1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Durchbruch im Dauerkonflikt um Kosovo?

Thomas Brey
7. März 2023

Ende Februar stimmten Belgrad und Pristina nach EU-Aussagen einem Kompromissvorschlag zu, an dem Brüssel und Washington seit Monaten gearbeitet hatten. Ein Durchbruch im Dauerkonflikt um Kosovo - oder die nächste Pleite?

https://p.dw.com/p/4OLyC
Eine Luftaufnahme einer Straße, auf der mehrere Fahrzeuge so stehen, dass sie nicht mehr passierbar ist. Links und rechts sind Häuser und bewaldeter Berge zu sehen
Serbische Lastwagen, Busse und Baumaschinen blockieren eine Straße in Kosovo im Dezember 2022Bild: Vjosa Cerkini/DW

Russlands Präsident Waldimir Putin hat den Dauerstreit zwischen Serbien und dessen Ex-Provinz Kosovo immer wieder als Blaupause für seine Attacke auf die Ukraine genutzt. Der Westen habe erlaubt, dass sich der fast nur noch von Albanern bewohnte Kosovo vor 15 Jahren von Serbien abgespalten habe. Daher müsse er jetzt zulassen, dass sich Russland historisch zu ihm gehörende Gebiete wie die Krim oder die Ostukraine zurückhole, so Putin. Angesichts dessen beeilt sich der Westen nun, den Kosovokonflikt nach Jahrzehnten endlich zu befrieden, um dem Kreml-Herrscher ein Scheinargument aus der Hand zu nehmen.

Das Resultat der westlichen Anstrengungen war der deutsch-französische Kompromissvorschlag vom November 2022, der Ende Februar 2023 als EU-Position veröffentlicht wurde. Die Essenz des elf Punkte umfassenden Vermittlungspapiers: Beide Seiten erkennen ihre nationalen Dokumente und Symbole gegenseitig an. Serbien gibt die Blockade einer Mitgliedschaft Kosovos in internationalen Organisationen einschließlich der Vereinten Nationen auf. Kosovo ermöglicht seinerseits die Gründung eines seit zehn Jahren umstrittenen "Gemeindeverbandes" für die serbische Minderheit und garantiert einen besonderen Schutz der vielen mittelalterlichen serbisch-orthodoxen Kirchen und Klöster im Land.

Auch die USA unterstützen den Vorschlag. Spitzendiplomaten aus Brüssel und Washington pilgern seit Wochen in die Hauptstädte Belgrad und Pristina, um Serbien und Kosovo zur Annahme der Vorschläge zu bewegen. Und wenn man den Medienberichten aus den beiden Westbalkanländern glauben darf, drohten die westlichen Abgesandten mit politischer und wirtschaftlicher Isolation, sollte ihr neuester Vorstoß - wie schon so oft in der Vergangenheit - wieder abgelehnt werden.

Borrells Durchbruch

Am 27. Februar 2023 saßen sich Serbiens Präsident Aleksandar Vucic und Kosovo-Regierungschef Albin Kurti moderiert von EU-Vermittlern in Brüssel gegenüber. Zum Abschluss verkündete der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell einen Durchbruch: Beide Parteien hätten das Vermittlungspapier akzeptiert. Damit sei die Tür offen für die endgültige Beilegung dieses europäischen Dauerkonflikts.

Vier Männer sitzen um einen Tisch, auf dem Kaffekannen und Coca- Cola-Dosen stehen. Der Mann rechts im Bild lächelt, die anderen nicht
V.l.n.r.: Serbiens Präsident Aleksandar Vucic, EU-Außenbeauftragter Josep Borrell, EU-Sonderbeauftragter Miroslav Lajcak und Kosovos Premier Albin Kurti in Brüssel am 27.2.2023Bild: Johanna Geron/REUTERS

Doch nach der Rückkehr aus Brüssel war in Belgrad und Pristina von angeblichen Zusagen im EU-Hauptquartier nichts zu hören. Serbien werde niemals eine Mitgliedschaft Kosovos in den UN erlauben, versicherte Präsident Vucic. Premier Kurti schwor im Parlament in Pristina, ein serbischer Gemeindeverband mit Autonomie und Selbstverwaltung komme ebenso wenig infrage wie ein besonderer Schutz für serbische Kulturschätze.

Albanische und serbische Positionen schließen einander aus

Das Verhalten Kurtis und Vucics ist weder überraschend noch verwunderlich, denn Kosovo und Serbien vertreten in der Kosovo-Frage Positionen, die nicht einmal ansatzweise vereinbar sind. Ähnlich wie Palästinenser und Israelis im Nahen Osten beanspruchen zwei Völker ein und dasselbe Gebiet. "Kosovo ist das Herz Serbiens", argumentiert Belgrad mit Verweis auf historische Bauten und mittelalterliche Schlachtfelder. Die Albaner sehen sich als autochthones Volk in Kosovo - und sie stellen dort seit Zeiten die absolute Mehrheit der Bevölkerung.

Ein Mann mit grauen Haar spricht oder schreit mit offenem Mund, hinter ihm sind blaue und weiße Buchstaben auf weißem Grund zu sehen
Slobodan Milosevic, damals Präsident Rest-Jugoslawiens, während einer Rede 1999Bild: Milos Bicanski/dpa/picture-alliance

Was noch wichtiger ist: Vor allem in Serbien ist die Kosovofrage seit Jahrzehnten das wichtigste Thema aller politischen Kräfte. So nutzte der später vom Jugoslawien-Tribunal als Kriegsverbrecher angeklagte serbische Präsident Slobodan Milosevic den Kosovokonflikt für seinen politischen Aufstieg. Später ließ der demokratische Politiker Vojislav Kostunica den Anspruch Serbiens auf Kosovo in der serbischen Verfassung verankern. Auch Serbiens bisher letzter demokratischer Präsident Boris Tadic machte die Kosovo-Frage zum Zentrum seiner politischen Agenda. Was Wunder, dass sie auch für Präsident Vucic die Basis seiner Herrschaft ist.

Keine westliche Kritik an Vucic

Da der Westen nach eigener Darstellung Serbiens Staatschef für einen Kompromiss mit den Kosovo-Albanern braucht, enthält sich Brüssel jeder auch noch so leisen Kritik an Vucics zunehmend autoritärem Herrschaftssystem. Dessen Kernpunkte sind die Ausschaltung aller unabhängigen staatlichen Institutionen, die Instrumentalisierung der Justiz, die Zensur der Medien und die Dominanz des Wirtschaftssystems durch treue Gefolgsleute.

Ein kleiner Mann mit hoher Stirn schüttelt die Hand eines sehre großen Mannes mit Brille und wulstigen Lippen. Dahinter steht auf blauem Grund in kyrillischer Schrift "Präsident der Republik", darüber ist ein Wappen mit einem weißen Adler zu sehen, der zwei Köpfe hat
Russlands Präsident Wladimir Putin zu Besuch bei Serbiens Präsident Aleksandar Vucic am 17.1.2019Bild: picture-alliance/TASS/M. Metzel

"Die Mythen der Vergangenheit und vor allem der Mythos, Kosovo sei heiliges serbisches Land, dient nur dazu, dass wir nicht über das Heute nachdenken", kritisiert der serbische Journalist Milojko Pantic. Und der oppositionelle Kolumnist Dejan Ilic weiß: "Vucic flüchtet seit Jahren vor jeder Verpflichtung, lebt von der Krise und kreiert verschiedene Spektakel, damit keines der Probleme Serbiens gelöst wird". Daraus folge: "Wenn er die Kosovokrise löst, wird er nicht mehr gebraucht."

Eine rote Fahren mit eine schwarzem Adler weht im Hintergrund, um Vordeergrund spricht ein Mann mit schwarzem Haar
Albin Kurti, heute Premier der Republik Kosovo, bei einer Wahlkampfveranstaltung in Pristina am 14.1.2021Bild: Florion Goga/REUTERS

Ähnliches ist auch auf der Seite Kosovos zu beobachten. Regierungschef Kurti war schon als Studentenführer und Oppositionspolitiker angetreten, um für sein Land die Unabhängigkeit von und Gleichberechtigung mit Serbien durchzusetzen. Für diese Haltung saß er jahrelang in serbischen Gefängnissen, sie ist ganz offensichtlich seine politische Mission.

Showdown in Ohrid

Am 18. März 2023 werden sich Vucic und Kurti erneut unter EU-Vermittlung treffen, diesmal im nordmazedonischen Ohrid. Dann müssten beide Parteien bekennen, ob sie wirklich - wie von Brüssel behauptet - ihre roten Linien aufgeben wollen. Wie das gehen soll, bleibt vorerst ein Geheimnis. Vucic etwa müsste grünes Licht für die Mitgliedschaft Kosovos in allen internationalen Organisationen geben - und doch einen UN-Beitritt Pristinas verhindern.

Kurti müsste den Verband Serbischer Gemeinden ermöglichen - obwohl er gegen jede institutionelle und territoriale Form dieser Assoziation Front macht und den Minderheitenschutz nur auf einzelne Menschen beschränken will. Und beim von Belgrad angestrebten besonderem Schutz serbischer Klöster und Kirchen ätzt die Opposition in Kosovo bereits, man werde in Zukunft seinen Pass zeigen müssen, um diese Kulturgüter zu besuchen.

Angesichts dieser Gemengelage ist offensichtlich die hohe diplomatische Kunst gefragt, Unvereinbares zu vereinbaren. Nach den Erfahrungen des vergangenen Jahrzehnts mit westlicher Balkanpolitik ist zu befürchten, dass es einmal mehr einen Kompromiss geben wird, in dem sich alle wiederfinden können - der aber an den eigentlichen Problemen nichts ändert.