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Politik

EU und Libyen: zweifelhafte Zusammenarbeit

Khaled Salameh
17. August 2017

Brüssel will Flüchtlinge stoppen, noch bevor sie europäischen Boden betreten. Für die EU spielt dabei Libyen eine immer größere Rolle. Im Vordergrund stehen die Südgrenzen des Landes. Menschenrechtler warnen.

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Libyen EU Flüchtlingskrise
Bild: picture-alliance/dpa

Am Ende dürfte sich alles am Geld entscheiden. Khalifa Haftar, der starke Mann im Osten Libyens, hat in einem Presse-Gespräch von der Europäischen Union gewaltige Summen gefordert. Nur so sei der Zug der Flüchtlinge nach Europa zu stoppen. Im Interview mit der italienischen Zeitung "Corriere della Sera" sagte Haftar, die europäischen Bemühung, den Flüchtlingsstrom bereits an der Südgrenze Libyens zu unterbinden, würde für den Zeitraum zwischen 2020 bis 2025 Kosten von 20 – 25 Milliarden Dollar verursachen. Die Höhe der Summe begründete er mit den Schwierigkeiten der Aufgabe. Die Türkei habe von Brüssel sechs Milliarden Dollar erhalten, um die Migrationsbewegungen aus Syrien und zu Teilen auch des Iraks zu kontrollieren, sagte Haftar. "In Libyen hingegen müssen wir großer Bewegungen von Personen aus allen Richtungen Afrikas Herr werden."

Dass Haftar sich zur Flüchtlingskrise äußert, ist erstaunlich. Denn die Flüchtlingsboote starten nahezu ausnahmslos aus dem Umfeld der beiden westlich von Tripolis gelegenen Städte Zuwara und Sabrata. Die befinden sich mehrere hundert Kilometer außerhalb der von General Haftar kontrollierten Region. Umso brisanter sind möglicherweise Gespräche zwischen den Verhandlungspartnern.

"Jedes Wort, das in den kommenden Tagen über die künftige Rolle Haftars bei der Abwehr der Flüchtlinge fallen wird, lässt sich so deuten, dass Europa grünes Licht für die Ausbreitung von Haftars Machtbereich geben könnte ", sagt der tunesische Journalist Basil Tarjuman gegenüber der DW. Das Gebiet, das Haftar kontrolliert, könnte absehbar bis zur tunesischen Grenze reichen". Allerdings: Dass es zu einer Vereinbarung zwischen der EU und Haftar kommen könnte, bezweifelt Tarjuman. Berichte über den möglichen Abschluss eines Flüchtlingsdeals nach dem Beispiel der europäisch-türkischen Vereinbarung hält er für "reine Spekulation."

Der Forderungskatalog von General Haftar

Das Flüchtlingsproblem lasse sich an der libyschen Küste allein nicht lösen, sagte Haftar in dem Interview mit dem Corriere della Sera. "Wir müssen zusammenarbeiten, wenn wir die Flüchtlingsbewegungen an der 4000 Kilometer langen libyschen Südgrenze kontrollieren wollen,  sagte Haftar. Seine Truppen seien vorbereitet. "Ich kontrolliere drei Viertel der gesamten Landesfläche. Außerdem verfüge ich über die entsprechenden Truppen. Allerdings fehlt mir die technische Ausrüstung." Nötig seien Training zur Grenzüberwachung, Waffen, Munition und vor allem gepanzerte Fahrzeuge und wüstentaugliche Geländewagen. Ebenso fehlten Drohnen, Minendetektoren, Nachtsichtgeräte und Helikopter.

Libyen Pressekonferenz Khalifa Haftar 17.05.2014
Libyens starker Mann: General Khalifa HaftarBild: Reuters

Allerdings gehe es Haftar nicht darum, Europa zu erpressen, sagt der tunesische Journalist und EU-Experte Ali Uhida im Gespräch mit der DW. Haftar sei aber überzeugt, dass die Flüchtlingskrise an den libyschen Südgrenzen und nicht an der Küste zu lösen sei.

Situation vor Ort verbessern

Die EU habe zuletzt zu einer realistischen Sichtweise auf die Flüchtlingskrise gefunden, so Uhida. "Das zeigt sich etwa in dem Umstand, dass Haftar vor einigen Wochen vom französischen Präsidenten in Paris empfangen wurde." Frankreich richte sein Augenmerk mehr und mehr von der Küste auf die libysche Südgrenze.

"Man muss die wirtschaftliche und die soziale Sicherheitssituation in den Ursprungs- und Durchgangsländern der Flüchtlinge verbessern", so Uhida weiter. Zugleich tue die EU gut daran, ihre bisherige Gesetzgebung und den derzeitigen Umgang mit der Krise noch einmal mit Blick auf eine neue, realistischere Politik zu überdenken.

Ungefähr 600.000 Flüchtlinge kamen im Laufe der vergangenen vier Jahre über Libyen nach Italien. Die meisten von ihnen stammten aus Staaten der Subsaharazone. 13.000 Menschen fanden bei dem Versuch, ihr Ziel zu erreichen, den Tod. "Das eigentliche Problem sind nicht die Flüchtlinge, sondern es ist der kriminelle Menschenhandel", sagt Journalist und Sicherheitsexperte Basil Tarjuman.

Libyen Zueitina Ölterminal Khalifa Haftar Miliz
Unter der Kontrolle Haftars: das Ölterminal von Zueitina Bild: Reuters/E. Omran Al-Fetori

Kriminelle und terroristische Banden

"Dieser Handel wird von bewaffneten Banden und Terrorgruppen betrieben. Sie widmen sich nicht nur dem Schlepperwesen, sondern auch dem Drogenschmuggel, außerdem vertreiben sie Öl aus libyschen Pipelines." Diese Banden, sagt Tarjuman, kontrollierten auch Teile der libyschen Küste zwischen Sirte und der Grenze zu Tunesien. Die Truppen der Regierung der libyschen Einheitsregierung hingegen hätten eine rein "symbolische" Existenz.

Die zur Regierung der libyschen Einheit gehörende libysche Marine erklärte am 10. August, fremden Schiffen, die sich an der Rettung beteiligten, sei die Einfahrt in libysche Häfen verboten. Das gelte ganz besonders für die Boote von Nichtregierungsorganisationen. Diese seien längst zu Instrumenten geworden, um die Flüchtlinge nach Europa zu schmuggeln.

"Flüchtlinge sind Opfer des Deals"

Die Regierung der libyschen Einheit unter der Führung von Fayez al-Sarradsch forderte Italien im Juni zur Unterstützung im Kampf gegen die Schlepper auf. Bald darauf legten drei italienische Schiffe im Hafen von Tripolis an. An Bord hatten sie die von den Libyern erbetene Ausrüstung zur Küstenkontrolle. "Zum Opfer des Deals wurden die Flüchtlinge", so Uhida. Humanitäre Organisationen stellten in Reaktion auf die Zusammenarbeit ihre Arbeit ein.

Migranten aus Libyen
Gefährliche Überfahrt: Flüchtlinge auf dem MittelmeerBild: Picture-alliance/dpa/S. Palacios/AP

Auch Haftar kritisierte die Hilfslieferung. Man habe ihn in dieser Angelegenheit nicht gefragt, erklärte er. "Das ist eine persönliche Al-Sarradschs. Darum ist sie vor dem libyschen Gesetz keinen Bestand."

Menschenrechtsorganisationen warnen

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) verurteilte die Folgen des Flüchtlingsabkommens zwischen der EU und der Türkei. Zugleich warnte sie vorähnlichen Vereinbarungen mit Ländern wie Libyen, dem Sudan und Niger. "Es ist alles andere als ein Ehrenzeugnis, dass europäische Politiker das Abkommen mit der Türkei als Erfolg darstellen, zugleich aber die Augen vor den unerträglichen Belastungen derjenigen verschließen, die unter den Folgen dieses Abkommens zu leiden haben", erklärte AI. Die EU versuche ihre Verantwortung für die Flüchtlinge in den Raum jenseits der europäischen Aussengrenzen zu delegieren. "Dabei schreckt sie selbst vor der Zusammenarbeit mit der Regierung zurück, die ihrerseits massive Menschenrechtsverletzungen begeht", sagt Wiebke Judith, bei AI Referentin für Asylrecht und Asylpolitik.Derzeit würden "unangemessene Abmachungen" vorbereitet, sagt Günter Burckhardt, Chef von Pro Asyl. Ein Jahr nach dem Abkommen mit der Türkei erklärte die NGO in einem Positionspapier, dieses sei "Verrat" an den Flüchtlingen. Zudem kritisierte sie das Einvernehmen zwischen Libyen und der EU und insbesondere mit Italien. Diese Partner zielten darauf, Libyen zum Türsteher an der Pforte Europas zu machen. Das sei kein Krieg  gegen Schlepper, sondern einer gegen die Flüchtlinge.