Fallende Rohstoffpreise treffen Afrika
10. November 2014Isaac Isuku arbeitet als Energieexperte für die Regierung im Bundesstaat Rivers, dem Zentrum der nigerianischen Ölindustrie. Seit Monaten sieht er täglich den Ölpreis fallen: Mehr als 105 US-Dollar war das Barrel (159 Liter) noch im Juni 2014 wert, im November 2014 sind es mitunter nur noch 80 Dollar. Sorgen macht sich Isuku trotzdem nicht. Der Ölexport mag Nigerias Wirtschaft zur größten Afrikas gemacht haben und heute für 80 Prozent der Regierungseinnahmen sorgen, doch zu einem hohen Preis, sagt Isuku: "Als das Öl in unsere Wirtschaft kam, ging das zu Lasten, der vielen anderen Branchen. Die fallenden Preise sehe ich daher als Chance für Nigeria, sich selbst wiederzuentdecken." Nigerias vom Öl abhängige Wirtschaft müsse dringend diversifiziert werden, fordert Isuku.
Noch wagen viele Analysten nicht vorherzusagen, ob und wie lange der Ölpreis seine Talfahrt fortsetzt. Doch bereits der bisherige Preissturz reiche aus, um nicht nur Nigerias Wirtschaftswachstum, sondern das ganz Afrikas deutlich zu bremsen, sagt Robert Kappel, Professor für Afrikanistik und Präsident Emeritus des GIGA-Instituts für Afrika-Studien in Hamburg. "Das rasante Wachstum Subsahara-Afrikas in den vergangenen Jahren beruhte zu rund 70 Prozent auf dem Export von Rohstoffen", sagt Kappel. Je nachdem, wie tief die Preise fallen, werde der Boom nun gebremst, und die Regierungen müssten mit erheblich weniger Einnahmen aus dem Rohstoffexport rechnen.
Nur wenige haben vorgesorgt
Auch internationale Experten halten eine Diversifizierung der exportabhängigen Wirtschaft vieler afrikanischer Länder für dringend nötig. Allerdings hätte dies gerade in Zeiten hoher Einnahmen passieren müssen, sagt Kappel. Obwohl die Preise von Öl und anderen Rohstoffen schon immer starken Schwankungen ausgesetzt seien, hätten nur wenige Regierungen vorgesorgt, etwa mit staatlichen Fonds, wie in den arabischen Golfstaaten, kritisiert Kappel. "Nigeria etwa hat weder Finanzpolster angelegt, noch die Einnahmen zur Förderung anderer Wirtschaftszweige verwendet." Daher rechnet Kappel damit, dass die Einnahmeausfälle die Bevölkerung vor allem dort hart treffen werden, etwa wenn Ausgaben oder Investitionen in Infrastruktur gekürzt werden müssten.
Angola - Afrikas zweitgrößter Ölexporteur - habe dagegen in den vergangenen Jahren begonnen, seine Abhängigkeit vom Öl etwas zu reduzieren, sagt Claire Schaffnit-Chatterjee, Analystin der Deutschen Bank. "Ein großer Vorteil Angolas sind die hohen Währungsreserven von etwa 30 Milliarden US-Dollar im Moment", erklärt Schaffnit-Chatterjee. Zudem sei der Anteil anderer Wirtschaftszweige als der Ölförderung auf immerhin 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gestiegen und die Regierung habe im vergangenen Jahr einen Fonds gegründet, in den bisher etwa fünf Milliarden US-Dollar aus den Öleinnahmen geflossen seien. Das Geld könne in schlechten Zeiten als Reserve dienen. "Angola litt zuletzt im Zuge der Weltwirtschaftskrise 2008 und 2009 unter einem starken Preisverfall beim Öl und hat aus dieser Erfahrung seine Lehren gezogen", so die Analystin.
Bauern spüren Preisverfall
Auch die kleinen Länder Gabun und Äquatorial-Guinea hätten massiv in ihre Infrastruktur investiert, sagt Carsten Ehlers, Westafrika-Repräsentant der deutschen Außenhandelsförderung Germany Trade and Invest (GTAI). "Deren Hauptstädte sehen inzwischen vergleichsweise modern aus, allerdings wird die Infrastruktur dort bislang nur unzureichend genutzt", sagt Ehlers. Investitionen in Prestigeprojekte, um nach dem Vorbild Dubais Investoren anzulocken, hätten sich noch nicht ausgezahlt. Sollten die Ölpreise dauerhaft fallen, könnten diese Länder die neue Infrastruktur wohl nicht einmal instand halten.
Deutlich zu spüren sind die Folgen fallender Rohstoffpreise bereits in Ghana. Das westafrikanische Land produziert und exportiert unter anderem sei einigen Jahren Öl. Arbeitsplätze für die Bevölkerung sicherten in der Vergangenheit aber vor allem die Goldminen des Landes und der Kakaoanbau. Für beide Rohstoffe ist der Weltmarktpreis zuletzt ebenfalls drastisch gefallen. "Goldminen schließen relativ schnell, wenn sich der Abbau nicht mehr lohnt", sagt Ehlers. Viele Ghanaer hätten bereits ihre Arbeit in den Minen verloren. Noch drastischer würde sich ein nachhaltiger und deutlicher Preisverfall beim Kakao auswirken, der vor allem von Kleinbauern betrieben werde. "Wenn der Kakaopreis signifikant fällt, wie das auch gerade der Fall ist, dann versucht die Regierung, das über feste Abnahmepreise für die Bauern eine Zeitlang aufzuhalten. Aber irgendwann lässt sich dass natürlich nicht mehr aufrechthalten", so Ehlers. "Und in der Landwirtschaft sind in vielen afrikanischen Ländern die meisten Arbeitsplätze angesiedelt. Die Folgen für die Bevölkerung sind drastisch."
Die Armen verlieren immer
Die Großkonzerne der Ölbranche reagierten dagegen weit weniger empfindlich auf die schwankenden Preise, so Ehlers. "Bei deren Investitionen handelt es sich teilweise um Milliardensummen, die häufig auf bis zu 20 Jahre angelegt sind." Von kurzfristigen Preisschwankungen seien solche Entscheidungen kaum betroffen. Wichtiger für das Zögern mancher Investoren in Nigerias Ölbranche seien hausgemachte Probleme, wie fehlende gesetzliche Vorgaben, die vor allem die staatliche Einflussnahme an privaten Investitionen im Ölsektor festlegten.
Dass Afrikas Wirtschaft in naher Zukunft in eine tiefe Krise stürzt, glauben die Experten nicht. "Afrika südlich der Sahara wächst immer noch schnell", sagt die Deutsche-Bank-Analystin Schaffnit-Chatterjee. Sie erwartet auch für 2015 mehr als fünf Prozent Wachstum. Die Folgen des Preisverfalls seien vor allem für die breite Bevölkerung dennoch zu spüren, sagt Robert Kappel. Das sei eine bittere Ironie, da die Masse der Bevölkerung bereits vom Boom der vergangenen Jahre nicht profitiert habe. "In allen rohstoffexportierenden Ländern hat die Ungleichheit zwischen Arm und Reich zugenommen", sagt Kappel. Von den steigenden Exporteinnahmen habe in den meisten afrikanischen Ländern nur eine kleine Elite profitiert. Doch die Hauptleidtragenden nun, in Zeiten fallender Einnahmen, seien die Armen und die Mittelklasse.