von Rohstoffen im eigenen Land und damit die industrielle Entwicklung fördern können. Der Industrie im rohstoffarmen Europa sind sie jedoch ein Dorn im Auge.
Entwicklung durch EPAs?
Ganz anders sieht das allerdings die EU-Kommission. "Diese Kritik beruht auf einem großen Missverständnis", sagt Daniel Rosario, der Sprecher der erst seit wenigen Tagen amtierenden neuen Handelskommissarin Cecilia Malström. Die EPAs seien gar keine Handelsabkommen im herkömmlichen Sinne, sondern eben Partnerschaften, die speziell darauf ausgelegt seien, dass die Wirtschaften der beiden Parteien nicht gleichstark entwickelt seien. "Die Entwicklungskomponente dieser Abkommen stimmt hundertprozentig überein mit den entwicklungspolitischen Zielen der EU", sagt Daniel Rosario der DW und widerspricht damit Kritikern wie dem Afrika-Beauftragten der deutschen Regierung, Günter Nooke. Der hatte kürzlich in einem ARD-Interview gesagt, die neuen Abkommen machten "kaputt, was man auf der anderen Seite als Entwicklungsministerium versucht aufzubauen".
Dagegen ist der EU-Sprecher Rosario überzeugt: "Tatsächlich helfen die Abkommen den afrikanischen Produzenten". Denn europäische und afrikanische Wirtschaften ergänzten sich eher, als dass sie miteinander konkurrieren. So könnten afrikanische Produzenten etwa von der verbilligten Einfuhr moderner Maschinen oder Düngemittel profitieren. Darüber hinaus sei es den afrikanischen Partnern auch weiterhin erlaubt, einige besonders sensible Bereiche der Wirtschaft weiterhin gegen europäische Konkurrenz abzuschirmen.
"Der Kampf ist noch nicht verloren"
Welche Einschätzung sich am Ende bewahrheitet, die Schreckensszenarien oder die Versprechen von zusätzlicher Prosperität durch freieren Handel, wird sich frühestens in einigen Jahren herausstellen. Denn die Abkommen enthalten mehrjährige Übergangsfristen, bevor die ersten Zollsenkungen seitens der Afrikaner anstehen.
Der ghanaische Aktivist Sylvester Bagooro sieht seinen "Kampf noch nicht verloren". Nun müsse das Abkommen durch die einzelnen Landesparlamente abgesegnet werden. "Da gibt es noch rechtliche Mittel, die Vereinbarung abzuwenden."
Zudem, so glaubt auch der Freihandelskritiker Marí, nachdem die Gefahr der Streichung von Zollprivilegien mit dem Verhandlungsabschluss erst einmal abgewendet sei, dürften es die meisten afrikanischen Regierungen mit der Unterzeichnung, Ratifizierung und schließlich der Umsetzung der Abkommen wohl nicht sehr eilig haben.