EU will Schutz für Whistleblower
23. April 2018EU-Vizepräsident Frans Timmermans kann sie gar nicht hoch genug loben: die Whistleblower (engl. für Informanten, Hinweisgeber), die in den letzten Jahren eine Reihe von Skandalen aufgedeckten, die Europa erschütterten. Es geht um staatliche Steuerdeals ("Luxleaks"), Steuervermeidung ("Panama Papers"), Abgasmanipulation ("Dieselgate") und zuletzt den Datenmissbrauch durch Cambridge Analytica. "Wenn Menschen mit Insider-Wissen den Mut finden, Informationen über Missstände bekannt zu machen, dann müssen wir sie viel besser schützen", sagt der EU-Kommissar. "Viele Skandale wären nie ans Licht gekommen, wenn Insider nicht den Mut gehabt hätten, die Stimme zu erheben." Ausdrücklich lobt Timmermans ihre Bedeutung für die Demokratie in Europa.
Ein Dienstweg für Whistleblower
Zunächst will die Kommission den Kreis der Schutzbedürftigen erweitern. Nicht nur wer in einer Behörde oder einem Privatunternehmen angestellt ist, kann Whistleblower sein; auch Praktikanten, Selbständige oder Subunternehmer können dazu gehören. "Wer auf Missstände und Rechtsverstöße aufmerksam macht, soll keine Angst vor Vergeltungsmaßnahmen etwa seines Arbeitgebers haben müssen", sagt Timmermans. Deswegen wird hier die Beweislast umgekehrt und auf das betreffende Unternehmen oder die Behörde verlagert. "Niemand soll Angst haben, seinen Job zu verlieren", oder vor Gericht zu landen, wie etwa Luxleaks-Informant Antoine Deltour. Er wurde in erster Instanz verurteilt, und erst nach mehrjährigem Prozessmarathon kippte ein luxemburgisches Obergericht die Strafe.
Allerdings werden Hinweisgeber auf eine Art "Dienstweg" verwiesen: Jedes Unternehmen mit mehr als 50 Angestellten oder zehn Millionen Euro Jahresumsatz soll verpflichtet werden, ein internes Meldesystem zu schaffen, das unter anderem die Identität des Whistleblowers schützt. Falls die Unternehmensspitze selbst in den potentiellen Skandal verwickelt ist, soll jemand sich auch direkt an eine staatliche Stelle wenden können. Erst wenn diese beiden Möglichkeiten versagen, soll der Weg über die Presse oder direkt an die Öffentlichkeit gedeckt sein. Allerdings kann dieser Ablauf verkürzt werden, wenn das öffentliche Interesse direkt betroffen ist. Das gilt etwa bei allen Hinweisen auf Gefahren bei Lebensmitteln oder andere gesundheitsgefährdende Missstände.
Die Kommission will durch die Formalisierung des "Whistleblowing" der beliebigen Skandalisierung etwa von Unternehmen vorbeugen. Allerdings wurden in der Praxis alle genannten größeren Fälle von Rechtsmissbrauch oder -Verstößen erst durch Medienberichte bekannt, und Handlungsdruck bei den betreffenden Regierungen und Unternehmen entstand erst durch diese Veröffentlichungen.
Darüber hinaus entwirft die EU-Kommission einen Katalog mit Rechtsbereichen von öffentlichem Interesse, wo der Schutz für Whistleblower greifen soll: Dazu gehören Umwelt, Produktsicherheit, Gesundheit, Daten, Steuern, öffentliche Ausschreibungen. Der Schutz allerdings bezieht sich nur auf EU-Recht und damit verbundene nationale Regelungen.
Lob und Kritik
Die Anti-Korruptionsorganisation Transparency International lobt die Vorlage der Kommission und nennt sie "mutig". Der Vorstoß komme zur rechten Zeit. Die Grünen im Europaparlament, seit Luxleaks besonders für Whistleblower engagiert, nennen den Plan einen "Durchbruch". Das Aufdecken von Missständen sei kein Verbrechen; Machtmissbrauch und krude Geschäftspraktiken dürften keine Geschäftsgeheimnisse sein. Sie fordern darüber aber hinaus, auch den direkten Weg an die Öffentlichkeit unter Schutz zu stellen.
Auch Sven Giegold, der wirtschaftspolitische Sprecher der Fraktion, hält den Vorschlag aus Brüssel für den "richtigen Weg", sieht aber noch "Luft nach oben": Was fehle, sei zum Beispiel die Einbeziehung von Arbeitnehmerrechten oder Steuerhinterziehung von reichen Einzelpersonen, erklärt Giegold. Im Prinzip aber lobt auch er den Entwurf der Kommission und fordert die Bundesregierung auf, ihre eigene Gesetzesvorlage zu überarbeiten.
Die SPD-Abgeordnete Sylvia Yvonne Kaufmann reagiert ebenso positiv: "Der Druck des Europaparlaments hat sich gelohnt". Das EP fordert seit längerem eine europaweite Gesetzgebung in dieser Frage, denn nur in zehn EU-Mitgliedsländern gibt es gegenwärtig überhaupt Schutz für Whistleblower, und die Regelungen weichen stark voneinander ab.
Die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes fordert wiederum, dass die Neuregelung sich nicht auf EU-Recht beschränken dürfe. "Im Mittelpunkt muss der Schutz couragierter Beschäftigter stehen, und nicht die Durchsetzung des Rechts und der Interessen der EU", kritisiert Annelie Buntenbach.
Der Entwurf tritt jetzt zunächst den Marsch durch die europäischen Institutionen an, wo er vor allem im Rat der Regierungen Gefahr läuft, noch gefleddert zu werden. Und bis der neue Whistleblower-Schutz in der EU in Kraft treten kann, werden noch mehrere Jahre vergehen.
Besserer Schutz für investigativen Journalismus
Sozusagen als Nebenprodukt soll der Plan der EU-Kommission auch einen besseren Quellenschutz für investigative Journalisten bringen. Die rechtliche Besserstellung von Hinweisgebern entlaste auch Journalisten, die sich vor den Konsequenzen ihrer Arbeit fürchten müssten. "Das schulden wir den Journalisten, die ihr Leben verloren haben, weil sie zu tief bohrten", sagt EU-Justizkommissarin Vera Jourova mit Hinweis auf Daphne Caruana Galizia aus Malta und Martin Kuciak in der Slowakei.
Mit Hinblick auf Malta droht die Kommission jetzt mit ihrem Einschreiten, falls sich Geldwäschevorwürfe gegen Minister oder Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit bestätigen sollten: "Wenn irgendetwas herauskommt, das unser Handeln rechtfertigt, werden wir davor nicht zurückschrecken", sagt Vizepräsident Frans Timmermans. Im Rahmen des sogenannten Daphne-Projektes arbeiten inzwischen Journalisten aus mehreren EU-Ländern an der Aufklärung der Hintergründe des Mordfalls und der massiven Korruptionsvorwürfe gegen maltesische Politiker.
Im Fall des ermordeten Journalisten Martin Kuciak in der Slowakei kooperieren inzwischen europäische und italienische Strafverfolger mit den örtlichen Behörden, um den Mord an dem Journalisten und seiner Partnerin aufzuklären. Bisherige Hinweise deuten darauf, dass wahrscheinlich massiver Subventionsbetrug bei der EU-Agrarförderung eine Rolle spielt, in den die italienische N'Drangheta verwickelt sein soll. Hier ist die EU-Kommission gefordert, ihre rechtlichen Möglichkeiten schon jetzt besser auszuschöpfen.